Zum Inhalt springen

Weiberausflug nach Frankfurt

Der jährliche Weiberausflug der Liebsten und mir und unseren vier Nichten zur Frankfurter Buchmesse beginnt wie immer. Hektik und Chaos verbreiteten sich in aller Frühe über die ganze Wohnung. Die Liebste steht im Unterhemd in der Küche und schmiert Brötchen am Fließband. Fünfzehn sucht ihre Schuhe, Zwölf braucht Tempos, und Neun steht schon fertig an der Wohnungstür. »Wann gehen wir endlich?«

Oma weiß mal wieder nicht, wo sie ist. Die Schwester der Sozialstation bricht sich fast die Haxen, als sie über mehrere Rucksäcke stolpert. Die beiden Omasitterinnen sitzen verschlafen auf der Couch im Wohnzimmer, schlürfen Kaffee, rauchen die erste Zigarette des Tages und warten darauf, dass wir endlich verschwinden. Die Hündin will mit und bewacht laut jaulend im Flur ihre Leine. Das Bad ist ununterbrochen besetzt, und so schminke ich mich am Schreibtisch bei miserabler Beleuchtung.

Wider Erwarten schaffen wir es trotzdem pünktlich zum Bus und sind noch nicht einmal die Letzten. Dass ich meine Visitenkarten und alle Notizen vergessen habe, und Vierzehn, kurzsichtiger als ein Maulwurf, ohne Brille unterwegs ist, fällt erst nach zwanzig Kilometern auf. Der Leithammel legt eine CD ein, Impressionen der Frankfurter Buchmesse, zusammen mit den Eintrittskarten wurde sie an Hunderte von Volkshochschulen verschickt:

»Die Leserin blättert im Katalog. Die Ausstellerin stellt Bücher aus. Die Autorin signiert ihre Bücher. Die Besucherin wandelt durch die Hallen. Der Kinderbuchautor gibt ein Interview. Die Kamerafrau filmt alles. Die Verlegerin will ihre neusten Bücher vorstellen. Die Politikerin kommt auch. Die Buchhändlerin hält Ausschau nach den Neuerscheinungen. Die Hauptgewinnerin erhält den ersten Preis. Die Schülerin findet viele interessante Bücher. Die Geschäftspartnerinnen treffen sich. Im Autorenforum geht es um sprachliche Identität. Die Künstlerin sucht nach Inspirationen. Die jungen Autorinnen tauschen Gedanken aus. Die Schauspielerin hat ihre Biografie verfasst. Unsere Autorin am Stand: Xaver Maier.«

»Kinder, was ist daran falsch?« brülle ich die Nichten an und störe sie beim Kartenspielen. Fünfzehn, Zwölf und Neun reagieren überhaupt nicht. Sie kennen das schon. Vierzehn, das erste Mal dabei, antwortet anstandshalber, allerdings ohne den Blick von den Karten zu lassen.

»Alles Männer!« sagt sie gelangweilt und spielt weiter.

Denn natürlich hieß es anders: »Der Leser blättert im Katalog. Der Aussteller stellt Bücher aus. Der Autor signiert seine Bücher. Der Besucher wandelt durch die Hallen. Die Kinderbuchautorin gibt ein Interview. Der Kameramann filmt alles. Der Verleger will seine neusten Bücher vorstellen. Der Politiker kommt auch. Der Buchhändler hält Ausschau nach den Neuerscheinungen. Der Hauptgewinner erhält den ersten Preis. Der Schüler findet viele interessante Bücher. Die Geschäftspartner treffen sich. Im Autorinnenforum geht es um sprachliche Identität. Der Künstler sucht nach Inspirationen. Die jungen Autoren tauschen Gedanken aus. Der Schauspieler hat seine Biografie verfasst. Unser Autor am Stand: Thusnelda Maier.«

»Nun hört mir gefälligst mal zu!« zische ich und beuge mich zwei Busreihen weit nach vorn, um alle im Blick zu haben. Stöhnend und Augen rollend lassen sie die Karten sinken. Sie wissen, wenn Tante Nele ihre feministischen Anfälle bekommt, gibt es kein Erbarmen. Während die Liebste gemütlich weiter an ihrem Apfel kaut, halte ich meinen Vortrag über sprachlichen Sexismus.

»Ihr müsst sensibel dafür werden«, erkläre ich den Nichten. »Ihr dürft so etwas nicht einfach über euch ergehen lassen!«

»So schlimm ist das doch nicht«, meint Neun. »Unser Papa wird schließlich als Frau bezeichnet!«

Ein Punkt für sie. Mein Bruder, eindeutig dem männlichen Geschlecht zuzuordnen, hat ein Kinderbuch geschrieben. Frankfurt erreichen wir recht schnell, und unterwegs haben wir auch den Regen hinter uns gelassen. Der Busfahrer kreist um das Messegelände und findet den Eingang nicht. Immer wieder kommen wir an denselben Häusern vorbei.

»Huhu, da sind wir wieder!« ruft Zwölf und winkt einem Passanten zu. Neun erklärt Vierzehn: »Das ist jedes Jahr so. Der sollte sich mal eine Straßenkarte kaufen!«

Die Liebste und mich beschleicht ein ungutes Gefühl, als wir endlich in den Parkplatz einbiegen. Ein grünes Polizeiauto neben dem anderen. Das ungute Gefühl verstärkt sich noch, als wir an den Eingang kommen. Taschenkontrolle. Die Rucksäcke werden durchsucht, der Trolli muss aufs Durchleuchtungsband. Den Nichten ist nicht bewusst, was dieser Aufwand bedeutet. Sie werden zum ersten Mal durchsucht und finden es lustig. »Ich habe meine Pistole zu Hause vergessen«, erklärt Fünfzehn dem Polizisten, der darauf allerdings nicht reagiert. Keine Ahnung, ob es mit den Gastländern »Arabische Welt« oder mit konkreten Drohungen zusammenhängt, aber so viel Polizei gab es noch nicht einmal 2001 nach den New Yorker Anschlägen.

»Wir gehen zu den Mangas«, erklären die Nichten und sind sekundenschnell verschwunden.

»Wo gehen die hin?« frage ich. »Zu den Mangos?« Die Liebste ist ebenso ahnungslos wie ich und zuckt mit den Schultern. »Egal, wohin sie gehen, Hauptsache, sie erscheinen pünktlich an den Treffpunkten!«

Stunden später wird meine Bildungslücke schmerzhaft geschlossen. Die Liebste hat mich in einer Ecke abgestellt. Ich soll Trolli, Taschen und Rücksäcke bewachen, während sie eine Nummer für die Signierstunde von Joshua Sauer ergattern will. Plötzlich bin ich von geschminkten und kostümierten jungen Frauen umgeben, die lauthals kreischen. Sie treten mir auf die Füße, drücken ihre Ellenbogen in meinen Rücken, schubsen mich und schmeißen den Trolli rum. Unversehens ist die stille Ecke zum Ende einer Schlange von Manga-Verrückten geworden, die alle auf die Signierstunde eines Zeichners warten. Göttin sei Dank kann die Liebste sich zu mir durchkämpfen und mir zur Flucht verhelfen.

Da geht bei der Signierstunde von Liza Marklund doch wesentlich gesitteter zu. Mit vielen anderen stehe ich brav in einer Schlange und warte, bis ich dran bin. Allerdings bringe ich dann kaum ein Wort heraus, sondern fange vor Begeisterung an zu stottern und strahle gleichzeitig übers ganze Gesicht. Die Nichten beschweren sich unisono über den Geiz der Verlage in diesem Jahr. Es gibt keine Bleistifte und Kugelschreiber und statt Bonbons nur Kekse. Bloß Langenscheidt ist mit seinen Taschen freizügig wie immer, allerdings erfolgt die Ausgabe nur zu jeder vollen Stunde. An einem Stand stehen wir direkt neben Rosi Mittermaier und Christian Neureuter, aber es dauert eine Weile, bis wir sie erkennen. Wo anders steht Robert Atzorn rum. Den kleinen Mann haben wir vor Jahren schon einmal in einem Café in Prien am Chiemsee gesehen, und er ist seitdem immer noch nicht gewachsen.

Die Nichten haben inzwischen genug von Mangas und Büchern und widmen sich ganz dem Vergnügen. Auf den Förderbändern fahren sie von Halle zu Halle. Ab und zu nehmen sie auch den Shuttlebus. Von Uli Stein hätten sie alle gern eine signierte Karte, aber die Warteschlange ist bereits mindestens hundert Meter lang. Vierzehn streicht auch Wolfgang Hohlbein wieder von ihrer Liste. »So toll ist der nun auch nicht«, meint sie. Und dann fragt sie, ob Kafka auch da sei.

»Franz Kafka?« vergewissere ich mich. Die Mitteilung, dass dieser bereits vor achtzig Jahren an Tuberkulose gestorben ist, entzückt sie. »Dann kann wenigstens keine blöden Texte mehr schreiben, die wir in der Schule lesen müssen.«

Fünfzehn hat eine lange Liste von Büchern, die sie sich in der nächsten Zeit kaufen, wünschen oder aus der Bücherei ausleihen will. Zwölf und Neun werden von einem arabischen Fernsehsender gefilmt und winken fröhlich in die Kamera. Und sind traurig, dass sie diesen Film wahrscheinlich nie sehen werden. Vollkommen unvorbereitet war die Begegnung mit Senta Tremmel-Plötz. Als wir an den Ständen der Frauenverlage vorbei schlenderten, sah ich sie plötzlich beim Milena Verlag sitzen. Was hätte ich sie alles fragen können, wenn mein Gehirn nicht ohne Hinterlassen einer Anschrift in Urlaub gefahren wäre. Stattdessen kann ich ihr nur sagen, wie sehr ich sie und ihre Arbeit und ihre Leistungen bewundere und ihr neu aufgelegtes Buch für eine junge Frau aus meinem Umfeld signieren lassen.

Den Abend beenden wir mit Pommes und Hamburgern bei McDonalds. Die Liebste trägt den Wunsch unserer Neffen vor, das nächste Mal dabei sein zu dürfen. Die Abstimmung ist einstimmig. Die Frankfurter Buchmesse bleibt unser Weiberausflug.

Auf der Karnele werden Cookies gesetzt, z.B. von Anbietern verschiedener Wordpress Plugins und IONOS, dem Webhoster. Wenn Du hier weiterliest, akzeptierst Du deren Verwendung.