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Schnippelallesweg

Persönlich/Vertraulich steht über meinem Namen. Die Adresse stimmt auch. Der Brief ist eindeutig an mich gerichtet.

»Sehr geehrte Frau Tabler«, lese ich, »ab dem 15. September 2005 hat der Schönheitslehre Trupp Nirgendwo das »operative Geschäft« der Ihnen bekannten Klinik Schnippelallesweg übernommen.«


Hä? Ich kenne keine Klinik Schnippelallesweg. Noch nie von ihr gehört. In Nirgendwo bin ich, wenigstens so weit ich mich erinnern kann, auch noch nie im meinem Leben gewesen. Und was sollen das für operative Geschäfte sein? Klingt geheimnisvoll, sind operative Vorgänge nicht eine Spezialität von Geheimdiensten?

»Der Schönheitslehre Trupp besteht aus den Ihnen bekannten Fachärzten für Chirurgie und Plastische Chirugie …«

Oh, keine Spione, Ärzte sind die Herren. Na ja, mit Ärzten hatte ich schon zu tun, vielleicht kenne ich die Leute ja doch. »Ebenso ist Frau Lehner wieder für Ihre individuelle Betreuung zuständig«, heißt es weiter.

Frau Lehner, Frau Lehner … wer ist denn nun wieder Frau Lehner?

Die Liebste bemerkt meine Verwirrung und nimmt mir den Wisch aus der Hand. »Welche Körperteile an dir sind falsch?« fragt sie nach dem Lesen streng und mustert mich.

Keine, ich schwöre es. Der Speck, die Falten und die Cellulitis von Kopf bis Fuß sind alle noch original. Nichts Künstliches bis auf die Haarfarbe.

Der Brief behauptet allerdings anderes. Danach habe ich mich in den letzten Jahren schon mehrmals unters Messer gelegt: zum Facelifting, zur Nasenkorrektur, zur Brustvergrößerung und zur Bauchstraffung. Außerdem wurde mir das Fett abgesaugt und die Falten unterspritzt. Alles finanziert von der Hausbank der Klinik, was ich in bequemen 72 Monatsraten zurückzahle.

Endlich habe ich eine Erklärung für mein ständig überzogenes Bankkonto. Irgendwo muss ich ein zweites Leben führen. Vielleicht bin ich ja ein gespaltene Persönlichkeit? Hochgradig schizophren? Von wegen dicke Lesbe mit grauen Haaren, Hängebusen und Schwabbelbauch. Eigentlich bin ich Barbie und weiß es nur nicht.

Auf der Rückseite des Briefes stehen die Preise für Weihnachten. Wahre Schnäppchen für all die Dinge, die mir laut Klinik noch fehlen: Meine Augenlider sind immer noch nicht geliftet, von den sogenannten Reiterhosen erst gar nicht zu reden. Außerdem könnte ich meine Lippen in einen Schmollmund verwandeln lassen.

Trotzdem, momentan bin ich ja nicht Barbie, sondern habe meine fünf Sinne beisammen und weiß, dass ich mir auch die Dumpingpreise für schlappe drei- bis fünftausend Euro nicht leisten kann. Und auch der Vorschlag, mir die eine oder andere Operation zu Weihnachten schenken zu lassen, ist nicht durchführbar. Niemand in meinem Umfeld ist bereit, so viel Geld für ein Weihnachtsgeschenk für mich auszugeben.

Heul, schluchz.

Als drei Tage später der nächste Brief ins Haus flattert und Schnippelallesweg mir dramatisch mitteilt, dass die meisten Termine vor Weihnachten bereits vergeben seien, bin ich fast der Verzweiflung nah. So eine günstige Gelegenheit ergibt sich bestimmt nicht so schnell wieder. Deprimiert starre ich mich stundenlang im Spiegel an.

Die Liebste droht mit Trennung. »Alles meins!« behauptet sie. Jede Falte und jede Speckrolle gehöre ihr. Wütend zerreißt sie den Brief. Ein Herr, dessen Namen ich hier nicht erwähnen will, weiß dann guten Rat:

Sehr geehrte Damen und Herren der Klinik Schnippelallesweg,
leider muss ich Ihnen mitteilen, dass ich mit den Ergebnissen der letzten Operationen nicht zufrieden bin. Wie Sie aus beiliegendem Ganzkörperfoto unschwer ersehen können, ist da doch so einiges schief gelaufen. Ich denke nicht, dass mein derzeitiges Aussehen für Ihre Klinik eine gute Werbung wäre. Deshalb halte ich es für mehr als angebracht, wenn Sie umgehend und natürlich kostenlos nachbessern. Ansonsten sehe ich mich gezwungen, das Foto auf meiner Website zu veröffentlichen, um andere Patientinnen Ihrer Klinik zu warnen.
Mit freundlichen Grüßen
Nele Tabler

Die Koffer sind gepackt, ich warte nur noch auf einen Termin der Klinik!

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