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Die Leiden der PFAGs

Habe ich eigentlich schon einmal erwähnt, dass Oma bei uns wohnt?

Na ja, wenigstens hatte ich gedacht, dass Oma bei uns wohnt – bis wir in die Fänge der Pflegeversicherung geraten sind. Seitdem sind die Liebste und ich zu PFAG s mutiert. Auf gut deutsch: zu pflegenden Angehörigen. Sich dagegen zu wehren, ist zwecklos. Wer mit pflegebedürftigen Angehörigen in einer Wohnung lebt, wird automatisch zu einem PFAG, wenigstens in den Augen der Gesellschaft, der Pflegeversicherung und des ambulanten Pflegedienstes.

Wir hatten uns das so schön vorgestellt: Oma wohnt bei uns und wird von einem ambulanten Pflegedienst gepflegt, während wir unserer gewohnten Arbeit nachgehen. Schließlich zahlen wir alle monatlich einen ziemlichen Batzen in jene Versicherung, die sich Pflegeversicherung nennt, und finanzieren damit die Pflege unserer alten Angehörigen. Verbunden mit der naiven Hoffnung, selbst einmal in den Genuss dieser Versicherung zu kommen

Vor dem ambulanten Pflegedienst steht der Medizinische Dienst der Krankenkassen. Deine Angehörigen brauchen Pflege?

»Nichts leichter als das«, versprach die Krankenkasse bereits nach dem fünften Anruf und schickte drei Wochen später ein Formular ins Haus. Wieso, weshalb, warum verlangt der Angehörige gepflegt zu werden? Nach Ausfüllen des Formulars und weiteren drei, vier, fünf Anrufen kommt dann auch eine Dame oder ein Herr des medizinischen Dienstes vorbei.

In unserem Fall handelte es sich das erste Mal um einen schnuckeligen jungen Mann. Es soll ja Heteras geben, die auf so was stehen, und Oma ist eindeutig hetera. Sie war hin und weg. Und sehr bemüht, den besten Eindruck zu machen. Locker erzählte sie, was sie so alles den Tag über trieb: den Garten umgraben, die Fenster putzen und gelegentlich tapezieren. Der schnuckelige junge Mann eilte erfreut von dannen.

„Keine Pflege nötig«, hieß es in dem Bescheid, gegen den wir natürlich postwendend Widerspruch einlegten. Und ebenfalls postwendend, nämlich bereits nach drei Monaten, kam der medizinische Dienst das zweite Mal vorbei. Fairerweise betone ich aber hier ausdrücklich, dass mit dieser jungen Frau vom Fach unser Einstufungsproblem von da an gelöst war.

Mit einer Einstufung versehen kann der Pflegedienst engagiert werden. »Wer die Wahl hat, hat die Qual« heißt ein altes Sprichwort. Das mag in der Stadt auch zutreffen. Auf dem Land heißt es: Wer keine Wahl hat, wird von dem einzigen Pflegedienst auf weiter Flur gequält.

Als PFAG ist frau nichts anderes als ein quengelnder Störfaktor. Diese Lektion haben die Liebste und ich schnell gelernt. PFAG s haben keine eigenen Bedürfnisse und Zeitvorstellungen zu haben. Arbeitende PFAG s, besonders wenn sie zu Hause arbeiten, sind nicht vorgesehen. Erst kommen die Bedürfnisse des Pflegedienstes, dann lange nichts. Dann die Bedürfnisse der Oma und wieder lange nichts. Berufliche Termine und Zeitvorstellungen der PFAG s sind so interessant wie der Nieselregen im November. Die Fachfrauen des Pflegedienstes sind ausgebildet und wissen, wie es geht. Und wenn sie es nicht wissen, dann müssen die PFAG s stets bereit stehen und es ihnen zu erklären. Und wenn es sein muss, täglich wieder neu.

»Machen Sie denn nie eine Übergabe?« platzt mir einmal der Kragen, als die dritte Schwester in fünf Tagen die Oma falsch in den Rollstuhl setzt. »Doch, aber über so was wird da nicht gesprochen«, antwortet sie beleidigt. Über was denn dann? Über den Nieselregen im November?

Über eineinhalb Stunden kommt die Schwester zu spät. Von einer Entschuldigung keine Spur. Inzwischen habe ich die Oma selbst aus dem Bett geholt und gewaschen. Meinen Vormittagstermin kann ich mir in die Haare schmieren. Als ich die Schwester darauf anspreche, versteht sie die Welt nicht mehr.

»Ich leite schließlich den Pflegedienst. Wenn ich zu den Leuten komme, gibt es immer viel zu besprechen. Da kann es schon mal später werden. Dafür müssen Sie doch Verständnis haben!« Ich habe kein Verständnis dafür, dass sie anscheinend nicht in der Lage ist, mit ihrem Handy zu telefonieren. Danach sehen wir sie nie wieder.

Dafür kommt die Schwester, die nebenbei die Fußpflege übernimmt, fast zwei Stunden zu früh. »Ha, Sie sind doch sowieso daheim und haben Zeit«, sagt sie zu mir, als ich sie auf ihr verfrühtes Kommen hinweise.

»Was treibt der denn?« wundert sich die Liebste über einen Pfleger, der bereits über eine Stunde Oma ins Bett bringt. Vorsichtig lugt sie durch den Türspalt. Er guckt Fußball. In der Nacht erhängt sich Oma beinah an der falsch angebrachten Pflegedecke. Der Hund hört sie röcheln und rettet ihr das Leben.

»Ich muss kacken.« Die laute Stimme von Oma ist zwei Zimmer weiter im Büro nicht zu überhören. Trotzdem klappt eine Minute später die Wohnungstür. Die Schwester ist gegangen und Oma sch… am Frühstückstisch in die Hose.

Mittlerweile hatten wir doch die Wahl, ganz ohne Qual. Nach drei ätzenden Jahren wechselten wir den Pflegedienst. Seitdem klappt es wie am Schnürchen.

In voller Dankbarkeit für Annette Mayerhöffer und ihr Team , die uns vor dem Nervenzusammenbruch bewahrten

 

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