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Lesbischer Geschichtsunterricht

Lang, lang ist es her, nämlich mehr als dreißig Jahre. Ich war damals noch jung und knackig, trug Latzhosen oder indische Wickelröcke und färbte meine Haare mit Henna. Die Liebste hatte gerade die Grundbegriffe des Lesens und Schreibens und Rechnens so richtig begriffen und trug kurze Lederhosen, als in Deutschland (West) Lesben zum ersten Mal so richtig ins Licht der Öffentlichkeit rückten.

Eine Tatsache, die damals allerdings weder die Liebste noch ich so richtig wahrnahmen. Sie war damit beschäftigt, ihre Brüder zu verkloppen, und ich kämpfte Seit an Seit mit bärtigen Genossen für die Weltrevolution. Wenn ich mich richtig erinnere, waren weder im Marxismus-Leninismus noch bei Mao Lesben vorgesehen. Die Frauenfrage allgemein sollte ja erst nach Abschaffung des Kapitals geklärt werden.

Lesbische Frauen sind »bizarre Abartige, die vor nichts zurückschrecken; triebhafte Ungetüme, deren Leidenschaft zu den grausamsten Konflikten führen kann: zu verlassenen Kindern und zerrissenen Ehen, zu aller Art Unglück, Tötung, Selbstmord, Mord« schrieb die Bildzeitung im August 1974 und berief sich dabei auf einen Kriminologen, in dessen Lehren die damaligen Polizeischüler unterrichtet wurden.

Anlass war der sogenannte Hexenprozess. In dem Städtchen Itzehoe saßen zwei Frauen auf der Anklagebank, die aus einem »lesbischen Wahn« heraus den Ehemann der Einen um die Ecke gebracht haben sollten.

Es rauschte heftig im deutschen Blätterwald. Von »lesbischen Verstrickungen« schrieb die Welt, und das Hamburger Abendblatt sprach von »Abgründen sexueller Verwirrung«. Die Münchner Abendzeitung wusste genau, wie es gewesen war: Bei leiser Musik liebten sie sich ununterbrochen, während sie den Tod des Ehemanns planten.

Bereits 1922 habe schon einmal ein lesbisches Pärchen den Ehemann der Einen umgebracht, tönte eine Schmuddelillustrierte und warnte alle Männer, die beste Freundin der Ehefrau etwas genauer unter die Lupe zu nehmen.

Fast alle Lesben lebten damals noch versteckt. Sie legten sich fiktive Verlobte zu, hatten Bildchen von männlichen Verwandten im Geldbeutel, um bei Bedarf einen Freund vorzeigen zu können, und deklarierten die Geliebte als Cousine, die vorübergehend bei ihnen wohne.

Wagten sie dennoch, »sozial lebensfähig zu sein« (O-Ton eines Gynäkologen) und aus ihrem Versteck heraus, erging es ihnen schlecht.

Einer lesbischen Abteilungsleiterin des großen Westberliner Kaufhauses KaDeWe wurde gekündigt. Sie sei ein moralischer Störfaktor, hieß es, und eine Gefahr für weibliche Lehrlinge.

Eine Röntgenassistentin, die sich gegen sexuelle Belästigung ihres Vorgesetzten gewehrt hatte, indem sie durchblicken ließ, sie sei lesbisch, wurde gar zum obersten Chef, dem Berliner Innensenator, zitiert. Eine Lesbe im öffentlichen Dienst war ein Politikum. Ein Chef, der Untergebene sexuell belästigte, eine tolerierte Selbstverständlichkeit.

Der Spiegel damals wie heute darum bemüht, verkaufsfördernde Sensationsgeschichten mit einem Hauch von Pseudoseriosität zu verkleiden, nutzte die Gelegenheit zu einer Titelgeschichte über Lesben.

Siegel Cover Frauen lieben Frauen

»Frauen lieben Frauen. Die neue Zärtlichkeit«, hieß es auf dem Cover, wo eine Frau die Brust einer anderen streichelte. Das Ganze gedämpft verzerrt, um nicht in den Geruch eines Pornomagazins zu kommen. Denn dort und nur dort hatten bisher Lesben ihren Platz gehabt.

Um eine Erklärung bemüht, sparte der Spiegel nicht mit wissenschaftlichen Deutungen. Von einem Ostberliner Professor wird berichtet, der Homosexualität für eine vorgeburtliche Hormonstörung hielt, bewiesen an Versuchen mit Tausenden von Mäusen und Ratten. Psychologen hingegen hatten herausgefunden, dass übergroße Mutterliebe und starker Vaterhass dafür verantwortlich seien. Mutterhass und Vaterliebe hingegen machten die Soziologen als Ursache aus.

Die gerade aufbrechenden Softies, die Frauenversteher, wussten genau, wieso, weshalb, warum: Diese Frauen wurden einfach nicht richtig sexuell befriedigt, hatten noch nicht den Richtigen getroffen, waren von Männern misshandelt und vergewaltigt worden. Ein paar Gespräche, einige Streicheleinheiten und schon würde aus der Lesbe wieder eine Hetera werden.

Nicht so zartfühlende Männer gaben den Feministinnen die Schuld. »Sie gehören einfach mal richtig durchgefickt!« war eine weitverbreitete Meinung, die sich, wie viele von uns sicher schon mal zu hören bekommen haben, bis heute gehalten hat.

Angeblich litten mindestens 25% der lesbischen Frauen so schrecklich unter ihrer Veranlagung, dass sie sich nichts sehnlichster als eine Therapie wünschten, wie eine Sexologin, was auch immer das sein mag, herausgefunden haben wollte.

In ihrer Studie fand der Spiegel dann auch die Erklärung für den Gattenmord in Itzehoe: Lesbische Frauen seien derart verletzbar, labil und bedroht, dass es der Absicherung von Beziehungen ständig neuer Vertrauensbeweise und Treueschwüre bedürfe. Ganz nach dem Motto: »Liebst du mich? Dann murks mal schnell meinen Mann ab!«

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