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Die Geburt einer Regenbogenkarnele

Ich hatte schon seit Tagen im Internet nach bunten Bildchen gesucht. Die Karnele sollte endlich online gehen und ich wollte sie vorher ein wenig aufpeppen. Nur Texte, das erschien mir doch sehr langweilig.

Stundenlang surfte ich durchs Netz, sah mir vieles an und nichts gefiel mir. Immer wieder gab ich in Suchmaschinen wie Fireball oder Altavista, beide werden die ganz Jungen unter Euch kaum noch kennen, Begriffe wie »Lesben«, »Autorin«, »Kolumnen« ein. Doch was da an Bildchen zum Vorschein kam, war entweder hässlich oder fade oder beides zusammen. Und bei »Lesben« erschienen meist pornografische Bilder. Andere Lesben kannten die Suchmaschinen noch nicht besonders gut.

Da fiel mein Blick auf die Wand hinter dem Bildschirm. Auf das große Bild, dem ich einst den Titel »Liebe« gegeben hatte. Gemalt von der Liebsten, und ich hielt es damals und halte es auch heute noch für eines ihrer schönsten Bilder. Plötzlich fragte ich mich, weshalb ich mir hier eigentlich die Mühe mit der Suche nach fremden Bildern machte. Wo ich doch sozusagen an der Quelle saß.

»Ich hätte da mal ein Anliegen«, sagte ich also zu der Liebsten, als ich sie in der Küche fand. Sie spülte gerade Geschirr und hatte schon deshalb nicht gerade die beste Laune.

»Ich brauche etwas für meine Webseite. Etwas Buntes. Das den Text auflockert. Etwas, das dahin passt.«

Sie ahnte, wenn ich so anfing, kam Arbeit auf sie zu. Meist wollte ich Sachen von ihr, die ich mir in meiner Naivität ganz einfach vorstellte, und mit denen sie sich dann wochenlang herumschlagen musste. Also versuchte sie, mich abzuwimmeln. »Das Internet ist doch so groß hast du es schon mal auf amerikanischen Seiten versucht?«

Ich tat, als hätte ich nichts gehört. »Ich will eine Karnele«, sagte ich. »Du musst mir eine Karnele malen.«

»Karnele?« wiederholte sie verblüfft. »Was ist denn Karnele?«

Ja, was war denn eigentlich eine Karnele? Der Name einer Webseite. Meiner Webseite. So gesehen war ich selbst eine Karnele. »Ich bin eine Karnele«, sagte ich und war über diese Erkenntnis selbst mehr als erstaunt.

Die Liebste sah mich an, als sähe sie mich zum ersten Mal in ihrem Leben. »Interessant. Ich dachte immer, du bist ein Mensch.« Sie grinste übers ganze Gesicht. »Ich soll also dich malen? Warum denn? Tut es ein Foto von dir nicht auch? Ich meine jetzt: für die Webseite. Nicht, dass ich dich nicht mal wieder malen wollte. Ich könnte das Foto ja vorher als Karikatur verfremden.«

Doch darauf ließ ich mich nicht ein. »Ich will etwas wirklich Einzigartiges. Etwas, das sonst niemand auf der ganzen Welt hat.« Und als sie nicht gleich antwortete, fügte ich trotzig hinzu: »Ich will eine Karnele. Eine mit Hut!« Viel hätte nicht gefehlt und ich hätte angefangen, mit den Füßen aufzustampfen.

»Mit Hut?«

»Klar, mit Hut. Ich liebe Hüte.« Das war nicht gelogen. Ich sammelte schon seit Jahren Hüte, auch wenn ich in der Öffentlichkeit selten einen aufsetzte. Doch das wäre nun ein anderes Thema.

»Diese Karnele hat also einen Hut«, stellte die Liebste fest, und ich konnte an ihrem Gesicht sehen, dass sie endlich Feuer gefangen hatte. »Was noch?«

»Sie hat etwas mit Büchern zu tun. Sie ist so was Ähnliches wie ein Bücherwurm. Und sie ist natürlich lesbisch.«

»Ein Bücherwurm mit Hut« wiederholte sie. »Und wie soll ich das Lesbische darstellen? Mit einem großen Schild, auf dem steht: »Ich bin eine Lesbe«? Findest du das nicht ein wenig aufdringlich?«

Da hatte sie recht. Aber wie frau das Lesbischsein sonst darstellen könnte, wollte mir so auf die Schnelle auch nicht einfallen. Das musste es mir außerdem gar nicht. Ich war schließlich diejenige, die es in Worte fassen und zu Papier bringen konnte. Die bildliche Umsetzung war der Job der Liebsten.

Einige Tage später war es dann soweit. »Die Regenbogenkarnele ist aus dem Ei geschlüpft«, verkündete die Liebste.

Ich war begeistert. Und wie immer fasziniert, wenn sie meine unklaren Vorstellungen in wunderschöne Bilder verwandelte. Daran hat sich auch bis heute nichts geändert. Ich setzte die Regenbogenkarnele auf meine Webseite, wo sie noch immer die Startseite ziert.

Mit der Zeit stellte sich heraus, dass wir uns eine Diva ins Haus geholt hatten. Sie entpuppte sich als ebenso anspruchsvoll wie Barbie. Schon nach ein paar Wochen fing sie an zu maulen: »Ich will auch eine Liebste haben. Ich bin immer so alleine.« – »Ich will Weihnachten feiern.« – »Ich will zum Geburtstag gratulieren.« – »Warum habe ich zum Joggen keine Schuhe?« – »Ich brauche einen neuen Hut!«

Nach und nach schlüpften weitere Regenbogenkarnelen aus ihren Eiern. Auch sie stellten Forderungen. »Ich will als Postkarte verschickt werden.« – »Ich will auf eine Tasse geklebt werden.« – »Ich will ein Strickmuster sein.«

Gab die Liebste nicht sofort nach, beschwerten sie sich bei unseren Freundinnen. »Ich brauche dringend eine Regenbogenkarnele für die Motorhaube meines Autos«, behauptete kürzlich Spachtel-Susi.

»Aber erst bekomme ich einen Banner für die Webseite«, mischte ich mich ein.

»Und wir wollen eine eigene Webseite«, brüllten all die Regenbogenkarnelen im Chor.

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