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Der Kartoffelsack ist ein Kampfhund

Ich renne meinen Verfolgern davon. Immer schneller und völlig außer Atem. Aber sie erwischen mich doch. Sie werfen einen zentnerschweren Kartoffelsack nach mir. Ich falle auf den Rücken, der Kartoffelsack liegt auf meinem Bauch. Die einzelnen Kartoffeln rollen hin und her und das ganze Bett wankt. Bett?

Langsam mache ich die Augen auf und sehe direkt auf eine schwarze Nase. Der struppige Kartoffelsack liegt ganz ruhig da. Nur seine Nase kam immer näher und näher und dann leckte eine große rote Zunge über mein Gesicht.

Auch eine Art geweckt zu werden. Selbst wenn es mir nicht besonders gefällt, dass unser Kampfhund so groß wie ein Wolf, wie Oma zu sagen pflegt, meine Morgentoilette übernehmen will.

»Hau ab! Lass das!« Die Zunge verschwindet und ich schließe wieder die Augen. Das Gewicht auf meinem Bauch verändert sich nicht. Als ich probeweise blinzle, ist die schwarze Nase nur zwei Zentimeter von meiner Nase entfernt.

»Verschwinde!« Provozierend langsam rutscht das Gewicht von mir herunter. Aber nicht in Richtung Bettkante, sondern in Richtung der Liebsten. Auch egal, Hauptsache ich habe meine Ruhe.

»Au!« höre ich die Liebste Sekunden später brüllen und fahre in die Höhe. Die reinrassige Mischlingshündin steht mit allen Vieren auf der Liebsten. Mit zwei Pfoten auf ihren Oberschenkeln und zwei Pfoten auf ihren Brüsten wedelt sie wie wild mit ihrem Ringelschwanz. Irgendwo in ihren Genen muss sich einmal ein Schwein verewigt haben.

»Runter, du Mistvieh!« kreischt die Liebste und versucht, sich auf die Seite zu drehen. »Weißt du eigentlich, wie viel du wiegst?« Beleidigt zieht sich die Hündin zurück und rollt sich am Fußende zusammen.

»Au«, jault die Liebste immer noch und reibt ihre Brüste. »Das gibt bestimmt blaue Flecken!«

Eines hat der Kampfhund, der sich bei flatternden Vorhängen hinter der Couch versteckt, erreicht: wir sind wacher als es uns für diese Uhrzeit lieb ist. »Sollte ich je erfahren, wer dieser Fußkitzler damals war, bringe ich ihn um!« schimpft die Liebste vor sich hin, während sie nach den Zigaretten auf ihren Nachttisch grabscht.

»Musst du schon wieder rauchen?« meckere ich automatisch. Doch mit dem Fußkitzler hat sie recht. Wäre er nicht gewesen, gäbe es heute niemanden in unserem Haushalt, der sich einfach zu uns ins Bett legt, unsere Schubladen öffnet und die Tempotaschentücher daraus klaut und überall seine Haare gleich büschelweise hinterlässt.

Der Fußkitzler, das war ein Mensch, der nachts die glatten Wände hoch kletterte, in Wohnungen einstieg und schlafenden Menschen an den Füßen kitzelte. Bis diese richtig begriffen, was ihnen da geschah, war er schon längst wieder auf dem Rückweg.

Nachdem wir eines Abends verdächtige Geräusche auf unserer Terrasse hörten, beschlossen wir, uns einen Wachhund zuzulegen. Es traf sich ganz gut, dass eine Hündin aus der Verwandtschaft sich gerade verbotenerweise mit einem Herrn eingelassen hatte. Wir versprachen, einen der Welpen zu nehmen und hofften so, gegen etwaige Attacken des Fußkitzlers und anderer böser Buben geschützt zu sein.

Sabine 1 kam mit acht Wochen zu uns. Sie war die Frechste aus dem Wurf der Sabines gewesen. Unserer kleinen Nichte gefiel der Name so gut, dass sie kurzerhand die Welpen als Sabines durchnummerierte.

Als Erstes änderten wir ihren Namen. Aus Sabine 1 wurde Ida. Als Zweites beschlossen wir, dass sie nie zu uns in Bett oder auf die Couch oder in einen Sessel darf. Wir richteten ihr ein kuscheliges Körbchen im Gang her. Dort blieb es ganze dreißig Minuten stehen. Dann stand es neben unserem Bett. Länger konnten wir das verzweifelte Jaulen nicht ertragen.

»Aber nur bis sie sich eingewöhnt hat!« versicherten wir uns gegenseitig. »Dann muss sie im Gang schlafen«. Sie hat nie mehr im Gang geschlafen und revanchierte sich dankbar, indem sie die Riemen unserer Sandalen zerbiss. Immer nur einen Riemen von einem Paar.

Zu uns ins Bett oder auf die Couch durfte sie natürlich nicht. Wenigstens so lange nicht, bis sie groß genug war, um alleine hinaufzuklettern ungefähr zwei Wochen nach ihrem Einzug.

Das erste Mal meckerte ich sie noch an. »He, was machst du denn da?« Sie drehte mir den Hintern zu, ging in die Hocke und pisste auf die Couch. Was musste ich auch so blöd fragen!

Hunde lieben es spazierenzugehen, dachte ich wenigstens. Sobald wir durch die Haustür traten, setzte sich unser Hund hin und bewegte sich keinen Millimeter vorwärts. Ich schleifte sie auf ihrem Hintern hinter mir her. Der Hals wurde immer länger, sie fing an zu röcheln. Passanten warfen mir böse Blicke zu. Vor lauter Angst, dass jemand den Tierschutzverein alarmiert, trug ich sie nun wochenlang spazieren.

Wir kauften uns mehrere Bücher über Hundeerziehung und stellten fest, das Ida uns längst erzogen hatte. Ganz ohne entsprechende Bücher zu konsultieren.

»Wie d Herr, sos Gscherr«, sagt man hier. »Wie das Frauchen, so der Hund«, befolgt Ida diesem Leitsatz. Bald wurde sie ebenso verfressen wie ich. Für ein Leckerli tat und tut sie beinah alles und lernte sehr schnell einige der Grundbefehle wie »Sitz« und »Platz«. Sogar »Bei Fuß« geht sie immer den Kopf direkt neben meiner Hand, in der sich die Leckerlidose befindet.

Sie bezweifelt, dass sie nicht der menschlichen Rasse angehört. Vielleicht hat sie deshalb so viele Dinge missverstanden. Sie bellt vor Freude, wenn jemand kommt, und knurrt gefährlich, wenn Besucherinnen gehen wollen.

Sie stammt zwar aus einem Lesbenhaushalt, aber ihr Lieblingsmensch ist ein mittlerweile junger Mann. Wenn er kommt, guckt sie uns nicht mehr an. Andere Männer sind ihr allerdings suspekt. Kommen zum Beispiel Handwerker, verkriecht sie sich schon mal unter dem Tisch oder hinter dem Sofakissen.

So viel zum Thema Wachhund. Wir müssen also weiterhin selbst beißen.

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