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Krankes Gesundheitswesen 8

Statt in der Reha laufen zu lernen und auch allgemein körperlich fitter gemacht zu werden, bin ich erneut zuhause gelandet und soll abwarten, bis die Wunde endgültig verheilt ist. Die meiste Zeit liege ich auf dem Bett, tue mir selbst unheimlich leid, glotze Fernsehen und schlucke in regelmäßigen Abständen Schmerztabletten. Jeden Abend jage ich mir eine Thrombosespritze in den Bauch. Gelegentlich schaut mir die Liebste bewundernd dabei zu und bekommt erneut Wut über die vielen blauen Flecken in verschiedenen Schattierungen auf meinen Bauch. Ganz im Gegensatz zu den Spritzen der Schwestern im Krankenhaus Hardheim und in Bad Schönborn hinterlassen meine Einstiche keine Spuren.

»Gelernt ist halt gelernt«, bestätige ich jedes Mal wieder und sehe Schwester Elsa, meine Ausbilderin während eines Pflegegrundkurses leibhaftig vor mir. Sie war sehr streng gewesen und ließ uns Schülerinnen nicht den kleinsten Fehler durchgehen. Hinter ihrem Rücken beschimpften wir sie als alten Drachen, hatten Angst vor ihr und schwitzten Blut und Wasser, wenn sie uns in die Mangel nahm. Eigentlich war sie schon lange aus meinem Gedächtnis verschwunden, erst mit dem Oberschenkelhalsbruch und den Krankenhausaufenthalten kehrte die Erinnerung an sie zurück.

So manches Mal wünschte ich mir, Schwester Elsa käme mal kurz aus dem Himmel zurück und würde dem Pflegepersonal um mich herum ebenso drastisch die Meinung geigen wie einst uns während der Ausbildung. Zum Beispiel, als ich direkt nach der Hüftoperation von zwei Schwestern im Krankenbett zur Röntgenabteilung geschoben wurde. Sie unterhielten sich angeregt kichernd über einen geplanten Kaffeeklatsch, achteten kaum auf die Umgebung und knallten mehrmals das Bett mit Karacho gegen Wände und Türrahmen. Die Erschütterungen fühlten sich nach einem Erdbeben an. Ich wurde von Kopf bis Fuß durchgeschüttelt, was meine Schmerzen noch schlimmer werden ließ und ich nicht anders konnte, als verzweifelt loszuheulen.

Bei einer anderen Gelegenheit öffnete ein Jungspund die Tür und fragte, ob ich neues Eis bräuchte? Kein Eis zum Essen, es war zur Kühlung der Wunde gedacht. Als ich bejahte, warf er einen schweren Eisbeutel von der Tür aus in Richtung meines Bettes. Er landete am Fußende, wo ich ihn ließ, bis das Eis sich in einen großen nassen Fleck verwandelt hatte.

Einmal am Tag kommt eine fröhliche Schwester der Sozialstation vorbei und wechselt den Verband. Sie empfiehlt mir, zerstoßene Eierschalen zu essen, um die Knochenheilung zu unterstützen. Außerdem schlägt sie vor, eine Pflegestufe zu beantragen, dann könne sie mir auch beim Waschen und Anziehen helfen. Glücklicherweise kann mich wenigstens solange zusammennehmen, bis sie das Haus wieder verlassen hat. Erst dann fließen die Tränen und fange ich an zu brüllen. Mühsam unterdrücke ich den Wunsch, irgendeinen schweren Gegenstand an die Wand zu schmeißen. Was denkt die sich eigentlich? Noch bin ich kein Pflegefall, noch nicht.

Erst Stunden später kann ich in Ruhe darüber nachdenken, wie ich zurzeit auf Fremde, die eigentlich nichts von mir wissen, auf Menschen wie diese Schwester wirken muss.

Irgendwann hatte der ständige Haarausfall aufgehört, gerade noch rechtzeitig, bevor mein Kopf eine richtige Glatze zierte. Die wenigen übriggebliebenen Haare allerdings erinnern mehr an Fuseln. Sauerkrautlocken, hätte meine Oma dazu gesagt, und sie erscheinen in einem dreckigen Grau, weil ich mich davor scheue, sie dem Stress einer Färbung auszusetzen. Am Ende verabschieden sie sich dann doch noch komplett.

Beim Erstgespräch mit der Schwester von der Sozialstation haben wir uns ganz auf meine Krankengeschichte konzentriert, allein die hatte schon beinahe eine halbe Stunde in Anspruch genommen. Meine Lebensumstände waren nicht zur Sprache kommen, nur wegen einer Frage auf einem der vielen Formular weiß sie, dass ich keinen Arbeitgeber habe. Möglicherweise hält sie mich für eine Rentnerin und zusammengenommen mit allem anderen, ist es wahrscheinlich wenig verwunderlich, dass sie in mir einen potenziellen Pflegefall sieht.

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