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11. September

In den letzten Tagen scheint sich unser Sprachschatz ziemlich reduziert haben. Wir sind fassungslos, bestürzt, erschüttert, betroffen, sprachlos. Was soll mensch angesichts der Bilder und Nachrichten auch sonst von sich geben?

Immer und immer wieder haben die Liebste und ich Bilder aus New York und Washington gesehen und versuchen zu verstehen bloß was? Dass die Welt in der letzten Woche noch verrückter geworden ist, als sie eh schon war?

Angesichts des steten Fernsehkonsums werden unsere Augen immer viereckiger, aber das Begreifen kommt nur ganz langsam und allmählich. Unendliches Mitleid mit den Opfern und ihren Angehörigen und Freund_innen. Große Dankbarkeit, dass aus unserem direkten Umfeld niemand betroffen ist.

Und vom ersten Augenblick an die Angst. Die Angst vor einem Krieg, die Angst vor neuen Anschlägen. Schlimmste Albträume scheinen jetzt doch möglich zu werden. Im Spiegel steht, dass die Hülle des Atomkraftwerks bei uns um die Ecke einem derartigen Crash mit einem Flugzeug nicht standhalten würde. Die Bürgerinitiative erzählt das schon seit 30 Jahren und musste sich deswegen böse Beschimpfungen gefallen lassen. Aber auch jetzt denkt niemand der Verantwortlichen ans Abschalten. Die Banktürme in Frankfurt scheinen schützenswerter.

Eine Freundin ruft an und erzählt, dass es in ihrer Stadt von Polizist_innen nur so wimmelt. »Zum ersten Mal in meinem Leben bin ich froh so viel Polizei zu sehen«, sagt sie. Bloß, vor wem oder was sollen uns diese vielen Polizisten eigentlich wie schützen?

»Es wird Zeit, dass da mal einigen kräftig auf die Pfoten gehauen wird«, schreibt mir jemand per Mail und fügt hinzu: »Du hattest ja schon immer Deine spezielle Meinung zu Afghanistan.«

Stimmt, die westliche Welt sieht seit Jahren zu, wie Frauen dort abgeschlachtet, wie Buddha-Statuen in die Luft gesprengt werden, warum will sie eigentlich nicht zuzusehen, wenn New York brennt?

»Schuld daran ist die Globalisierung«, teilt mir eine Verwandte ungefragt den Stand ihrer Überlegungen mit. Und lehnt mal gleich jede Mitverantwortung ab: »ICH kaufe meinen Tee nur aus fairem Handel!« Wie beruhigend für ihr Gewissen.

Auf allen Fernsehkanälen entschuldigen sich in Deutschland lebende Muslime dafür, weil sie zufällig dieselbe Religion wie die Mörder haben. Sie haben leider berechtigte Angst davor, dass der Mob die Gelegenheit zu Übergriffen nutzt.

In Ordnung, ich als Protestantin entschuldige mich dafür, dass in Irland im Namen meiner Religion kleine katholische Mädchen auf Weg zur Schule terrorisiert werden. Vielleicht hätte ich das längst mal tun sollen und es bisher nur nicht getan, weil ich mir ziemlich sicher bin, dass mir meine katholischen Nachbarn nicht das Haus anzünden.

Vielleicht sollte ich mich aber auch bei meinen muslimischen Nachbarn entschuldigen für einen Bundeskanzler, der sein Amt auch meiner Wahlstimme zu verdanken hat, und der im gleichen Atemzug von einem Angriff auf die zivilisierte Welt spricht und dabei die westliche Welt meint und das Einbürgerungsgesetz auf Eis legen will.

Es ist die Stunde sämtlicher Spinner dieser Welt. Krankenhäuser, Schulen und viele andere Gebäude müssen wegen Bombendrohungen geräumt werden.

Es ist die Stunde der Wahrsager_innen und Hellseher_innen, die alles vorher gewusst haben wollen. Aber leider, leider habe ihnen keineR zugehört.

Mehrmals erreicht mich eine Mail mit einem angeblichen Nostradamuszitat. Auf einer amerikanischen Website lese ich, dass der Verfasser dieser Fälschung inzwischen vom FBI aus dem Verkehr gezogen wurde.

Vor allem aber, es ist die Stunde der MÄNNER. Männliche Präsenz, wohin frau auch sieht. Im Presseclub der ARD diskutieren fünf Journalisten mit Ulrich Pleitgen über die Lage die Welt. Bei Günter Jauch sind es vier Journalisten, die wichtiges und unwichtiges gewichtig absondern. Sicherheitsexperten, Architekten, Statiker, Piloten, Militärs, Experten für den Nahen Osten, den Mittleren Osten, den Islam, egal in welcher Sendung und auf welchem Sender, alle die was zu sagen, gehören zum ach so starken Geschlecht.

Auch die politische Szene vermännlicht sich optisch von Stunde zu Stunde. Der Bundeskanzler, der Außenminister, der Innenminister, der Verteidigungsminister, der Fraktionsvorsitzende, der Abgeordnete

Zwischendrin mal kurz Angela Merkel, die tapfer verwirrt ständig zu rufen scheint: »Ich bin auch noch da!« Doch sie darf nicht mitspielen. Wenigstens nicht in der oberen Liga.

Es ist Krieg, wie Herr Bush seinem Volk und uns und dem Rest der Welt mitteilt. Und Krieg haben die Jungs schon im Sandkasten alleine gespielt. Wir Frauen sind da nur als Opfer und Krankenschwester vorgesehen egal in welcher Kultur, Zivilisation und Religion.

Unsere Göttin sei uns gnädig und schenke uns Frieden, denn alleine bekommen wir das nicht auf Reihe!

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