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Probieren wir es mal mit einer Ratte

Die Ratte kriecht in meinen Mund, langsam fängt sie an, im Rachenraum zu nagen. Ich beginne zu würgen, versuche sie auszuspucken und bemerke, wie ich langsam keine Luft mehr bekomme. Nach Atem ringend und hustend werde ich endlich wach.

Erbrochenes und Schleim haben sich in meiner Luftröhre und Nase festgesetzt. Die Liebste kommt mir zu Hilfe und klopft mir auf den Rücken, bis ich endlich einen Teil des Abendessens ausgespuckt habe. In meinem Hals fühlt sich alles wund an, es brennt wie Feuer, dagegen scheinen nicht mal die zwei Liter Wasser, die ich in mich hineingeschüttet habe, zu helfen.

Ist es möglich, im Schlaf wegen eines Albtraums an Erbrochenen zu ersticken? Es scheint so, wenn ich den Suchergebnissen im Internet Glauben schenken soll. Obwohl in diesem Zusammenhang immer die Rede von Alkohol oder Schlaftabletten ist, beides Dinge, die bei mir in der Nacht von Samstag auf Sonntag keine Rolle gespielt haben – möglich, dass mich diese Tatsache vor dem Erstickungstod bewahrt hat.

»Tröstet es dich, wenn ich dir sage, dass in diesem Fall dann wenigstens die Ermittlungen nicht gleich wieder eingestellt worden wären?« fragt eine Freundin, als ich ihr am nächsten Morgen davon erzähle. Sie hat es kaum ausgesprochen, als ihr selbst schon bewusst wird, wie falsch diese Annahme ist. »Quatsch, du hättest ja gar nichts mehr von deinem Traum erzählen können.«

Ich habe intensiv darüber nachgedacht, ob und wie ich über die Nacht von Samstag auf Sonntag schreiben soll, und alle Fürs und Widers sorgfältig gegeneinander abgewogen. »Don’t feed the trolls«, spuckte mir dabei natürlich ständig im Kopf herum. Die Vorstellung, dass »Nomen Nescio« das hier lesen und vor Freude in Luft springen wird, weil er beinah – und sicher unabsichtlich, denn er konnte ja nicht ahnen, wie ich reagieren würde eine perfekte Mordmethode entdeckt hätte, lässt mir die Haare zu Berge stehen und könnte vor lauter Ekel gleich noch mal kotzen.

Allerdings ist die Wut so groß, dass ich nicht mehr länger so tun will, was wäre nichts passiert. Ich befürchte, gerade weil ich in den letzten Wochen viele Dinge einfach verdrängt und in der Rubrik »Idioten, bloß nicht darüber nachdenken« abgelegt habe, konnten sie mich bis in meine Träume verfolgen.

Drohmails, ätzende Kommentare, gelegentliche Anrufe usw. gehören schon so lange zu meinem Alltag, dass es beinah zwei Monate dauerte, bis mir endlich die stete Steigerung seit Anfang April auffiel. Zunächst glaubte ich an einen Zusammenhang mit der re:publica und der Diskussion über »Gewalt gegen bloggende Frauen«. Mittlerweile bin ich mir da nicht mehr so sicher, denn neben den altbekannten, allgemein gehaltenen Sprüchen wie: »Du gehörst mal durchgefickt«, wird mehr und mehr auf ein bestimmtes Thema Bezug genommen.

Anfang letzter Woche war ich die Sache so leid, dass die Karnele zum ersten Mal seit Bestehen kurzzeitig offline ging. Kaum wieder online, begann etwas, was ich als »Hackversuche« bezeichne, weil mir keine andere vernünftige Erklärung dafür einfällt.  Da ich es potenziellen Nachahmern nicht zu leicht machen will, erspare ich mir die weiteren Details. Die Liebste begann zornig, mich zu drängen, »irgendwas zu unternehmen«, denn meine Laune war mittlerweile im tiefsten Keller und sie wollte nicht als mein Blitzableiter herhalten.

So rief ich zunächst bei Arcor an: »Ein Kunde von Ihnen versucht, meine Webseite zu sprengen.« Erst völliges Unverständnis, dann angeblich Rücksprache mit einem Experten und schließlich die Auskunft: »Unsere Kunden können machen, was sie wollen. Das interessiert uns erst, wenn Sie ebenfalls zu Arcor wechseln.«

Mein Provider 1&1 toppte das Ganze noch und ein pampiger Mann erklärte mir ernsthaft: »Kappen Sie Ihre DSL Leitung!«, zog dann ebenfalls Kolleg_innen zurate und kam zu dem Schluss, dass ihn das nichts anginge. »Gucken Sie mal in unserer Hilfe-FAQ.« Zehn Minuten danach erreichte uns eine Mail von 1&1: »Waren Sie mit unserem Support zufrieden?«

Es ist schon lange Gewohnheit, gewisse Mails erst gar nicht zu lesen, sondern sofort zu löschen. Ganz wie es die Polizei in Stalkingfällen empfiehlt: »Warum wollen Sie sich das antun?« Voraussetzung hierbei ist natürlich, dass ich in der Betreffzeile oder an zwei, drei weiteren Merkmalen gleich erkennen kann, worum es sich handelt.

Gelegentlich mache ich auch freiwillig eine Ausnahme, weil irgendwas mich hat neugierig werden lassen. So wie neulich, als es hieß: »Bis du Lebosfotze stirbst.« Dieses Wort war für mich neu, der Inhalt der Mail allerdings nicht. Sie endet mit den Worten: »Ich werde dich ficken bis du stirbst.« Schließlich stellte sich heraus, dass es sich um eine Art Rundmail an bloggende Lesben handelte.

Bei der Mail, die letzten Freitagnachmittag bei mir eintraf, bin ich einfach nicht aufmerksam genug gewesen, keine Ahnung warum. Und selbst nachdem ich angefangen hatte, den Text zu überfliegen, habe ich nicht sofort geschaltet. Mein erster Gedanke war, PETA berichtet mal wieder etwas über widerliche Tierversuche. Es dauerte, bis ich verstand, dass hier jemand ausführlich beschrieb, auf welche Art eine Ratte in meinen Körper eingeführt wird und wie sich diese sich dann ins Freie frisst.

 

Nachtrag:

Gestern habe ich noch darüber Witze gemacht, heute kam sie dann tatsächlich per Mail: Die Drohung, demnächst die Ratte persönlich vorbeizubringen.

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