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Kleinkleckersdorfer Krampfanfälle

Blass und bleich schleppe ich mich Straße entlang. »Wie siehst du denn aus?« fragt eine Bekannte entsetzt, als ich sie zufällig treffe. »Bist du krank? Was sagt denn dein Arzt?«

Was soll er sagen? Nichts sagt er. Denn ich bin ja auch nicht krank, ich wohne nur in Kleinkleckersdorf, der Stadt mit dem besonderen Flair. Ein Hauch von Spießigkeit weht durch hiesige Gassen.

»Geht nicht! Gibt’s nicht! Haben wir schon immer so gemacht! DAS wollte noch nie jemand!« flüstert der Wind ununterbrochen, während er den Mief und Muff aus Jahrzehnten immer wieder rundherum bläst und viele Kleinkleckersdorfer deshalb vermeintlich glauben, frischer Wind wehe um ihre Nase.

Der Bürgermeister ist den Kleinkleckersdorfern abhanden gekommen. Einfach abgehauen ist er, weit weg in die nächste Großstadt. Nun regiert er anderswo, wahrscheinlich immer noch ohne zu wissen, wie ein Mailprogramm bedient wird, und ungewiss ist, wer die Lücke nun füllen soll.

Interessenten für seine Stelle gibt es mehr als genug. Gestandene Männer, die wissen, wo es im Leben lang geht und auf was es ankommt. Allesamt scheinen sie einen Teil ihres Lebens bei der Bundeswehr gewesen zu sein und haben erst das Gehorchen und dann das Kommandieren gelernt.

Wir machen es besser, versprechen sie treuherzig und unisono bei der Kandidatenschau. Ein bisschen erinnerte es mich an eine Hundeschau für Mischlinge … am Ende sollte der originellste Hund gekürt werden. Nun ja, auch ein Hund gehorcht auf Kommando und wartet auf den Tag, an dem er selbst mal kommandieren darf.

Und wir, wen küren wir? Ebenfalls den originellsten Kandidaten?

Was sie denn besser machen wollen, will einer wissen. Na alles, lautet die Antwort … fürs Detail ist leider keine Zeit.

Klar, die Kassen sind leer und Haushaltsmittel knapp. Aber wozu gibt es denn EU Förderungsmittel? Einfach nur einen Antrag ausgefüllt und schwuppdiwupp, ist Kleinkleckerdsdorf wieder reich.

Warum es dann der geflüchtete Vorgänger nicht gemacht hat, fragt einer und ein anderer sinniert: Großkleckersdorf ist pleite und Mittelkleckersdorf sowieso, wohnen dann dort nur Idioten, die des Lesens und Schreibens nicht mächtig sind? Denn sonst hätten sie doch schon längst die Förderanträge gestellt? Oder wie oder was?

Ich hätte dem Kandidaten mit der originellsten Antwort hundert Punkte gegeben, ehrlich. Doch leider, außer … drucks … äää … drucks … ähm … kam nichts heraus. Und das, meine Herren, war nun alles andere als originell.

Für eine bessere Verkehrsanbindung will sich einer einsetzen, was die Liebste und ich begrüßen. Leider will sich niemand dafür einsetzen, dass die Kleinkleckersdorfer Postagentur auch Briefmarken verkauft. Örtliche Industrie und Wirtschaft und Handel wollen alle unterstützen … Liebe Männer, wisst Ihr eigentlich, dass all das nur florieren kann, wenn es auch eine funktionierende Post vor Ort gibt?

Mit einem Waschkorb voller Büchersendungen geht die Liebste zur Postagentur. Mit einem Waschkorb voller Büchersendungen und hochrotem Kopf kommt sie wieder zurück. Keine Briefmarken, leider, vielleicht nächste Woche? »Da kommen sie ganz bestimmt«, schwört der Postagent.

Soll ich meinen KundInnen nun schreiben: »Leider kann Ihre Bestellung nicht versendet werden, da die Post keine Briefmarken hat. Warten Sie bitte noch eine Woche!« Ob mir das jemand glaubt?

Mit inzwischen zwei Wäschekörben voller Büchersendungen fahren wir in die nächste Stadt, dorthin wo der alte Bürgermeister nun den Büttel gibt. Dort gibt es Briefmarken. Dort gibt es sogar eine Maschine, die passendes Porto ausdrucken kann.

Schluchzend klagen wir unser Leid. Und erfahren, auch der hiesige Postagent hat so eine Maschine zum Porto drucken. Wahrscheinlich hat ihm niemand gezeigt, wie er es bedienen muss, wird vermutet … einfach Code 1114 eingeben und fertig ist die Briefmarke für eine Büchersendung … für den unwahrscheinlichen Fall, dass die eine oder andere unter euch ebenfalls in einem Kleinkleckersdorf lebt. Denn unser Kleinkleckersdorf ist einzigartig, andersfalls würde die Pharmaindustrie mit der Herstellung von Valium und Konsorten nicht mehr nachkommen.

Wir sollen es ihm erklären, wird uns aufgetragen. Erst nicke ich, später überlege ich es mir anders. Ich mache eh schon einen Teil seines Jobs. Ich habe ihn bereits informiert, dass zu SEINEM Sortiment eine Rubrik namens Presse und Buch international gehört und darüber aufgeklärt, wie eine Büchersendung in die USA verschickt wird, und wo er das Porto für Österreich herausfinden kann.

Ich habe die Schnauze gestrichen voll, unbezahlt seinen Job zu machen. Allerdings habe ich auch die Schnauze gestrichen voll, mit Waschkörben voller Bücher auf Reisen zu gehen.
Benzin gehört nicht zu meiner Kalkulation, ebenso wenig die vielen Stunden Arbeitszeit, die ich damit verbringe, verzweifelt und vergeblich meine Post auf den Weg zu bringen. Und der Erwerb mehrerer Waschkörbe wird mir das Finanzamt bestimmt auch nicht als Betriebskosten abnehmen.

Bevor hier EU Mittel zur Wirtschaftsförderung beantragt werden, sollte wohl erst mal die Postagentur auf Vordermann gebracht werden. Denn auch diese Anträge werden doch mit der Post befördert und ereichen bei den jetzigen Zuständen ihr Ziel nie. Doch, wie gesagt, die Vorhaltung von Briefmarken hat keiner der Kandidaten im Programm.

Nun ist die Liebste seit einigen Tagen mit Brief und Siegel der IHK Mediengestalterin, Fachrichtung Design, Unterabteilung Print (oder so ähnlich) …., nebenbei Glückwünsche werden gern entgegen genommen … und wir können uns ungefähr ausrechnen, was all die Hochglanzprospekte gekostet haben, die Kandidat x und Kandidat y und Kandidat z verteilen. Leider schreiben sie nie dazu, wer diese Prospekte so fehlerreich gestaltet und schon gar nicht, wer sie finanziert hat.

Das würde mich zum Beispiel brennend interessieren, wer steht hinter den gestandenen Männern? Welcher politischen Richtung gehören sie an? Stehen sie einer Partei nahe, die Homophobie auf ihre Fahnen geschrieben hat? Mit wem aus Kleinkleckersdorf sind sie verbandelt? Wen soll ich da eigentlich wählen?

Einer ist so ehrlich und zählt wenigstens auf, welchen Vereinen er angehört. Aber ein verbeamteter Vereinsmeier, der am Ende vielleicht nicht mehr weiß, ob er den Hühnerzüchterverband leitet oder die Stadt, ob der wohl der Richtige wäre?

Ausgerechnet der Kandidat, der wenigstens auf dem Papier uns noch am meisten ansprechen würde, drängt uns seinen Prospekt zwangsweise auf. Der seit Jahren zugeklebte Briefkasten wird aufgerissen, der Hinweis: Keine Werbung! ignoriert.

Na ja, es handelt sich hier ja auch nicht um Werbung, sondern um kommunalpolitische Information, und außerdem war das seine Frau, die es aber nicht war … antwortet der Kandidat flott auf meine Mail. Wenigstens kann er ein Mailprogramm bedienen, denke ich, was immerhin EIN Fortschritt für die Kleinkleckersdorfer wäre.

Wir legen Oma die Kandidatenköpfe vor und fragen, wen wir wählen sollen und wen sie wählen will. Ihre Kommentare, die wohl den Tatbestand der Beleidigung erfüllen würden, gebe ich hier nicht wieder. Außerdem vermisste sie eine Kandidatin.

Vielleicht melden wir Oma noch als Kandidatin an. Eine Frau ihrer Generation ist daran gewöhnt, aus einer Kartoffel und einem Büschel Brennnessel ein Fünfgänge Menü zu kochen. Sparsamkeit, nicht zu verwechseln mit Geiz, ist ihr in Fleisch und Blut übergegangen. Sie bräuchte keine Fördermittel, um die Wirtschaft wieder in Gang zu bringen. Energisch war sie schon immer für Drei, kommandieren kann sie besser als ein General und Briefmarken wären wahrscheinlich schneller wieder in Kleinkleckersdorf als der Postagent gucken kann.

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