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Es pfeift

Es war kurz nach 9 Uhr am Vormittag und ich gab mir gerade große Mühe, das O-Bein-Manuskript (Sie verlieben, sie trennen sich, sie finden wieder zusammen) eines Heteroliebesromans einigermaßen unvoreingenommen zu lektorieren, als ich ein Pfeifen registrierte. Nach gut zehn Minuten war der schrille gleichbleibende Ton immer noch nicht verschwunden und fing an, mir auf die Nerven zu gehen.

Gegen halb zehn war es mit meiner Konzentration vorbei und ich machte mich auf die Suche nach der Ursache oder eigentlich dem Verursacher. Irgendeiner meiner Nachbarn schien sich wohl handwerklich zu betätigen. Doch zu meiner Überraschung war es draußen ganz still, nur in der Ferne muhte ab und zu eine Kuh.

Im Haus pfiff es dafür um so lauter. Ich ging alle Zimmer ab, überprüfte die Waschmaschine, die Mikrowelle, den Wäschetrockner, den Gefrierschrank, alles Geräte, die mit einem Alarm ausgestattet sind und manchmal einen ähnlichen Ton von sich geben. Rauchmelder, Klingel, Wecker … gegen Mittag hatte ich so ziemlich jedes elektrische Gerät überprüft und dabei nur eines festgestellt: Dieses mittlerweile fast unerträgliche Geräusch kam wohl aus dem Bad. Ich drehte sämtliche Wasserhähne auf, für einen Moment übertönte das Rauschen alles andere, doch das konnte ja nicht die Lösung sein.

Die Liebste, die ich telefonisch in den Genuss des Pfeifens kommen ließ, fühlte sich an ein Faxgerät erinnert. Allerdings haben wir kein Fax und auch ihr nächster Rat, mal kurz die Hauptsicherung rauszudrehen, half nicht weiter. Hier pfiff etwas oder jemand ganz ohne Strom.

Schließlich zog ich mich mit den Hunden, die mich von Minute zu Minute vorwurfsvoller anstarrten, ins obere Stockwerk zu zurück, verrammelte die Zwischentüren und dreht Musik auf. Heraus kam ich erst Abend wieder, als unser Nachbar in den Hof fuhr. Obwohl er nicht so ganz zu verstehen schien, was ich eigentlich von ihm wollte, folgte er mir sofort ins Bad. Dort sah er sich ebenso irritiert und ratlos wie ich um und erklärte, so etwas nie noch gehört zu haben. Erneut drehten wir die Hauptsicherung raus, dann ging er den Keller und stellte das Wasser ab.

 

»Vielleicht ein Ventil?«, meinte er und rüttelte am Boiler, an der Uhr, stieß mit dem Fuß gegen die Waage unter dem Waschbecken. Das Pfeifen ließ sich davon nicht beeindrucken, ja es schien sogar an Stärke zuzulegen. »Da bleibt uns nichts anderes übrig, als systematisch vorzugehen« meinte er. »Wir müssen jetzt ein Teil nach dem anderen entfernen. Hoffentlich finden wir die Quelle, bevor die Wand aufgestemmt werden muss.«

Während ich den Läufer zusammenrollte, machte er sich daran, den Boiler abzuschrauben. Ich hob die Waage in die Höhe, das Pfeifen legte ein paar Phon zu und hörte sich nun nach der Feuerwehrsirene an … tja, wir hatten den Übeltäter gefunden. Hektisch versuchten wir, die Batterie zu entfernen. Das Gehäuse ließ sich nur mit Gewalt öffnen, aber ein paar Sekunden später herrschte himmlische Ruhe.

»Mir gehört die Waage nicht«, meinte die Liebste am Abend, als ich nach diesem schrecklichen Tag endlich bedauert werden wollte. »Vielleicht hast du ja jetzt endlich kapiert, dass diese Dinger nichts als Psychoterror betreiben.«

 

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