Noch 102 Tage bis zur Bundestagswahl. Die Parteien befänden sich nun in der heißen Wahlkampfphase, ist überall zu lesen und zu hören. Sozusagen in letzter Sekunde habe Peer Steinbrück die Reißleine gezogen und nicht nur sein Kompetenzteam – früher sprach man von einem Schattenkabinett – vorstellt, sondern auch noch seinen Sprecher ausgetauscht. Keine Ahnung, was der Vorgänger angestellt hat, er war mir nie aufgefallen. Allein die Meldung über den Wechsel veranlasste mich dazu, mir den Neuen etwas genauer anzusehen. Seitdem frage ich mich, ob ich September überhaupt wählen gehen soll.
„Eine Flasche Pinot Grigio, die nur fünf Euro kostet, würde ich nicht kaufen“, hat Steinbrück vor ein paar Wochen verkündet.
Pinot Grigio?
Wenn ich tatsächlich mal Lust auf ein Glas Wein habe, was selten vorkommt, trinke ich Grauburgunder. Trocken muss er sein und schwefelfrei. Schließlich lebe ich Baden, wo gerade zur jetzigen Jahreszeit Spargel, Erdbeeren und Grauburgunder in jeder kleinen Wirtschaft auf der Karte stehen.
Pinot Grigio gibt es hier auch, aber nicht in den Lokalen, in die ich gehe. Hier steht man nicht besonders auf angesagten Lifestyle und hält nichts vom „Ars vivendi auf gut badisch“. Unter diesem Label verkaufen nämlich seit ein paar Jahren badische Winzer_innen ihren guten alten Grauburgunder als Pinot Grigio.
Ja, stimmt, für 5 Euro ist eine Flasche Grauburgunder nur selten zu bekommen und falls doch würde ich sofort misstrauisch werden: „Was wurde da gepanscht?“ Hier muss ich Peer Steinbrück sogar zustimmen, aber schließlich bin ich keine Politikerin, die gewählt werden will. Auch von Menschen, für die 5 Euro kleines Vermögen bedeuten können.
Pinot Grigio, ars vivendi, noch einer aus dieser Toscana Fraktion? Einer von denen, die im Urlaub bei Rotwein und Häppchen mit ihrem Kumpel Peter Hartz die Agenda 2010 auskungelten. Armanianzüge trugen und gleich, nachdem sie endlich an der Regierung waren, ein Krankenhaus in Serbien bombardieren ließen. War angeblich ein Versehen und nein, das haben sie natürlich nicht persönlich gemacht. Nicht einmal angeordnet. Sie haben bloß für den ersten deutschen Kriegseinsatz nach 1945 gesorgt. Ein bisschen verschämt noch, die deutschen Flieger sollten „nur“ die NATO-Partner beim Bomben abschirmen. Ich saß heulend vorm Fernseher und sah zu, wie Ströbele und Gysi verzweifelt versuchten, diesen Kriegseinsatz im Bundestag zum Thema zu machen:
„ Es ist unwürdig für dieses Haus, dass Deutschland nach 54 Jahren seit gestern Abend wieder Krieg führt und dass sich dieser Bundestag weigert, darüber zu reden und auch nur seine Meinung zu äußern. Das ist ungeheuerlich.“
Grün hatte ich gewählt und Schröder als Bundeskanzler bekommen, der mir gegen Ende seiner Amtszeit auch noch Putin als lupenreinen Demokraten verkaufen wollte.
Die SPD ist ja lernfähig, so einer wie Schröder kommt so schnell nicht mehr an die Spitze. Habe ich gedacht, obwohl mir keiner der gehandelten Kandidaten wirklich sympathisch war. Steinbrück wurde es dann … laberte prompt von Pinot Grigio und holt sich jetzt einen als Sprecher, der vorher bei Bildzeitung gegen Hartz IV Empfänger_innen gehetzt hat.
Wählen gehen? Ach komm, bleib ma fort!