Zum Inhalt springen

Pfui Deibel, ARD!

Über den Tatort »Ein neues Leben«, der am 28. Oktober in der ARD lief, ist bereits viel geschrieben worden. Auf Watch-Salon fasst Christine Olderdissen in sechs Punkten wirklich wunderbar alles zusammen, was es darüber zu sagen gibt:

1. Mädchen, die im Erziehungsheim waren, werden lesbisch
2. Lesben mit schwieriger Jugend werden kriminell
3. Kriminelle Lesben sind brutal, eiskalt, manipulativ und zu allem fähig
4. Bei einem Lesbenpaar ist eine dominant, die andere labil und eigentlich hetero
5. Hat eine Lesbe Sex mit einem Mann, bringt ihre Freundin den Liebhaber um
6. Fazit: Die pathologische Killerlesbe verdient den Tod als Befreiungsschlag ihrer hörigen Geliebten

Weiter schreibt sie: »Das erinnert an die Serie Die Verbrechen der lesbischen Frauen. Die Bildzeitung hatte so Mitte der 70er Jahre die aufkommende Frauenbewegung denunziert und erstarkendes lesbisches Selbstbewusstsein in die Grenzen verwiesen.«

Oh ja, das war auch mein erster Gedanke bei diesem Tatort gewesen, anscheinend hatten die Drehbuchautor_innen auf der verzweifelten Suche nach einem Plot tief im Archiv einer Provinzzeitung den »Hexenprozess von Itzehoe« gefunden. Auf Twitter gab es allerdings noch den Hinweis auf eine weitere Geschichte aus dem Jahr 1996, die ebenfalls als Vorlage gedient haben könnte.

Außer auf manchen Blogs und in den sozialen Netzwerken haben sich auch einige Journalistinnen und Zuschauer_innen bei der ARD direkt über die Darstellung des lesbischen Killerpärchens beschwert. Mindestens eine von ihnen hat darauf tatsächlich eine überraschend ausführliche Antwort erhalten, die sie mir freundlicherweise gemailt hat.

[…]
Wir bedauern Ihre Kritik am BR-Tatort Ein neues Leben
[…]
Die erfolgreichste Krimireihe des Deutschen Fernsehens zeichnet sich aus durch eine Vielzahl an unterschiedlichsten Fällen, Schauplätzen und Ermittlern. Auf diese Weise ist sichergestellt, dass die meisten Zuschauer regelmäßig Filme aus der Reihe finden, die ihrem Geschmack entsprechen
[…]
Wenn Sie die Vielzahl der Fälle seit 1970 betrachten, werden Sie feststellen, dass Menschen aus allen denkbaren Gesellschaftsschichten, gesellschaftlichen Hintergründen und sexuellen Orientierungen in diesen Krimis bereits des Mordes überführt wurden. Da in Deutschland eine große Gruppe homosexueller Menschen lebt, kommt selbstverständlich auch diese Gruppe im Tatort vor.
[…]
Keinesfalls wurde jedoch der Eindruck vermittelt, dass die geschlechtliche Neigung der Täterinnen der Auslöser der Taten war, oder gar, dass alle lesbischen Frauen zur Gewalttätigkeit neigen würden.
Wie auch immer:  Der nächste Tatort im Ersten ist am 9. November die Wiederholung eines Falles des Ludwigshafener Teams. Hier ermittelt die dienstälteste Tatort-Kommissarin Lena Odenthal, die von Ulrike Folkerts, einer offen homosexuellen Schauspielerin dargestellt wird.  Wir hoffen, dass Sie damit wieder besser zufrieden gestellt werden.
Grundsätzlich können wir Ihnen mitteilen, dass Homosexualität im Ersten analog zu gesellschaftlichen Wirklichkeit vermittelt wird: Homosexuelle Paare sind in Deutschland in breitem Maß gesellschaftlich akzeptiert: Sie können standesamtlich heiraten und sind heterosexuellen Paaren in vieler Hinsicht gleichgestellt.
[…]
Kein Mitarbeiter der ARD muss befürchten, wegen seiner Homosexualität diskriminiert zu werden.

Göttin, schmeiß Hirn vom Himmel und sorg dafür, dass so viel möglich davon bei der ARD landet. Ein typischer Fall von »Nix kapiert«, allerdings auch von »Wir weigern uns dazuzulernen«. Als ich mich vor einiger Zeit bei der Tagesschau über das Wort Schwulenehe beschwerte, hieß es, Obama höchstselbst habe den Begriff gay marriage benutzt und dafür könne ja nun wirklich nicht die ARD verantwortlich gemacht werden.

Die Schauspielerin Ulrike Folkerts lebt also offen homosexuell. Ich hätte ja geschrieben, sie sei lesbisch, aber dieses Wort kommt in dem Antwortschreiben nur ein einziges Mal vor, in Verbindung mit Gewalttätigkeit. Ansonsten werden sieben Mal die Worte homosexuell bzw. Homosexualität benutzt. Mag das eine_r interpretieren? Ehrlich gesagt, mir fehlt die Lust zur 9999. Wiederholung.

Ganz davon abgesehen: Was hat die sexuelle Identität von Schauspieler_innen denn mit ihren Rollen zu tun? Bloß weil UFO lesbisch ist, muss ich den Ludwigshafener Tatort noch lange nicht gut finden und zur Sichtbarkeit lesbischer Frauen trägt er nun wirklich nichts bei. Er verhilft höchstens zu der Erkenntnis, dass lesbische Frauen ganz gut Heten darstellen können und zu dem Irrtum, sie sind vielleicht doch nicht so lesbisch, wie sie nach außen hin tun.

Wie schön, dass bei der ARD schwule Mitarbeiter nicht befürchten müssen, diskriminiert zu werden. Über die lesbischen Mitarbeiterinnen steht leider nichts in der Antwort. Gerade in diesem Zusammenhang ist das Generische Maskulinum noch wesentlich unangebrachter als in vielen anderen Fällen. Auch wenn ich mich wiederhole: Es ging in den Beschwerden über den Tatort um die Darstellung dieser beiden Killerlesben, nicht um schwule Männer oder homosexuelle Paare.

Ganz nebenbei, liebe ARD, wo in Deutschland dürfen denn Homosexuelle auf Standesämtern heiraten? Meines Wissen gibt es bei uns bisher nur die Eingetragene Lebenspartnerschaft. Wenn ich als verpartnerte Lesbe mich in einer privaten Unterhaltung als verheiratet bezeichne oder bei Facebook verheiratet als Beziehungsstatus angebe, handelt es sich um ein politisches Statement. Wenn ein schwules Paar verkündet, demnächst heiraten zu wollen, beschreibt es damit, welche Form von Partnerschaft es eingehen will. Wir Lesben und Schwule haben das Recht, bei solchen Gelegenheiten von Heirat zu sprechen.

»Sie können standesamtlich heiraten« in dem Antwortschreiben erinnert mich an Herrn Wagner von der Bildzeitung und den baden-württembergischen Landtagsabgeordneten Nikolaos Sakellariou. Wir tun jetzt mal alle so, als seien lesbische und schwule Paare in diesem Land den Heterosexuellen gleichgestellt und vergessen diese ganze Diskriminerungssache. Wenn wir Euch sagen, verpartnert ist so gut wie verheiratet, muss das reichen. Oder wie oder was? Als öffentlich rechtlicher Sender hat die ARD einen Bildungsauftrag, für den ich jeden Monat einen Haufen Geld bezahlen muss und deshalb darf gerade sie nicht die Begriffe verpartnert und verheiratet verwechseln.

Zu den Reizen des Tatorts gehört tatsächlich, dass irgendwann und irgendwie alle gesellschaftlichen Gruppen vorkommen, sei es als Opfer, als Mörder_innen, Ermittler_innen oder als Zeug_innen. Und ich habe mit Sicherheit nichts dagegen, wenn am Ende eines Krimis die Lesbe als Mörderin überführt wird. In meinen und unzähligen anderen Büchern, ich nenne hier nur einen prominenten Namen als Beispiel: Val McDermid, haben schon viele lesbische Frauen Morde begangen. Lesbenkrimis gelten ja inzwischen sogar als eigenständiges Genre, das auch von Heterosexuellen gern gelesen wird und schon längst den Sprung von den Nischenverlagen ins Programm der »Großen« geschafft hat.

Seit Jahren kämpfe ich darum, dass Lesben und lesbischsein als normal wahrgenommen werden. Einfach normal im Sinne von Menschsein, nicht im Sinne von männlich. Wir sind weder schwul, noch dient unsere sexuelle Identität den Fantasien heterosexueller Männer noch … und … oder … Hier auf dem Blog gibt es Posts über Posts, die sich einerseits mit den absonderlichsten Vorurteilen über Lesben und andererseits mit der Unsichtbarkeit von Lesben beschäftigen. Es kotzt mich an, dass man sich bei der ARD in vier Jahrzehnten Tatort noch nie für die Normalität lesbischer Frauen interessiert hat, aber im Jahr 2012 ohne mit der Wimper zu zucken uralte Bildzeitungsartikel aufwärmt und auf Beschwerden hin dieses unterste Niveau dann auch noch vehement verteidigt.

Pfui Deibel, ARD!

Auf der Karnele werden Cookies gesetzt, z.B. von Anbietern verschiedener Wordpress Plugins und IONOS, dem Webhoster. Wenn Du hier weiterliest, akzeptierst Du deren Verwendung.