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Wer braucht Elektroschrott?

»Mehrheit würde für AKW-Abschaltung auf Wohlstand verzichten«, will das Meinungsforschungsinstitut Emnid herausgefunden haben.

Mir ist beim Lesen dieser Schlagzeile eine Kolumne aus dem Jahr 2001 wieder eingefallen. Und tatsächlich, ein Verzicht auf diese Art von Wohlstand fällt wirklich nicht besonders schwer.

Wer braucht Elektroschrott?

Als die Liebste und ich vor Jahren unsere Habseligkeiten zusammen geschmissen haben, besaßen wir außer Kühlschrank, Herd und Waschmaschine nichts, das Strom aus der Steckdose fraß oder Batterien brauchte. Dementsprechend niedrig ist auch unsere Stromrechnung gewesen. Ich werde bestimmt nie das Gesicht des Herrn der Rundfunk- und Fernsehgebühreneinzugszentrale vergessen, als ich ihm sagte, wir hätten weder ein Radio noch einen Fernseher und schon gar kein Autoradio. Letzteres logischerweise, weil wir damals auch kein Auto hatten. »Gehören Sie einer Sekte an?« fragte er entsetzt und machte drei Schritte rückwärts.

Oh ja, wir gehören einer Sekte an. Der Sekte der geplagten Frauen, die sich tapfer gegen jedes Elektroteil wehren, und deren Elektroschnickschnacksammlung sich trotzdem beinah monatlich auf wundersame Weise vermehrt.

Schuld daran sind zum einen wohlmeinende Verwandte und Freund_innen: »Das könnt Ihr doch bestimmt gebrauchen.« Und eh wir uns versehen, steht auf dem Schlafzimmerschrank eine Brotbackmaschine, gleichen neben der elektrischen Saftpresse und den elektrischen Lockenwicklern. Leider sagen uns die Geber_innen in den seltensten Fällen, weshalb sie das Teil nicht mehr gebrauchen können und uns so großzügig überlassen. Sie sind nämlich zu feige zugegeben, dass sie damit auch nichts anzufangen zu wissen. Liebe Leute, ein kleiner Hinweis auf diesem Weg: Sammlungen elektrischer Kleingeräte finden in allen Groß- und Kleinstädten regelmäßig statt!

Ein weiterer Teil der Schuld liegt bei der Oma. Bei ihrem Einzug mussten wir ihre Elektrogeräte übernehmen. Das war sozusagen Bedingung. Mit Oma kamen der zweite Kühlschrank und die Mikrowelle, die Kaffeemaschine, der Eierkocher und der Heizlüfter. Die übrige Verwandtschaft hatte Angst, Oma würde ansonsten bei uns verhungern und erfrieren.

Des Weiteren sind wir aber auch selbst schuld. Weder die Liebste noch ich können Sonderangeboten bei Aldi widerstehen. Besonders die Kleinteile haben es uns angetan. Ob vibrierendes Nackenkissen, Haarscherer, Rückenheizdecke, Fußsprudelbad, wir kaufen alles. Denn Aldi ist billig, die Sachen von guter Qualität und »Wer weiß, wann und wo wir das brauchen können!«.

Wohl wissend, eigentlich können wir es nie gebrauchen oder nur einziges Mal, danach landet das Gerät ebenfalls neben der Brotbackmaschine und der Saftpresse. Oder gleich im Keller, neben dem Scanner, der nach einem halben Jahr Dauermitteilung, er sei beschäftigt, des Büros verwiesen wurde.

Unser neustes Spielzeug auf diesem Gebiet ist allerdings nicht von Aldi. Eine Lebensmittelcomputerwaage. Ein unscheinbares kleines Ding. Hellblau (alternativ standen noch rosé, mint und eidottergelb zur Auswahl) mit einem Wiegeteller, einer Tastatur und einem Display. Wichtig ist das Zubehör: ein Plakat mit den Codenummern für 426 eingespeicherte Lebensmittel sowie eine Bedienungsanleitung vom Umfang einer Bibel, da von Chinesisch bis Polnisch alle Sprachen berücksichtigt werden. Wir schließen daraus, auch in China und Polen gibt es Menschen, die aus welchen Gründen auch immer, ganz genau wissen wollen, was sie zu sich nehmen. Auf das weitere Zubehör gegen Aufpreis, Software mit den Daten von noch einmal 2.000 Lebensmitteln incl. eines Verbindungskabels zwischen Waage und PC, haben wir erst mal verzichtet.

Ein Stück Sechskornbrot hat die Codenummer 666, wiegt 20 Gramm, hat Fett, Cholesterin und Broteinheiten. Eine Banane mit der Codenummer 777 wiegt 90 Gramm und hat genau wie ein Apfel kein Cholesterin, welche Überraschung. Leider hat die Waage nur einen Messbereich bis 2 kg, deshalb können meine Liebste und ich auch nicht feststellen, aus wie viel Fett und Broteinheiten wir bestehen. Der Brief ans Finanzamt wiegt 26 Gramm und hat weder Cholesterin noch Eiweiß. Ja, er hat noch nicht einmal eine Codenummer. Obwohl in der Bedienungsanleitung ausdrücklich steht, auch Briefe dürften mit dem Lebensmittelwiegecomputer abgewogen werden. Allerdings bräuchten wir dazu zusätzlich das Gebührenheftchen der Post und einen Taschenrechner, um das entsprechende Porto auszurechnen zu können. Also wieder einmal ein Ding, das nicht vollkommen ist und den Kauf weiterer Teile nach sich zieht.

Seufz

Nachtrag:

Mittlerweile können wir diesen Sonderangeboten besser widerstehen und neulich haben wir sogar den kaputten elektrischen Pürierstab durch dieses Teil ersetzt.

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