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Der Fernseher dudd net

Der Schrei geht mir durch Mark und Bein und ist bestimmt noch drei Häuser weiter zu hören. „Mein Fernseher dudd net!“

Ich lasse auf der Stelle alles fallen und renne zu Oma ins Zimmer. Sie sitzt in ihrem Rollstuhl direkt vor dem schwarzen Bildschirm und ist dem Heulen nah.
„Mein Fernseher dudd net!“ sagt sie anklagend. „Jemand hat ihn kaputt gemacht!“

Der Kippschalter an der Steckdose leuchtet, Strom hat das Ding also. Ich schiebe Oma auf die Seite und drücke erst mal den Knopf zum Ein- und Ausschalten. Das kleine rote Licht daneben blinkt, aber sonst tut sich nichts. „Wo ist die Fernbedienung?“ frage ich.

„Der dudd einfach net“, gibt sie mir zur Antwort. „Aber das rote Licht ist an“.
„Das sehe ich auch. Wo ist die Fernbedienung?“ wiederhole ich.

Vergebliche Liebesmüh, die Fernbedienung finde ich nach langem Suchen unter dem Fußende ihrer Matratze, während Oma weiter jammert.

Ich drücke auf sämtliche Knöpfe der Fernbedienung, ohne Erfolg. „Das rote Licht ist an!“ teilt mir Oma mehrmals mit, gleich gefolgt von: „Ich will fernsehgucken, mach ihn mal an.“

„Was glaubst du, was hier mache?“ fauche ich und drücke mehrmals den schwarzen Knopf zum Ein- und Ausschalten.

„Du hast ihn kaputt gemacht!“ sagt sie und sieht mich bitterböse an.

Den Rest des Tages erleide ich Höllenqualen. In regelmäßigen Abständen von fünf, sechs Minuten kommt Oma zu mir ins Büro gerollt und teilt mir mit, dass ihre Glotze net dudd.

Sie nervt, aber ich leide mit ihr. Ich kann ohne die Mattscheibe mit den bunten Bildern auch nicht leben. Wenn mir jemand die berühmte Frage stellen würde: „Was nimmst du auf eine einsame Insel mit?“, würde ich als Erstes wohl den Fernseher, als Zweites eine Sattelitenschüssel und als Drittes einen Stromgenerator nennen.

Besonders die Serien haben es mir angetan. Begonnen hat das ganz harmlos wie bei jeder Sucht. Damals vor vielen Jahren mit der Lindenstraße. Es gab nur drei Programme und die Anzahl der Serien hielt sich in Grenzen. Mit der Einführung des Privatfernsehens und der Schüssel auf dem Dach änderte sich das gewaltig.

Sonntags sehen die Liebste und ich nach wie vor Lindenstraße. Das Geschehen wird immer verworrener, die Figuren immer abstruser, und wir finden durch die Bank weg alle der Handelnden bescheuert. Trotzdem: Lindenstraße sonntags um 18.40 Uhr muss sein.

Nach der Lindenstraße bleiben uns fünf Minuten Pause, bis die Fallers beginnen. Die Fallers, das sind eine Schwarzwaldfamilie, die mit ihren Macken so naturgetreu beschrieben wird, dass wir uns noch ein Magengeschwür anärgern werden. Ihr Benehmen bringt uns jedes Mal zur Weißglut, was uns aber nicht davon abhält, nächsten Sonntag wieder einzuschalten.

Mittwochs um 20 Uhr 15 verwandeln wir uns in medizinische Expertinnen. Wir diagnostizieren die seltsamsten Krankheiten, intubieren und führen Notoperationen am offenen Herzen durch.
Nein, wir ist nicht ganz richtig. Die Operationen erledigt die Liebste, während ich mich unter der Decke verstecke. Ich kann kein Blut sehen.
Schade nur, dass ausgerechnet die unsympathischste Ärztin zur Quotenlesbe avancierte. Es tröstet uns allerdings, als sozusagen im Ausgleich dem unsympathischsten Kerl der Serie der Arm von einem Hubschrauberpropeller abgehackt wurde. Als einer der Ärzte langsam an einem Gehirntumor starb, heulten wir Rotz und Wasser. Noch weitere acht, neun Jahre mit Emerency Room und wir sind reif für eine Dozentinnenstelle an der medizinischen Fakultät.

Kabel 1 soll angeblich der Sender für die ältere Bevölkerung sein, wie ich im Spiegel lesen konnte. Deshalb seien seine Werbeeinnahmen nicht hoch. Nun, dann gehöre ich eben zur älteren Bevölkerung, denn Kabel 1 richtet sich ganz nach meinem Geschmack.

Bereits morgens wird die fünfundneunzigste Wiederholung des Denverclans gesendet. Danach kommt Roseanne, unser aller Rosie, auch zum soundsovieltem Mal. Ich finde das praktisch, denn mittlerweile kann ich die meisten der Dialoge mitsprechen.

Nachmittags erfreuen mich Captain Picard und seine Crew bei ihrer Reise durch die unendlichen Weiten des Weltalls. Samstags zu einer sehr ungünstigen Zeit auf einem anderen Kanal streifen die Nachfolger durchs All. Deren Dialoge kann ich noch nicht mitsprechen und wenn die Sendezeit weiter so ungünstig bleibt, wird das nie was werden. Den letzten der Nachfolger, der zeitlich gesehen eigentlich der Vorgänger gewesen ist, lasse ich sowieso alleine. Diese Serie kann selbst mir gestohlen bleiben.

Nach Roseanne am Vormittag lässt Kabel 1 mir genügend Zeit, das Mittagessen für Oma zu kochen. Die Waltons fangen erst später an. Ach, ich könnte dahinschmelzen, wenn ich diese schöne heile Welt sehe.

Bis zum Abend ist dann eigentlich Pause. Für den kleinen Serienhunger zwischendurch gibt es ab und zu mal die Nanny auf VOX, die seit Jahren in einer Endlosschleife läuft. Trotzdem warten wir immer wieder neu darauf, dass sie sich noch besinnt und diesen Maxwell nicht heiraten wird.

Mittwochs nach der aufregenden Stunde mit den ÄrztInnen der Notaufnahme, brauchen wir noch was fürs Gemüt und schalten meist um zu SAT1 und dem Bullen aus Tölz.
„Warum hat diese Serie selbst in der fünften Wiederholung noch so hohe Einschaltquoten?“ wurde Ottfried Fischer in einem Interview gefragt.
„Durch die vielen Werbeeinblendungen zieht sich eine Folge über zwei Stunden“, antwortete er. „Ich denke, die Leute schlafen zwischendrin ein und erleben so jede Folge immer wieder neu“.
Lieber Otti, so ist es! Fünf mal gesehen, und wir wissen immer noch nicht, wer der Mörder ist.

Der gelbe Mann mit Bierbauch und Glatze packt seine Frau mit der blauen Turmfrisur und seine drei Kinder ins Auto. Dann jagt er mit einem Affenzahn dem Stafettenlauf der Olympischen Flamme hinterher. Er will sie unbedingt löschen. Immer wenn es besondere Sportereignisse gibt, fallen seine Lieblingsserien aus, erklärt er seiner nörgelnden Frau.

Oh Homer, wie gut kann ich dich verstehen!

Als die Liebste abends nach Hause kommt, drückt sie einmal auf die Fernbedienung und siehe da, Omas Fernseher dudd wieder

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