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ABA

Letzten Herbst erreichte mich die Nachricht, dass eine Frau, mit der ich vor einigen Jahren zusammen Therapie gemacht hatte, Selbstmord begannen hat. Ursache: Bulimie

Für mich ein Grund, einmal etwas über Essstörungen und das leidige Thema Figur und Abnehmen zu schreiben. Denn selbst auf Lesbenseiten finden sich gelegentlich Tipps wie frau zum besseren Aussehen, sprich einer schlankeren Statur, kommt. Leider bewirken diese Tipps meist nur eins: Die Zahl der ABAs (Anorexie, Bulimie, Adipositas) unter den Frauen vergrößert sich Tag für Tag dramatisch. Schon zehnjährige Mädchen denken mittlerweile bereits über ihr äußerliches Erscheinungsbild nach, und mit 13 Jahren hat bereits jede Zweite eine Diät hinter sich. Die erste Klinik für essgestörte Kinder hat vor einigen Wochen in Graz geöffnet.

Über die Ursachen der Essstörungen gibt es viele Theorien. Es gilt auch hier der Satz: Fünf WissenschaftlerInnen = sechs Meinungen. In der Regel werden die üblichen Verdächtigen ausgemacht: gestörte Mutter/Kind Beziehung im Kleinkindalter, genetische Disposition, sexueller Missbrauch.

Doch diese Theorien erklären alle nicht, weshalb Essstörungen erst in den letzten 40 Jahren zu einem allgemeinen Problem geworden sind. Denn der wirkliche Auslöser für eine Essstörung ist das Köperbild der Frau in der Gesellschaft.

Vor ungefähr einem Jahr gab es auf der EMMA ein Titelbild: Marilyn Monroe, daneben die Darstellerin der besonders bei jungen Frauen sehr beliebten Serie Ally McBeal. Neben Ally McBeal sah Marilyn Monroe wie ein Fettkloß aus, dabei war sie einmal ein Sexsymbol gewesen. Durfte eine Frau in den Fünfziger Jahren noch Kurven haben, ist spätestens seit Twiggy Schluss damit. Wir alle haben als Kinder zu viel mit Barbiepuppen gespielt und halten deren anatomische Verkrüppelungen für erstrebenswert. Wenigstens in unserem Inneren, auch wenn wir nach außen feministisch korrekt vom Wohlfühlgewicht sprechen und genervt aufstöhnen, wenn wieder mal eine sich laut traut, von einer Diät zu reden.

Ich hörte einmal einen Ernährungswissenschaftler im Fernsehen sagen: Wenn Sie fett werden wollen, dann machen sie eine Diät. Und wir Frauen scheinen fast alle fett werden zu wollen, wenn wir es nicht bereits schon sind. Denn wir alle machen gerade eine Diät oder haben erst eine hinter uns oder die Nächste für nach Weihachten bereits fest eingeplant.

Früher gab es Begriffe wie Normal- und Idealgewicht. Körpergröße mal Schuhgröße minus Kontonummer = ein fast selten erreichbares und noch seltener haltbares Gewicht. Neuerdings gibt es Begriffe wie BMI, dessen Berechnung ähnlich wie beim Idealgewicht vorgenommen wird. Keine der sogenannten Frauenzeitschriften kann sich auf dem Markt halten, wenn nicht regelmäßig über Gewicht und Diäten berichtet wird. Sinkt die Auflage? Die Schlagzeile 5 Pfund in 2 Tagen durch Ananaseiermilch ändert das sofort. Das bekannteste Beispiel hierfür ist wohl Frigitte. Vorne nur für Hungerharken tragbare Mode, hinten leckere fett- und kalorienreiche Kochrezepte und in der Mitte die Diät. Das alles läuft zynischerweise unter dem Begriff Lebenshilfe. Psychoterror mit gelegentlich tödlichem Ausgang wäre wohl die passendere Bezeichnung.

Jeder Mensch hat zunächst mal ein genetisch festgelegtes Gewicht, auch Setpoint genannt. Leider ist darüber immer noch viel zu wenig bekannt. Der Setpoint einer Frau von der Größe 1,65 m kann bei 65 kg liegen. Er kann aber auch 75 kg sein oder 55 kg oder irgendwo dazwischen. Das hängt ganz davon ab, welche Gene die UrurururururahnInnen mitgegeben haben.

Doch welche Frau mit 165 cm fühlt sich schon wohl mit 75 kg? Selbst 65 kg sind ihr meist zu viel und noch bei 55 kg hat sie das Gefühl, dass sie nicht ganz so perfekt ist. Also macht sie Diät. Aber unser Körper, unser Stoffwechsel hat sich seit der Steinzeit nicht weiterentwickelt. Absichtliche Diät? Nein, für den Körper ist eine fürchterliche Hungersnot ausgebrochen, und der Stoffwechsel tut alles, um seinen Menschen zu retten.

Ist die Diät dann vorbei, sprich die Hungernot, dann gibt es nur eine logische Schlussfolgerung: Das vorgesehene genetische Gewicht, der Setpoint, reichte nicht aus, um einer Hungersnot angemessen zu begegnen. Deshalb muss er nach oben verschoben werden. Kurze Zeit nach der Diät wiegt die Frau mehr als vorher. Jojo-Effekt wird das auch genannt, und manche QuacksalberInnen wollen uns dann erzählen, wir hätten eben unsere Ernährung nicht richtig umgestellt, nach der Diät einfach wieder Falsches zu viel gegessen und deshalb unser mühsam erhungertes Gewicht nicht gehalten.

Fast zwangsläufig folgt als nächste Konsequenz die nächste Diät, willkommen im Teufelskreis. Und eine vierzigjährige Frau hat es nach 25 Jahren Dauerdiät geschafft, ihren Setpoint erfolgreich um 25 kg nach oben zu verschieben der spätestens dann zuschlägt, wenn sie aufhört, Diät zu halten und versucht, sich einigermaßen normal zu ernähren.

Manche Feministinnen behaupten, hinter dem Körperbild der Frau stecke eine Verschwörung des Patriarchats. Jede Frau, deren Gedanken um ihren Körper kreisen, hat keine Zeit mehr, Männer ernsthaft bei der Karriere zu stören. Diese Theorie gerät in letzter Zeit allerdings ein wenig ins Wanken, denn neuerdings scheinen auch gelegentlich Männer unter Essstörungen zu leiden.

Wenn es auch keine Verschwörung des Patriarchats sein sollte, eine Verschwörung der Lebensmittelindustrie ist es auf jeden Fall. Von dem Körperbild der Frauen leben ganze Industriezweige, und sie leben nicht schlecht davon. Produkte mit dem einem Aufkleber wie fettarm verkaufen sich fast von selbst. Hinter den viel gelobten Weight Watchers steht z. B. der US-Lebensmittelriese Heinz, der vor der Diät erst einmal Ketchup, Eiscreme und Tiefkühlpizzen verkauft. Ist die Frau davon dann fett geworden, darf sie ihre Mitgliedsbeiträge an die Weight Watchters entrichten.

Das wohl drastische Beispiel in dieser Beziehung geben die Hersteller von Süßstoffen bzw. sogenannten Lightprodukten, die mit Süßstoffen angereichert sind. Einerseits werden sie zum Abnehmen bzw. zum Halten der Figur verkauft, andererseits in der Schweinemast eingesetzt. Denn Süßstoffe lösen auf Dauer Heißhungerattacken aus und helfen beim Fettwerden. Ähnliche Stoffwechselreaktionen werden den sogenannten fettreduzierten Produkten zugeordnet.

Aber auch medizinische Einrichtungen verdienen daran: Im idyllischen Prien am Chiemsee gibt es mehrere Kurkliniken. In der einen werden die PatientInnen auf eine 500 Kaloriendiät gesetzt, um abzuspecken. In der Klinik daneben wird dann einige Jahre später ihre Essstörung behandelt, und sie lernen mühsam in sogenannten Anti-Diät-Kursen wieder das normale Essen.

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