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Krankes Gesundheitswesen 5

Das Krankenhaus Hardheim kannte ich bisher nur vom Hörensagen. Weltfremd, wie ich in manchen Dingen leider bin, lagen die Zustände dort weit außerhalb meiner Vorstellungskraft. Die Zimmer hätten die Größe von Abstellkammern, lese ich Wochen später in einem Bewertungsportal und leider kann ich den Schreiber nur bestätigen. Knapp 10 qm sind vollgestopft mit zwei Krankenbetten, Nachttischen und Stühlen. In der Ecke neben der Tür verbirgt ein Vorhang ein Waschbecken. Gemeinschaftsduschen und Toiletten befinden sich auf dem Flur.

Ich befinde mich wieder einmal im »mir alles egal« Modus, während die Liebste ihr Entsetzen laut äußert und schließlich ein Bett in einem Privatzimmer organisiert. Für zusätzliche 45 Euro am Tag teile ich mir dann ein etwas größeres Zimmer, Toilette und Dusche mit nur einer weiteren Patientin. Mit im Preis enthalten sind laut einer Broschüre Bademantel, täglich frische Handtücher und eine Tageszeitung. Leider scheint niemand von der Krankenhausleitung dem Personal erzählt zu haben, was in der Broschüre steht. Einen Bademantel brauche ich sowieso nicht, aber auch die Handtücher gibt es immer nur nach mehrmaligen Nachfragen. Am Ende benutze ich meine eigenen, die die Liebste regelmäßig frisch gewaschen von zuhause mitbringt.

Direkt nach der Operation bitte ich um eine Beruhigungstablette, mir schwebt dabei so was wie eine Valium oder Tavor vor. Ich will einfach für ein paar Stunden abschalten können. Irgendwie reden der Arzt und ich aneinander vorbei, denn er verordnet mir ein Antidepressiva als Dauermedikation. Neben extremer Müdigkeit wird Lichtempfindlichkeit als eine der vielen weiteren Nebenwirkungen genannt, wie die Liebste später im Internet nachliest.

Eine der Schwestern – nach zwei Tagen nennen wir sie hinter vorgehaltener Hand Schwester Monster – scheint davon keine Ahnung zu haben. Sie beschimpft mich mehrmals, weil ich kaum meine Augen offenhalten kann, und nennt mein Verhalten eine Unverschämtheit ihr gegenüber. Mein ständiges Gejammere über die Schmerzen geht ihr ebenfalls auf die Nerven. Als sie gemeinsam mit einer anderen Schwester mir einen Thrombosestrumpf auf das rechte Bein zieht, stützt sich dabei eine von ihnen mit dem Ellenbogen auf dem linken operierten Bein ab. Ich schreie auf und höre: »Jetzt jault sie schon beim gesunden Bein.«

Blutabnehmen ist bei mir keine einfache Sache, ich habe sehr schlechte Venen und im Lauf der Jahre haben schon viele schwitzende Ärzte und nervöse Krankenschwestern es an allen möglichen und unmöglichen Körperstellen versucht. Obwohl sie mir dabei oft ziemlich weh getan haben, hatte ich meistens Mitleid mit ihnen. Ich wollte bei mir auch kein Blut abnehmen müssen. Niemand hatte sich allerdings bisher so aufgeführt wie Schwester Monster. Sie schimpft wie ein Rohrspatz, während sie immer wieder vergeblich zusticht und behauptet, wenn ich nicht ständig zucken würde, wäre das alles kein Problem.

Erst mehrere Tage nach der Operation erlöst mich ein Zufall von Schwester Monster. Bei einer Visite wird endlich das Missverständnis mit den Antidepressiva geklärt. Wir sprechen über die Nebenwirkungen und die Tabletten werden sofort abgesetzt. Es stellt sich heraus, dass eine Ärztin mit dem Namen Nele Tabler etwas anfangen kann. Sie hat den Regionalkrimi »Winterhauch« gelesen. Keine Ahnung, ob es mit einem gewissen ländlichen »Promistatus« zusammenhängt oder sie befürchtet, im nächsten Krimi als Vorbild für eine bösartige Mörderin herhalten zu müssen. Ab jetzt kommt Schwester Monster jedenfalls nur noch zu mir, wenn es unumgänglich zu sein scheint, und pflegt einen neutralen professionellen Umgangston. Ansonsten überlässt sie mich dem anderen Pflegepersonal.

Während ich im Bett liege, viel schlafe, stundenlang Fernsehen gucke oder Candy Crush Soda spiele, rast die Liebste Hunderte von Kilometern zwischen Arbeitsstelle, Krankenhaus, Hunden und Waschmaschine hin- und her. Nebenbei telefoniert sie noch mit unzähligen Reha Kliniken wegen der anschließenden Heilbehandlung und verzweifelt beinah an unserem Gesundheitssystem.

Einheitliche Standards scheint es nicht zu geben und was soll man eigentlich von einer Klinik halten, die damit angibt, ein Dauer-EKG Gerät zu besitzen? Letztendlich fällt die Entscheidung für Bad Schönborn, auch weil es dort direkt im Anschluss an den Krankenhausaufenthalt einen freien Platz für mich gibt.

Langsam realisiere ich, was man mir über die Operation erzählt. Ganz so glatt, wie sie im Vorfeld geplant worden war, ist es anscheinend dann doch nicht verlaufen. Die Hüfte musste einzementiert werden, weil die kaputte Schraube ein großes Loch in einen Knochen geschlagen hatte. Der Arzt erzählt von »Schmodder«, nekrophilen Gewebe, einem abgestorbenen Stück Knochen. Davon sei eine Probe eingeschickt worden und nun müsse man auf das Ergebnis warten. Voller Ekel denke ich an die Knochen, die unsere Hunde hier und da mal vergraben. Wie glitschig sie nach einigen Monaten aussehen und stinken. Und so was Ähnliches hat sich wochenlang, wenn nicht sogar monatelang, in meinem Körper befunden.

Die für mich wichtigste Frage jedoch kann oder will niemand beantworten. Wie konnte das passieren? Normal kann es wohl nicht sein, wenn eine Dynamische Schraube ein paar Monate nach dem Einsetzen bricht. Ärztlicher Kunstfehler? War sie irgendwie falsch befestigt worden? Oder handelt es sich vielleicht um einen Materialfehler? Hatte ich neben all dem anderen Pech nach der ersten Operation zusätzlich noch ein Montagsprodukt erwischt?

Ein sehr böser Verdacht taucht auf, war mir vielleicht ein gebrauchtes Teil eingesetzt worden? Die Liebste erklärt mich erst für verrückt, dann googelt sie nächtelang. Danach hält sie diese Theorie für nicht mehr ganz so abwegig. Besonders die handschriftlichen Eintragungen im Implantatpass machen sie misstrauisch. Normalerweise werden dort nämlich die jeweiligen Etiketten eingeklebt.

Die Ärzte weigern sich standhaft, mir in dieser Hinsicht weiterzuhelfen. »So etwas kommt schon mal vor«, versuchen sie abzuwiegeln und meinen, ich solle doch einfach froh und dankbar darüber sein, mich jetzt auf einem guten Weg zu befinden.

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