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Der Ball ist rund

Schweißglänzende Gesichter mit Bartstoppeln, muskulöse Brustkörper, stramme beharrte Waden – und eine nicht unbeträchtliche Anzahl von Lesben hockt schmachtend vor dem Fernseher. Das gibt es wohl nur, wenn 22 Männekes im Namen der Ehre und des Vaterlands über einen grünen Rasen rennen und versuchen, einen vergleichsweisen kleinen Ball in ein großes Tor zu bugsieren. Okay, dieses Tor bewacht ein kräftiger Mann mit tellergroßen Händen, und die Spieler versuchen auch, sich gegenseitig zu behindern – meist wie die kleinen Kinder mit Treten, Beißen und Schubsen, aber trotzdem: so manches Mal enden die 90 Minuten wie das berühmte Hornberger Schießen, viel Aufwand für Nix. Extrem viel Auf-wand, wenn ich an die Milliarden Euros denke, die von, für, im Fußball verbraten werden. Das Runde landete nicht in dem Eckigen, weder auf der einen noch auf der anderen Seite, und aus den 90 Minuten, die so ein Spiel laut dem seligen Sepp Herberger immer dauert, werden 120, und danach gibt es manchmal sogar noch Elfmeterschießen.

Anschließend laufen in lesbischen Foren und mailinglisten die Schreiberinnen zu Höchstform auf. „Habt Ihr daaaaas gesehen?“

Ja, ich habe es gesehen, meistens wenigstens oder teilweise. Ich kann diesen Männern auch selten widerstehen, obwohl ich ihr Auftreten im Allgemeinen und den Trikottausch im Besonderen nach einem Spiel einfach nur widerlich finde.

Ich, Lesbe und Feministin, hocke in diesen Zeiten ebenso vor dem Fernseher wie Deutschlands Stammtischbrüder. Nur eine Deutschlandfahne fehlt mir noch. Und wenn mein Verstand sich wieder einschaltet, nach dem Spiel, weiß ich, ich bräuchte dringend eine Therapie. Denn dieses Interesse an (Männer)Fußball ist nur mit einem meiner vielen Kinderheitstraumata zu erklären. Ein Trauma, das ich bis heute nicht verarbeitet habe und das anscheinend alle vier Jahre wieder pünktlich zur WM zum Ausbruch kommt. Wie ein Virus, denn der Zeit dazwischen habe ich mich meist recht gut im Griff und verspüre selten das Bedürfnis, mir Fußballspiele ansehen zu wollen.

Ich bin in einer fußballverrückten Umgebung aufgewachsen und leide heute noch unter den Auswirkungen. Meine Oma, die mittlerweile nicht einmal mehr weiß, welchen Tag oder welche Uhrzeit wir haben, teilte mir nach dem Spiel Deutschland : Paraguay mit, sie habe selten so ein langweiliges Spiel gesehen. Denn Fußball ist ihr Leben, allerdings nur Männerfußball. Frauenfußball findet sie öde und entsprechende Spiele brauche ich ihr gar nicht erst einzuschalten. Und spätestens seit anno tubak ihr Cousin, Bruder, Neffe – mit den Verwandtschaftsbezeichnungen stehe ich ein wenig auf Kriegsfuß – als Trainer eine Mannschaft zur deutschen Meisterschaft führte, ist sie auch anerkannte Expertin für Taktik und Mannschaftsaufstellungen. Und deshalb weiß ich auch, dass der Kerl, der jetzt immer Saltos auf dem grünen Rasen schlägt, in Wirklichkeit gar nicht so gut ist, wie er immer tut. Er erscheint nur so gut, weil Originalzitat meiner Oma „alle anderen bis auf den Torhüter überbezahlte Flaschen“ und somit noch schlechter sind.

Zu meinen frühsten Kindheitserinnerungen gehört folgendes Bild: mein Vater (Rechtsaußen), mein Onkel (Torwart) und mein Großvater (Schiedsrichter und Ehrenmitglied auf Lebenszeit eines großen Vereins) sitzen samstags zusammen und spielen Skat. Pünktlich zur Sportschau, die es damals nur im Ersten gab, und wir eh nur zwei Programme hatten, ließen sie die Karten fallen, und kommentierten jeden Spielzug. Wir Kinder saßen andächtig dabei und mussten die Klappe halten. Erlaubte Opa uns sonst beinah alles, beim Fußball verstand er keinen Spaß! Aus dieser Zeit weiß ich, mann muss über die Flanken kommen, jedes Mal wenn er es durch die Mitte versucht, geht’s schief.

Es hat sogar mal eine Zeit gegeben, da habe ich auch Fußball gespielt. Nicht ernsthaft, Frauenfußball gab es zu meiner Zeit noch nicht. Nein, gelegentlich zusammen mit den Jungs aus meiner Klasse. Ich hatte dabei meistens Clogs an. Mit denen konnte ich zwar nicht gut rennen, aber wunderbar treten. Nicht nach dem Ball, nach den Beinen der Jungs. Und die trauten sich damals, so komisch wie wir alle erzogen wurden, nicht zurückzutreten. Schließlich war ich ja ein Mädchen. Stattdessen humpelten sie mit schmerzverzerrrten Gesichtern an den Spielfeldrand und versuchten, sich beim Lehrer zu beschweren. Doch der lachte sie nur aus. „Ihr werdet doch noch mit einem Mädchen fertig werden?“ spottete er. Irgendwann hörten die Jungs aus meiner Klasse auf, Fußball zu spielen. Schade aber auch.

Sollte ich damals eine aufblühende Karriere zerstört haben, entschuldige ich mich hiermit in aller Form.

 

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