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Mengenlehre der lesbischen Art oder wie alles anfing

Was ist das?

Wenn A B liebt, mit C zusammen ist, mit D einst eine Affäre hatte und mit E sich mal bei einem One-Night-Stand vergnügte, während F mit D in einer Beziehung lebt und G und E gerade liiert sind, wobei E auch schon mal ein Auge auf B geworfen hatte …

Ganz klar, das ist lesbische Mengenlehre. Am Ende kommt als Schnittmenge absolutes Chaos heraus. Lesben wissen, wovon ich rede, und alle anderen müssen eben ihre Fantasie anstrengen.


»Steck zehn Lesben zusammen in einen Raum, und du bist zwei Tage lang beschäftigt, die diversen Beziehungsarten untereinander zu entwirren«, sagte mal eine Bekannte.

An einem Samstagmittag im Oktober veränderte sich mein Leben radikal. Die Liebste trat in mein Leben. Na ja, ganz genau genommen war es umgekehrt: Ich trat in ihr Leben. Denn ich betrat unsere Küche, in der sie bereits war.

Aber ob nun sie oder ich oder wir gegenseitig getreten sind, ich sah sie und wusste nach einer Minute, die oder keine! Dass sie bei diesem ersten Zusammentreffen gerade auf einem Schoß einer anderen Frau saß, störte natürlich ein wenig.

Allerdings, wo hätte sie sonst sitzen sollen? Unsere Küche war winzig, wir hatten nur zwei Stühle und einen Hocker. Und der Hocker gehörte dem Kater, der alle in die Waden biss, die es wagten, sich daraufzusetzen. Schließlich war dieses Möbel eigens für ihn bei Ikea angeschafft worden. Deshalb ließ ich mich auch auf der Spüle nieder. Von da oben hatte ich dann sowieso den besten Blick auf dieses wunderbare Wesen.

Auf dem zweiten Stuhl saß die Frau, mit der ich damals zusammenwohnte. Die Betonung liegt hierbei auf Wohnen, es war eine Wohngemeinschaft.

Die Liebste, die damals noch nicht die Liebste war und auch nicht ahnte, dass ich gerade beschlossen hatte, sie zur Liebsten zu machen, wohnte mit der Frau zusammen, auf deren Schoß sie saß. Beziehungsweise, sie war gerade dabei, mit dieser Frau zusammenzuziehen.

Deshalb war sie auch nur zu uns gekommen, sie wollte sich die Schleifmaschine ausleihen. Natürlich nur für den Holzboden der neuen Wohnung, nicht um dieser Frau das Gesicht zu polieren. Auf diese Idee kam sie erst einige Monate später.

Die Frau, mit der ich zusammenwohnte und mit der ich, was allerdings recht nebensächlich ist, bevor wir zusammenwohnten, eine kurze Affäre gehabt hatte, hatte mit der Frau, auf deren Schoß die Liebste saß, ebenfalls mal eine Affäre gehabt.

So weit, so gut … Könnt Ihr noch folgen? Frau auf Stuhl, noch eine Frau auf Stuhl, Frau auf Schoß, Frau auf Spüle, bissiger Kater auf Hocker …

Die Frau, auf deren Schoß die Liebste saß, war allerdings der Meinung, sie habe mit der Frau, mit der ich zusammenwohnte, eine richtig feste Beziehung gehabt. Eine Beziehung, die erst durch die Wohngemeinschaft mit mir zerstört worden sei. Und sie war, wie sich später herausstellte, wild entschlossen, diese Beziehung wieder herzustellen. Dass das Objekt ihrer Begierde inzwischen in einer neuen und wirklichen Beziehung lebte, war ihr nicht klar.

Das unschuldige Lämmchen in unserem Kreis war die Liebste. Sie kannte uns nicht, hatte die Frau, auf deren Schoß sie saß, erst kurz vorher zwecks Gründung einer Wohngemeinschaft kennengelernt. Sie war keine Szenegängerin und ihr Coming Out lag noch nicht lange zurück. Sie hatte keine Ahnung von den Verstrickungen der Damen untereinander und dachte tatsächlich, sie sei wegen der Schleifmaschine in unsere Küche geraten.

Mit von der Partie in dieser Mengenlehre, allerdings nicht zu diesem Zeitpunkt in unserer Küche, war dann noch eine Hetera, in die die Frau, mit der ich zusammenwohnte, einmal glühend verliebt gewesen war. Allerdings hatten alle Bekehrungsversuche trotz der intensiven Lektüre von Jill Johnston* nichts gefruchtet, und mittlerweile waren die Beiden nur noch gut befreundet.

Die Frau, auf deren Schoß die Liebste saß, hatte diese Hetera ohne deren Zutun zu ihrer »besten Freundin« gekürt … was dazu führte, dass ausgerechnet eine Hetera die Wohngemeinschaft zwischen der Liebsten und der Frau, auf deren Schoß sie saß, arrangierte. Sie war es gewesen, die die Kleinanzeige der Liebsten »Suche Mitbewohnerin« entdeckt und weitergegeben hatte.

Und das, obwohl sie einmal geschworen hatte, sich nie in das Leben anderer und besonders nicht in das Leben von Lesben einzumischen. Sie empfand lesbische Beziehungen als zu kompliziert. »Ich blicke da nicht mehr durch«, sagte sie gelegentlich und fügte hinzu: »Ihr Lesben habt doch alle einen Knall!«

Irgendwann schnappten sich die Liebste und ihre Mitbewohnerin die Schleifmaschine und verließen uns. Vorher lud ich sie noch schnell zu unserem abendlichen Fest ein.

Doch als ich sie Stunden später wieder sah, saß sie zu meiner Empörung abermals auf dem Schoß dieser Frau! Diesmal im schönen großen Fernsehsessel meiner Mitbewohnerin. Dafür gab es nun gar keine Entschuldigung! Es war zwar eng, aber es waren noch genügend andere Sitzgelegenheiten da.

Nach kurzem Überlegen reklamierte ich den großen Sessel für mich und meinen kranken Rücken, aua, aua, und sorgte dafür, dass die beiden weit auseinander Platz nahmen. Die Liebste quetschte ich zwischen zwei quasselfreudige Heteropärchen auf der Bank, und der Anderen stellte ich die neue Beziehung meiner Mitbewohnerin vor.

Danach waren die Beiden so beschäftigt, dass ich den Fernsehsessel dem Kater überlassen und mich in der Küche der Essensvorbereitung widmen konnte.

* The Lesbian Nation, „Alle Frauen sind lesbisch, manche wissen es nur noch nicht!“

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