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Was kostet der Tod?

Lasst euch eines gesagt sein: wenn ihr beabsichtigt, irgendwann das Zeitliche zu segnen, tut es nicht an einem Freitag nach 12 Uhr! Nehmt Rücksicht auf eure Angehörigen und erledigt das entweder vorher oder erst am Samstag.

Oma war leider nicht so rücksichtsvoll, vielleicht wusste sie es auch nicht besser. Sie machte ihren letzten Schnaufer an einem Freitag um Punkt 18.30 Uhr. Geschult durch viele Folgen Emergency Room sahen die Liebste und ich natürlich auf die Uhr und konnten die Frage: »Zeitpunkt des Todes?« auf die Sekunde genau angeben leider.

Da Oma verbrannt werden wollte, genügte der Totenschein des Hausarztes nicht. Aus sehr verständlichen Gründen, schließlich werden in Deutschland ja sehr viele Morde ja noch nicht einmal erkannt, ist in diesem Fall zusätzlich die »Leichenschau« durch einen Amtsarzt vorgesehen.

Eine vernünftige Vorschrift, würden sich nicht die Worte Amt und Arzt schon an sich widersprechen. Ein Arzt und natürlich auch eine Ärztin muss rund um die Uhr an jedem Tag des Jahres erreichbar sein. Ein Amt schließt freitags gegen Mittag und nimmt seinen Betrieb erst wieder am Montag auf.

Die Schwestern des Pflegedienstes, selbstverständlich ebenfalls rund um die Uhr im Einsatz, wuschen Oma und zogen ihr das Lieblingskostüm und die hochhakigen Schuhe an. »Geschniegelt und gebügelt«, richtig fein gemacht schließlich warteten da oben gleich zwei Männer auf sie war sie nun bereit, ihren weiteren Weg zu gehen.

Unser Weg führte am nächsten Morgen erst einmal zu einem Bestattungsunternehmer. Einen Sarg aussuchen, war eine der Aufgaben. Helles oder dunkles Holz? Der Bestatter empfahl die Einfachausführung. Schließlich sollte der Sarg nirgends aufgestellt und würde im Krematorium mit verbrannt werden. Der Liebsten und mir gefiel dieser »Ikeasarg«, aber wir hörten auch Oma böse fragen: »Wollt ihr mich etwa in einer Obstkiste beerdigen?«

So nahmen wir dunkles Holz mit Schnitzereien und Beschlägen, die Gerüchten zufolge in manchen Krematorien vor dem Verbrennen abmontiert und über Ebay versteigert werden. Auch über die Rüschendecke und das Kissen waren wir uns mit den anderen Verwandten schnell einig. Auf die Idee, alles zu markieren, um es später vielleicht als Erinnerung zurück ersteigern zu können, kamen wir leider zu spät.

Dann klärte uns der Bestatter über etwas auf, das sich wohl »Bundesseuchengesetz« nennt und aus so manchen Paragrafen besteht, die Angehörigen von Toten das Leben zur Hölle machen sollen. Wahrscheinlich wurden sie von Katholiken erfunden, die ja so weit ich weiß, ans Fegefeuer glauben.

Innerhalb von 48 Stunden muss eine Leiche aus dem Haus, da gibt es keine Ausnahmen, basta. So weit, so schlecht, aber da gibt es ja noch andere Vorschriften und Gesetze. Und eines dieser Gesetze besagt, dass eine Leiche nicht die Flucht ergreifen darf, sprich aus der Gemarkung des Sterbeortes verbracht werden darf, bevor nicht die offizielle Sterbeurkunde ausgestellt wurde.

Die offizielle Sterbeurkunde gibt es beim Standesamt. Amt, Amt, Amt ein Amt macht erst am Montag wieder auf. Freitag, 18.30 Uhr plus 48 Stunden, ergibt Sonntag 18.30 Uhr Amt, Amt, Amt so führte Omas Weg von ihrem Sterbebett erst einmal in die Leichenhalle von Kleinkleckersdorf. Bis sie dann einige Stunden später mit den richtigen Papieren und Stempeln versehen in ihre Geburtsstadt Mannheim ins Krematorium überführt werden konnte.

Der Amtsarzt wechselte am Montag wieder vom Amt zum Arzt seine Sprechstunden sind an zwei Tagen in der Woche. Nun, seine Patienten können sich ja nicht mehr über die Wartezeiten beschweren. Und die Angehörigen können sich bei dem Gedanken, dass wegen seiner erholsamen Wochenenden Oma gegen eine Gebühr wieder ausgezogen werden musste, nur die Augen ausheulen besonders da niemand darüber Auskunft geben wollte, ob sie auch wieder so liebevoll angezogen wurde, wie es die Schwestern gemacht hatten oder ob wir ihr Kostüm und die Schuhe eventuell ebenfalls Ebay wieder finden können.

Da in Deutschland Tote auch als Asche in einer Urne auf einem Friedhof beerdigt werden müssen und nicht zu Hause auf dem Kaminsims stehen dürfen, haben die Städte und Gemeinden eine unaufhörlich sprudelnde Gebührenquelle gefunden. Sterben müssen wir alle mal, für Nachschub ist gesorgt.

Die Stadt Mannheim verlangt von vorneherein schon einmal 1000 €. Nicht etwa für eine Grabstelle, sondern als eine Art Eintrittsgeld für den Friedhof. Noch dürfen lebende BesucherInnen diesen kostenlos betreten, aber die entsprechenden Kartenhäuschen am Eingang, ähnlich wie in Schwimmbädern, sind sicher schon in Planung, inklusive verbilligter Jahreskarten und Kinderermäßigung. »Gehen wir heute Opa gießen oder ins Kino? Für beides reicht das Geld nicht«, wird es wohl bald heißen.

Auch das Krematorium will bezahlt werden. Dass Oma in Fernwärme der Quadratestadt eingespeist wurde und so manches Wohnzimmer heizte, erfuhren wir nur so nebenbei. Meine Frage, ob ich den Besitzern dieser Heizungen wenigstens eine Rechnung schicken dürfte, blieb bisher unbeantwortet.

Ebenfalls unbeantwortet blieb die Frage nach dem Verbleib einiger entfernter Angehöriger aus Mannheim, von denen wir keine Adresse hatten. Oma war die letzte Überlebende ihrer Generation und ihr Adressbuch nicht mehr auf dem neusten Stand. Es bedurfte zweier Wochen, mehrerer Mails (»Schreiben Sie dorthin«), Telefonate (»Rufen Sie dort an!«) und zweier schriftlicher Anfragen, damit wir überhaupt einmal etwas erfuhren nämlich von der Forderung, erst einmal 10 € zu bezahlen.

Wir danken der Stadt Mannheim hier ausdrücklich für ihre intensive NICHT-Unterstützung, weil sie uns davor bewahrte, fremde Menschen als Verwandte in unsere Arme schließen zu müssen. Wie schon mal anderer Stelle erwähnt, uns reichen die Verwandten, die wir bereits kennen.

Dass es auch anders geht, bewies das Einwohnermeldeamt einer anderen Stadt, wo wir ebenfalls nach einer Adresse suchten. Nachdem wir am Telefon kurz das Wieso geschildert hatten, bekamen wir innerhalb einer Minute die gewünschte Auskunft, ohne Gebührenforderung. Wenn auch vielleicht nicht ganz korrekt, deshalb erwähne ich den Namen dieser Stadt hier nicht. Aber menschlich war es und tat gut.

Umsonst ist der Tod, und der kostet das Leben, wird gern so salopp dahin gesagt. Wir wissen inzwischen, außer dem Leben kostet er noch eine Menge Geld. An den Toten wollen viele verdienen. Auch die Krankenkasse, die ihre Zuständigkeit mit dem letzten Atemzug eines Menschen für beendet erklärt, und weshalb die Ausstellung eines Totenscheins durch den Arzt das gesetzlich vorgeschriebene Privatvergnügen der Angehörigen ist. Eine erholsame Ausnahme war der Bestatter hier aus Kleinkleckersdorf, der uns keinerlei teueren Schnickschnack aufschwatzen wollte und dessen Stundenlohn weit unter dem eines Elektrikers oder Klempners liegt.

Den bisher letzten Scherz leistete sich dagegen der Mannheimer Bestatter, der Oma sozusagen übernommen hatte die Trauerfeier fand in Anwesenheit einer falschen Urne, angeblich aber mit dem richtigen Inhalt, statt. Statt dezent grauer Keramik stand eine glänzende Blechbüchse auf dem Altar.

»Mannem vorne, aber wo?« war in meiner Kindheit mal das Motto des Mannheimer Fastnachtsumzug. Beim Umgang mit trauernden Angehörigen bestimmt nicht. Uns tröstet nur der Gedanke, dass Oma nun bei ihren Schwestern die letzte Ruhe gefunden hat sie haben gemeinsam ihre Mannheimer Kindheit überstanden, sie werden auch den Rest mit Humor nehmen .

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