»Du tust immer so, als seien Männer behindert!« bekam ich mal von einer jungen Frau an den Kopf geschmissen, als ich einen Vorfall als typisch männliches Verhalten abtat. Ich weiß nicht mehr, worum es dabei ging. Allerdings musste ich ihr recht geben. Nach Jahrzehnten der Wut hatte ich einen Selbstschutz entwickelt. Solange ich gewisse Verhaltensweisen in der Schublade »typisch männlich, liegt halt in deren Genen«, einordnen kann, geht es mir wesentlich besser, als wenn ich mich ständig darüber aufregen muss und somit gezwungen bin, über entsprechende Reaktionen, Maßnahmen nachzudenken.
Ich entstamme einer (Deutschland West) Generation, die überall »zu spät kommt«, wie es Reinhard Mohr in seinem Buch »Zaungäste Die Generation, die nach der Revolte kam« 1992 beschrieb. Als in Berlin gegen die Notstandsgesetze demonstriert wurde, unterstützten wir die Oberstufe beim Kampf um eine Raucherecke im Schulhof und kamen uns dabei unheimlich rebellisch und verwegen vor.
Zaungäste dies gilt natürlich auch im Zusammenhang mit der Frauenbewegung der sogenannten zweiten Welle. Als die BHs verbrannt wurden, der Frankfurter Weiberrat Tomaten warf und die § 218 Diskussion hochkochte, war ich noch viel zu jung, um alles wirklich zu begreifen oder gar daran teilzunehmen. Fasziniert interessiert und gleichzeitig häufig ein wenig überfordert las ich Simone de Beauvoir und all die anderen angesagten Bücher – sofern ich sie in unserer Kleinstadt überhaupt auftreiben konnte -, erklärte Alice Schwarzer zu meiner Heldin und war wild entschlossen, in die Fußstapfen all dieser engagierten und so wunderbaren Frauen zu treten.
Bis ich endlich erwachsen genug war, gehörten die Männer in meinem links-alternativen Umfeld bereits zu den Softies und Frauenverstehern, mit meist langen Haaren und Bärten und umfassendem angelesenen Wissen über sämtliche Befindlichkeiten von Frauen. Keiner von ihnen wagte es, offen die Gleichberechtigung der Geschlechter anzuzweifeln, oder gar Sprüche wie »Eine Frau kann das nicht …« außerhalb des stillen Kämmerleins oder einer bierseligen Männerrunde von sich zu geben.
In den WGs war der Abwasch längst nicht mehr die selbstverständliche Aufgabe von Frauen, wie es noch zehn Jahre zuvor der Fall gewesen war. Nein, stattdessen diskutierten wir Frauen nun bis zum Erbrechen mit unseren männlichen Mitbewohnern über Schmutztoleranzgrenzen … und spülten anschließend erschöpft und zähneknirrschend das Geschirr, weil wir im Gegensatz zu ihnen den Dreck nicht mehr ertrugen. Ich denke, damals entstand der Witz: »Gut, dass wir darüber geredet haben.«
Es hat wirklich verdammt lange gedauert, bis ich endlich eines begriffen hatte: Die Frauenbewegung hatte uns den roten Lebensfaden – Kinder, Küche, Kirche unserer Mütter geklaut, sich aber anschließend klammheimlich aus der realen Welt und ihrer Verantwortung verabschiedet, uns keine praktikablen Alternativen an die Hand gegeben und beschränkte sich mittlerweile darauf, Frauen meiner Zaungäste Generation wie ein Experiment unter der Lupe zu beobachten und gelegentlich mit Vorwürfen zu überschütten, weil wir das Erbe nicht sorgsam hegten und pflegten.
Egal, wo wir waren, wohin wir kamen, was wir taten: Wir ernteten von allen Seiten Vorwürfe, weil wir nichts richtig machten und die hochgesteckten Erwartungen nicht erfüllten. Wir traten nicht fordernd und durchsetzungskräftig genug auf, zeigten uns nicht wirklich karriereorientiert. Nutzten die bisher hart erkämpften Chancen zu selten und empfanden darüber hinaus viel zu wenig Mitgefühl für die Probleme der Männer im Umgang mit ihrer neuen Rolle.
Ohne jemals nach unseren eigenen Wünschen oder persönlichen Bedürfnissen gefragt worden zu sein, oblag uns wie selbstverständlich die Aufgabe, für den künftigen Weltfrieden und eine bessere menschlichere Gesellschaft endlich eine Generation verständnisvoller Feministinnen und Feministen heranziehen … nein halt!
Erst einmal sollten wir diese sanft ohne Schmerzmittel zur Welt bringen und anschließend drei Jahre lang stillen, danach ökologisch gesund mit selbst angebautem Gemüse ernähren, sie selbstredend mit explizit geschlechtsneutralen Spielzeug versorgen und zur Not die passenden Kinderbücher selbst gestalten … uns dabei gleichzeitig um Pöstchen und Ämter in den Parteien bewerben, damit endlich die heiß ersehnte 50:50 Quotierung erreicht werden konnte, für den Frieden und gegen die Atomkraft demonstrieren … und uns als Gewerkschaftsmitglied energisch dafür einsetzen, dass die nächste freie Abteilungsleiterstelle in der Firma, in der wir Vollzeit arbeiteten schließlich sollten wir ja unser eigenes Geld verdienen und finanziell unabhängig sein nicht wieder mit einem Mann besetzt wird.
Wir schafften noch nicht mal die Hälfte davon und geistig leicht beschränkt, wie wir anscheinend zudem waren, entging uns bei all dem Stress auch noch, wie sich die Gesellschaft um uns herum allmählich verändert hatte. Wir redeten immer noch von Quotierung, da wurde uns die neue Unterzeile der Emma von »Frauen für Menschen« als der mittlerweile angesagte Lebensstil um die Ohren gehauen, und Frauen, die ein paar Jahre jünger als wir waren, verkündeten voller Stolz: »Der Feminismus ist out.« Musterten uns dabei angewidert von oben bis unten und forderten uns auf: »Rasiert Euch um Himmels willen mal die Beine!«
Ich glaube, das war der Punkt gewesen, an dem ich mich aus dieser Debatte verabschiedete, erneut zum Zaungast wurde und für mich beschloss, sogenanntes typisch männliches Verhalten beruhe auf einer Art Gendefekt, und solange ich nicht allzu sehr darunter zu leiden habe, werde ich darüber hinwegsehen. Die Frauen meiner Generation, die überall zu spät kam, haben die Quadratur des Kreises jedenfalls nicht geschafft, sich stattdessen ihre kleine privaten Fluchten geschaffen – und spielen in der Geschichte des Feminismus keine Rolle.