Vor ungefähr dreißig Jahren war das Öl knapp. Nicht das Salatöl, das Erdöl. Irgendwelche Scheichs aus irgendwelchen fernen Ländern, die dem Großteil der Bevölkerung damals nur aus Karl May Büchern bekannt waren, wollten einfach mehr Geld für ihr Öl. Was für eine Unverschämtheit! Und da zur der Zeit die Sowjetunion und die USA sich gegenseitig für die jeweils schlimmste Bedrohung auf Erden hielten, hatten sie keine Zeit, diesen Ländern mal zu zeigen, wo es lang ging. Ganz anders als heute. Heute sorgt Herr Bush dafür, dass wir unser Öl bekommen.
Damals entstand die Idee des Autofreien Sonntags.
Letztens an einem Sonntag, da fuhren die Liebste und ich übers Land. Wir hatten uns mit Freundinnen verabredet und waren spät dran. Aber wann sind wir das mal nicht? Wie immer stand ich geschniegelt und gebügelt an der Wohnungstür, weil die Liebste mir gesagt hatte: »In zwei Minuten können wir fahren.« Und wie immer rannte sie noch durch die Wohnung: »Hast du meinen Ring gesehen? Sind die Fenster zu? Ich komm gleich … wo sind denn bloß meine Ziggis?«
Auf der Bundesstraße hielten uns erst landwirtschaftliche Geräte auf. Traktoren, Mähdrescher und ähnliche Fahrzeuge, die ich selten korrekt benennen kann. Dass sie aber die Sicht versperren und sich im Schneckentempo dahinschleppen, das weiß ich auch so. Plötzlich erschreckte mich die Liebste mit einer kleinen Vollbremsung. »Verdammt, weshalb darf man hier nur noch dreißig fahren?«
Aber schon eine Sekunde später sahen wir das Schild Umleitung. Siedendheiß fiel uns wieder ein, dass dieser Sonntag ja der Autofreie Sonntag war. Umsteigen auf den öffentlichen Nahverkehr und das Fahrrad war angesagt.
Wieder mal so eine spinnerte Idee von StädterInnen. Von Menschen, vor deren Haustür oder wenigstens zwanzig Meter daneben mindestens alle 30 Minuten ein Bus oder eine Straßenbahn vorbei fährt. Egal ob morgens, abends, Sonn- oder Feiertag. Na ja, vielleicht müssen sie am Abend oder am Feiertag mal fünf Minuten länger warten, bis die gewünschte Bahn kommt. Dann steigen sie ein, munter und fröhlich. Ganz entspannt können sie sich überlegen, weshalb es denn eigentlich so viele Autos gibt und kommen am Ende auf Ideen wie den Autofreien Sonntag.
Ließe diese Idee sich durchsetzen, würde sie für die Liebste und mich und Millionen anderer Menschen auf dem Land erst mal eines bedeuten: Ausgehverbot, Dorfknast, Freigang nur so weit die eigenen Füße tragen. Sonntags mal in die Apotheke und Aspirin holen? Tja, wenn die nächste Apotheke mit Notdienst 25 Kilometer entfernt ist, dann guckt frau halt dumm und legt sich einen Eisbeutel auf den Kopf. Mal ganz abgesehen von den sozialen Kontakten. Die zwei Freundinnen, mit denen wir uns treffen wollten, würden wir nie mehr zu Gesicht bekommen.
Noch sind die autofreien Sonntage ja die Ausnahme. Vielleicht wissen deshalb die örtlichen Verantwortlichen nicht so richtig, wie und wo Umleitungsschilder aufgestellt werden müssen. Das Umleitungsschild, das uns um ein malerisches Fachwerkstädtchen, von den Einheimischen angeberisch »Große Kreisstadt« genannt, herum führen sollte, stand jedenfalls nur knapp einen halben Meter vor der Abzweigung. Prompt fuhr die Liebste daran vorbei, während ich laut brüllte: »Hier geht’s lang!«
Zu spät, wenden war auch nicht möglich. Also nahmen wir noch mal einen fünfkilometerlangen Anlauf über Berg und Tal, um endlich richtig abzubiegen. Durch kleine Straßen, vorbei an gepflegten Vorgärten, immer auf der Hut vor dem Gegenverkehr. Gelegentlich mussten wir auf den Bürgersteig ausweichen. In dem einen und anderen Vorgarten saßen Menschen und sahen gar nicht glücklich aus. Wahrscheinlich fanden sie die Idee des Autofreien Sonntags ebenso misslungen wie wir. Derart viele Autos wie an diesem Tag fuhren normalerweise in einem ganzen Monat nicht durch ihre Straße. Alle, die sonst auf der Bundesstraße und der Autobahn unterwegs waren, quälten sich nun durch Tempo 30 Zonen der reinen Wohngebiete oder gar durch ausgewiesene Spielstraßen im Schritttempo.
Hinter dem Städtchen hatten die Menschen anscheinend nichts von diesem Tag gehört, denn nun ging es normal weiter. Besser wäre es normal weitergegangen, wenn vor uns nicht ein Mercedes gefahren wäre. Ein Cabrio mit offenem Verdeck und Kölner Kennzeichen. »Endlich Landschaft«, schien der Fahrer zu denken. Wiesen, Felder, Bäume, strahlender Sonnenschein, was für eine Idylle. Wer da schneller als 50 kmh fahren will, ist ein Banause.
Wir waren solche Banausinnen. Aber überholen konnten wir auch nicht, auf der Gegenspur kamen uns die landwirtschaftlichen Fahrzeuge entgegen. Für die nächsten Tage hatte der Wetterbericht Regen vorhergesagt, und die Bauern beeilten sich, ihre Ernte in Sicherheit zu bringen. Erst an der Ampelanlage in einem Dorf gelang es uns, an dem Cabrio vorbeizukommen. Wütend beugte ich mich aus dem Fenster. »Fahr doch in die Eifel, wenn du Landschaft sehen willst«, keifte ich den Fahrer an. Er tippte leicht mit dem Finger gegen die Stirn und grinste breit.
»Mit so was schadest du dem Tourismus«, ermahnte mich die Liebste von der Seite.
So? Und der Autofreie Sonntag etwa nicht?