Zum Inhalt springen

Wozu sind Tische da?

Verschlafen und etwas verloren stehe ich in der Frühe mit einer Tasse Kaffee in der Hand in unserer Küche und weiß nicht wohin damit. Also weiß ich auch nicht, wohin mit mir.

1 runder Tisch mit Holzplatte und Metallbeinen. Auf dem Tisch liegen und stehen wild durcheinander Mandarinen, Handy, zwei Plastikwasserflaschen, 1 Stofftasche in Regenbogenfarben, 1 blaues Tischset, Tabak und noch einige Dinge, die nicht genau zu erkennen sind. Neben dem Tisch steht ein roter Klappstuhl mit buntem Stuhlkissen, über der Lehne hängt ein weißes Tuch. Hinter dem Tisch ein brauner Klappstuhl, über der Lehne hängt eine graue Jacke. Im Hintergrund steht ein Regal, an der Wand hängen verschiedene Bilder.Auf unserem Küchentisch befinden sich drei riesengroße Papierblöcke, Schreibtischunterlagen, die die Liebste vor einigen Tagen mitgebracht hat. Außerdem ihr Geldbeutel, die teilweise noch ungeöffnete Post der letzten Woche(n), ein Körbchen mit Nüssen, die Autopapiere, zwei Handys, ein Bonbonglas, ein Päckchen Tempotaschentücher, Kopfschmerztabletten und Hustentropfen, die Zeitung von vor fünf Tagen, ein Schlüsselbund, Hundeleckerlis, meine Brieftasche, ein Aschenbecher, eine Zuckerdose, ein Armreif und ein Ring der Liebsten, ein Kerzenständer, das Gemeindeblättchen, ein Brotkorb mit einer angefangenen Tüte Chips

Kaffee trinken? Oder gar Frühstücken? Unmöglich. Also gehe ich mit meiner Tasse ins Wohnzimmer und versuche, sie auf dem Couchtisch abzustellen. Kein leichtes Unterfangen, denn auch hier gibt es neben dem Aschenbecher, Tabakpäckchen, Zeitungen, Werbebeilagen, Fernbedienungen für Fernseher, Receiver, Video, zwei Gläsern, einer Teekanne, einem Körbchen mit Medikamenten, Geld und Schmuck, diverser Post, Kugelschreibern, Feuerzeugen, Kerzenständern und einer leeren Blumenvase kaum ein freies Plätzchen. Zum Aufräumen bin ich noch nicht wach genug. Um Platz für meine Kaffeetasse zu schaffen, schmeiße ich die Zeitungen einfach auf den Boden und beschließe die Liebste anzuschreien, wenn sie mir am Abend wieder unter die Augen kommen wird.

Ein Tisch.

Ein Tisch, das ist so ein Ding mit einer Platte oben und vier Füßen oder einem Standbein in der Mitte unten. Es gibt Küchentische, Couchtische, Esstische, Schreibtische und viele mehr. Und wie die Namen schon sagen, all diese Tische dienen einem bestimmten Zweck. Am Esstisch wird gegessen, am Schreibtisch geschrieben. Auf dem Couchtisch werden Bücher, Fernbedienungen und Chipstüten abgelegt. Am Küchentisch kann gegessen werden. Auf dem Küchentisch werden verschiedene Küchenarbeiten verrichtet wie Kartoffeln schälen oder Teig ausrollen. Natürlich kann auch am Schreibtisch gegessen oder am Couchtisch geschrieben werden, vorausgesetzt er hat eine entsprechende Höhe. In kleinen Wohnungen gibt es manchmal nur einen einzigen Tisch, der je nach Tageszeit den diversen Tätigkeiten dient.

So ist das eigentlich mit den Tischen. Die Betonung liegt auf »eigentlich«, denn bei uns dienen Tische einem anderen Zweck, wie ich immer wieder schmerzlich feststellen muss. Bei uns stehen zwar viele Tische herum, in der Küche, im Wohnzimmer, in den Arbeitszimmern. Selbst im Keller, in der Waschküche und im Garten haben wir Tische stehen. Aber keiner von ihnen wird so genutzt wie es vorgesehen ist. Unsere Tische dienen samt und sonders als Ablage. Egal wo ein Tisch steht, er kann weder zum Essen, Schreiben oder Kartoffeln schälen genutzt werden. Wenigstens nicht spontan, sondern immer erst nach einer größeren Um- und Aufräumaktion.

Schuld daran ist natürlich die Liebste. Wer denn sonst?? Von Euch wird wahrscheinlich keine bei uns vorbeikommen, um mal schnell was auf einem der Tische abzulegen. Der Hund vergräbt seine Siebensachen schön sortiert in verschiedenen Blumentöpfen oder legt sie auf die Treppenstufen. Die Katze legt höchstens mal sich selbst auf den Tisch, aber nie ihre Habseligkeiten. Und iiiiiich bin so ein ordentlicher Mensch. Iiiiiiich räume meine Sachen immer sofort dahin, wo sie hingehören. Die Liebste hingegen..

Ab und zu räume ich einen Tisch frei und bin stolz auf mein Werk. Solange bis die Liebste nach Hause kommt und unser allabendliches Trauerspiel beginnt. Als Erstes legt sie Handschuhe, Schal und Mütze auf den Tisch. Deponiert das Handy, ihre Tasche und die beim Hereinkommen aus dem Briefkasten gezogenen Werbezettel daneben. Hängt ihre Jacke über die Lehne eines Küchenstuhls, weil sie im Laufe eines anstrengenden Arbeitstages immer wieder vergisst, wozu die Haken an der Garderobe da sind. Danach öffnet sie ihre Tasche, holt ihre Ziggibox, Tabakpäckchen, Filter, Blättchen und Feuerzeug heraus. Manchmal auch Süßigkeiten, die Gehaltsabrechnung oder sonstige Schriftstücke und Kleinigkeiten, die sie mitgebracht hat. Schwuppdiwupp ist der vor wenigen Minuten noch freie Küchentisch wieder voll beladen.

Ich fange an, mit den Zähnen zu knirschen und frage mich, wie lange ich das noch ertragen werde. Unterdessen schiebt sie ein paar der Sachen zur Seite, damit sie Platz für ihre Kaffeetasse und die Milchtüte hat und wundert sich, wo denn der Aschenbecher, der noch am Morgen da stand, abgeblieben ist und weshalb ich so böse gucke. Manchmal interpretiert sie den Blick auch richtig und gibt sich große Mühe, umgehend das Chaos etwas zu reduzieren. Mütze, Schal und Handschuhe kommen auf die Sitzfläche einer der Stühle. Schließlich haben wir vier davon und nur zwei Hinterteile, wenigstens solange kein Besuch im Haus ist. Alles andere wird so gut möglich aufeinandergestapelt. Platz ist somit geschaffen und dass wir in ein oder zwei Wochen mal wieder das ganze Haus auf den Kopf stellen werden, weil wir diese eine Gehaltsabrechnung suchen, ist momentan ja noch kein Thema.

Mich beschleicht das Gefühl, dass die gute alte Rollenverteilung bei den Heteros bis vor einigen Jahrzehnten auch ihre gute Seiten gehabt hatte. In diesen Beziehungen war immer klar gewesen, wer für was zuständig war. Da hätte die Hausfrau immer dafür gesorgt, dass all die kleinen Dinge, die der Hausherr auf dem Tisch abgelegt hatte, umgehend an ihren richtigen Platz verfrachtet worden wären.

Als ich den Gedanken laut ausspreche, wird die Liebste sauer. Ob ich damit etwa andeuten wolle, sie sei so was wie ein Hausherr? Das sei ja nun wirklich eine Beleidigung, meint sie. Und außerdem wäre ich ja auch nicht gerade die Ordentlichste. »Denk bloß mal an deine Socken«, fängt sie an aufzuzählen. »Wer muss sie denn immer suchen, weil immer nur einer im Wäschekorb liegt und der andere unter dem Bett oder sonst wo? Und die Butter steht auch dauernd draußen anstatt im Kühlschrank. Und wenn ich an die nassen Handtücher denke «

Ich kontere mit ihren Schuhen und Feuerzeugen. Sie mit Büchern, leeren Wasserflaschen und Diktiergerät. Ich kann nie einen Kugelschreiber finden, wenn ich einen mal brauche. Und meine Lesebrille sowieso nicht. Dabei habe ich schon drei davon. »Was habe ich denn mit deiner Lesebrille zu tun?« will sie wissen. »Ich habe dir extra diese praktische Kette gekauft, damit du dir die Brille um den Hals hängen kannst.«

Ich muss zugeben, dass ich keine Ahnung habe, wo diese Kette ist. Wahrscheinlich dort, wo sich auch wenigstens eine der Lesebrillen befindet. Und das wird sicher in einem der Stapel sein, die sie so gerne anlegt. Diese Möglichkeit streitet die Liebste energisch ab und fragt mich stattdessen, weshalb ich eigentlich immer die Topflappen neben dem Herd liegen lasse.

Andere Paare steuern bei solchen Geschichten geradewegs auf die Scheidung zu. Wir nicht. Wir spielen dieses Spiel bereits seit fünfzehn Jahren.

Auf der Karnele werden Cookies gesetzt, z.B. von Anbietern verschiedener Wordpress Plugins und IONOS, dem Webhoster. Wenn Du hier weiterliest, akzeptierst Du deren Verwendung.