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Der Kleinkleckersdorfer Erbfolgekrieg

ich habe keine Ahnung mehr, worum es in dem berühmten spanischen Erbfolgekrieg ging. Ich weiß nur, dass er im Geschichtsunterricht Thema war. Vielleicht hätte ich besser aufpassen sollen und mir dabei Tipps geholt, wie der Kleinkleckersdorfer Erbfolgekrieg besser zu bewältigen ist. Dieser Krieg tobt nämlich bereits seit einem halben Jahr und es ist kein Ende abzusehen.

Anders als wahrscheinlich im spanischen Erbfolgekrieg beläuft sich die Zahl der Toten bisher nur auf eine, nämlich die Erblasserin. Das kann sich aber stündlich ändern. Und die Zahl der Verwundeten an Geist und Seele ist bereits jetzt nicht unerheblich.

„Hawwt ihr schun gedält??“ Habt ihr schon ein Erbe geteilt? Das pflegt ironisch ein mir bekannter Pfarrer zu fragen, wenn es um die Harmonie innerhalb der Verwandtschaft geht. Denn spätestens beim Erben hört die Harmonie auf. Und wenn es bereits vorher anders als harmonisch war, kommt es durch eine Gesetzgebung aus dem vorvorletzten Jahrhundert beim erzwungenen Teilen der Erbmasse zu Mord und Totschlag.

Im Vertrauen auf den lieben Gott hat die Auslöserin des Kleinkleckersdorfer Erbfolgekrieges kein Testament verfasst. Sie hatte fünf Kinder. Ein Erbe geteilt durch fünf Kinder, wo liegt also das Problem? Ein Kuchen lässt sich schließlich, wenn zugeben etwas mühsam, auch durch fünf teilen.

Bei sechs Stücken Schokolade wird es schon schwieriger. Aber mit einer Waage und Zollstock bekommt eine gewiefte Mutter selbst das hin, um jedes ihrer Gören ruhig zu stellen. Doch leider ist die bewusste Mutter ja tot, sie kann also nicht mehr persönlich zu Waage und Zollstock greifen.

Mehrere Erben bilden eine Erbgemeinschaft. Das ist so was wie ein Verein. Der Beitritt zu diesem Verein erfolgt zwangsläufig. Die Satzung wird vom Gesetzgeber vorgeschrieben. Es ist weder eine Wahl zum Vorstand noch eine Diskussion über Sinn und Zweck des Vereins vorgesehen. Kein Wunder, dass die Mitglieder sich vom ersten Augenblick an auf die Nerven gehen und nur ein Ziel haben: Auflösung des Vereins, sprich Teilung des Erbes. Natürlich unter Beachtung des größtmöglichen eigenen Vorteils. Wobei sich immer wieder eine Regel bewahrheitet: wer viel hat, will noch viel mehr. Wer nichts hat, will natürlich auch was haben.

Der Erbenverein Kleinkleckersdorf besteht aus den Mitgliedern A, B, C und D und den Kindern von E, klein a, klein b, klein c und klein d. Statt fünf gleichberechtigten Erben gibt es acht, die durcheinander reden und sich übervorteilt fühlen.

Vorsorglich rannte A bereits zu Lebzeiten der Erblasserin durchs Dorf und verkündete, dass klein a-d nie etwas erben würden, dafür würde er schon sorgen. Mit ihrem frühen Tod habe E ihren Anteil leichtfertig verwirkt.

B hingegen fühlt sich seit ihrer frühsten Kindheit benachteiligt und hat das Beleidigtsein darüber zur perfekten Kunst erhoben. Sie will mit allen anderen nichts zu tun haben und mischt sich nicht ein. Denn egal, was sie tun würde, sie wird benachteiligt werden. Das weiß sie schon, seit sie den Windeln entwachsen ist.

C wohnt als einzige der Beteiligten weit weg vom Schuss und will eigentlich nichts anders als ihre Ruhe, sagt sie wenigstens. Und dann will sie natürlich ihren Anteil haben. Obwohl sie es nicht nötig hat, wie sie betont. Aber die Mutter liebte A eh schon immer mehr als sie. Immer hat sie nur A vom Urlaub aus angerufen.

D hat es nicht nötig, sich um ein Erbe zu streiten. Das Geld braucht er nicht, er hat doch selbst genug.

Klein a-d betrachten mit großen Augen die Welt der Besitzenden und wissen nicht so recht, was sie wollen. Aber natürlich wollen sie auch ihren Anteil haben. Doch wie daran kommen? Da gehen die Meinung weit auseinander.

Klein d hängt bewundernd an den Lippen von D und hofft von diesem Geschäftsmann etwas zu lernen. Und wenn es die Lektion, wie betrüge ich alle, ist. Schließlich hat D das Erbe ja nicht nötig. Der beste Beweis, dass er tüchtig und erfolgreich ist.

Klein a weiß schon immer, dass A und D Verbrecher sind und ihnen auf die Finger gesehen werden muss. Ähnlich wie B kämpft er gegen lebenslange Benachteiligung und will endlich ernst genommen werden.

Klein c, der Jüngste der Gruppe, macht was die Großen ihm sagen. Heute dies und morgen das, das kommt ganz darauf an, mit wem er zuletzt gesprochen hat.

Und klein b? Klein b kann das Geld gut gebrauchen und will ihren gerechten Anteil. Nicht mehr und nicht weniger. Und wenn es ungerecht wird, kämpft sie wie eine Löwin, ganz ihrem Sternzeichen entsprechend. Ich muss das wissen, denn ich lebe seit Jahren mit ihr zusammen.

Vor einem Erbfall steht natürlich eine traurige Sache, der Tod der Erblasserin. Für klein a-d kommt er überraschend. Geschickt verschickt verhindern A-D, dass klein a-d über ihren Zustand informiert werden. Und während diese noch Luft holten, organisieren A-D bereits die übliche Trauer. B zieht sich allerdings schnell zurück. Sie hat ja sowieso schon immer gewusst, dass ihre Meinung nicht gefragt sein würde.

Die Todesanzeige, von Gestaltung und Text reif für einen Ehrenplatz im Verzeichnis der geschmacklosesten Traueranzeigen Deutschlands, erwähnt weder klein b, klein c noch klein d. Dass klein a samt seiner Familie aufgeführt wird, ist Zufall und liegt an der Unfähigkeit der Verfasser, richtig zu formulieren.

Ungeübt als Vereinsmitglieder einer Erbengemeinschaft harren klein a-d der Dinge, die da kommen sollen. In der Zwischenzeit räumen die anderen schon einmal das Haus der Erblasserin aus.

Die Liebste wendet sich an eine Anwältin und lässt sich über ihre Rechte aufklären. Großzügig werden nun auch klein a-d ins Haus eingeladen. „Nehmt euch, was ihr gebrauchen könnt“, sagt einer der anderen zu ihnen. „Der Rest kommt dann zum Sperrmüll.“

Außer Sperrmüll ist dann auch von der Habseligkeiten der Erblasserin nichts mehr übrig. D, der ja nichts braucht, weil er selbst genug hat, hatte dann doch noch nicht genug gehabt und den Fernseher mitgenommen. A brauchte die Küchengroßgeräte für seinen Sohn. C stiftete die Bücher ihrer Kirchengemeinde. Nur B hatte sich an diesem Raubzug nicht beteiligt, weil sie eh benachteiligt worden wäre.

Gutes Geschirr oder Besteck? Nichts ist zu finden. Angeblich hatte die Erblasserin nie so etwas besessen.

Schmuck? Sie war doch so eine bescheidene Frau, außer ihrem Ehering hatte sie keinen Schmuck. Sparbücher? „Gibt es nicht“, behauptet D mit treuem Augenaufschlag und erklärt gleich mal, dass das Haus der reinste Trümmerhaufen sei. Sanierungsbedürftig vom Keller bis zum Dach, kurz vor dem Einstürzen und nur sehr schwer zu verkaufen. Als a ihm widerspricht, verlässt er wutentbrannt das Haus.

Mit dem Gesangbuch ihrer verstorbenen Mutter, mehreren Rollen Nähgarn und einem Fernsehsessel gehen klein a-d wieder. Die Frau von klein a nimmt noch zwei Kakteen mit, um sie vor dem Verdursten zu retten.

Die Anwältin verlangt eine Vermögungsaufstellung. A schreibt zurück, das sei nicht möglich, da klein a-d das Haus durch die Hintertür bei Nacht und Nebel ausgeräumt hätten. Darüber hinaus hätten sie zwei wertvolle Kakteen gestohlen, die ihm gehörten. Damit diese Tatsache auch richtig bekannt wird, posaunt er sie im ganzen Dorf aus.

Durch hartnäckiges Nachfragen der Anwältin taucht der Schmuck, der nie existiert hatte, auf. Wenigstens ein Teil davon. Zwei Tüten mit Kruscht, wie man hier sagte, bringt D bei uns vorbei. Angeblich hatte er sich bei A befunden. Ob je wertvolle Stücke existiert haben, ist nicht mehr zu klären.

Dafür teilt die Bank der Anwältin die Nummern der Sparkonten mit. Blass erstaunt ist D, als die Liebste ihn damit konfrontiert. Davon habe er nichts gewusst. Wo die dazu gehörigen Sparbücher abgeblieben sind, kann er nicht sagen.

Er beauftragt die Liebste, einen Sachverständigen zu suchen, um die Bruchbude schätzen zu lassen.

A weigert sich, die Grabpflege weiter zu übernehmen. D sagt, er habe damit grundsätzlich nichts am Hut. C wohnt zu weit weg. Klein d plädiert dafür, lediglich Wiesenblumen auf das Grab zu legen. Die Frau von klein a ist für Efeu. Die Liebste informiert sich beim Gärtner, wie teuer es komme, wenn er die Grabpflege übernehme und erfährt nebenbei, dass A sich bereits einen Kostenvorschlag hat machen lassen. In der Zwischenzeit übernimmt A klammheimlich die Grabpflege wieder, weil klein a-d das Grab völlig vergammeln ließen und nicht mit dem gebührenden Respekt behandelten.

Beim zufälligen Zusammentreffen in der Drogerie fällt B über klein c her, warum klein a-d nicht dem Hausverkauf zustimmten und eine Zwangsversteigerung wollen. Das habe D ihnen mitgeteilt.

Die Liebste sucht nach den Unterlagen, die der Sachverständige gefordert hat und ist gerade dabei, einen entsprechenden Infobrief an die anderen Vereinsmitglieder zu formulieren, als ein Schreiben von D eintrifft. Ein von ihm beauftragter Sachverständiger hat das Haus inzwischen geschätzt. Das Gutachten liegt bei.

C kommt aus dem Urlaub zurück und erfährt, dass klein a-d nur Scherereien machen und sich bereichern wollen. Deshalb müsse das Haus zwangsversteigert werden.

Frau X aus dem Dorf erzählt der Liebsten, dass ein gewisser Y, ein entfernter Verwandter, sich sehr für das Haus interessiere und kaufen wolle. Allerdings zu einem Preis, der weit unter dem festgestellten Wert des von D beauftragten Gutachters liegt. Das Haus sei doch nichts wert. Warum klein a-d nicht zustimmten?

Klein d verliert inzwischen die Nerven. Er vertraut D und will, dass das Haus zu dessen Bedingungen verkauft wird. Klein a ist strikt dagegen. Er will, dass in der Regionalzeitung inseriert wird. Zu einem wesentlich höheren Preis als der Gutachter veranschlagt hat. Klein c will mal dies und mal das, und vor allem will er B nicht mehr in der Drogerie begegnen.

Freitags gegen Abend fahren wir einkaufen. Ausnahmsweise lassen wir die Oma mit einer Schachtel Pralinen und einer Flasche Cola vor dem Fernseher allein. Als wir nach Hause kommen, ist sie aufgelöst. Einbrecher seien hier gewesen. Auf dem Anrufbeantworter ist eine Nachricht von D, die Liebste soll ihn zurückrufen. Sie hat keine Zeit dazu.

Am nächsten Tag, einem Feiertag, kommt der Einbrecher wieder. D steht vor der Tür und klingelt Sturm. Ganze elf Minuten lang. Dann beginnt er, gegen die Tür zu trommeln. Er will eine Vollmacht unterschrieben haben, damit er die Konten auflösen kann. Beim zweiten Hinsehen entdeckt die Liebste, dass es sich bei dem angeblichen Vordruck der Bank um eine Blankovollmacht handelt, die D zu ziemlich allem, bis auf den Hausverkauf berechtigt. Sie besteht auf einer neu formulierten Vollmacht.

Vier Wochen später probiert D es wieder. Eine geheimnisvolle Käuferin, die nicht erkannt werden will, sei gefunden. Klein a-d sollen D berechtigen, ihr das Haus zu verkaufen. Zu einem nicht bekannten Preis und nicht bekannten Zahlungsmodalitäten. Er will ein „In-sich-Geschäft“ abschließen. Die Anwältin klärt auf, dass er sich selbst das Haus für 50 Euro verkaufen will. Na ja, vielleicht auch für 100 Euro, zahlbar innerhalb der nächsten zehn Jahre. Als klein a-d dankend ablehnen, beantragt er die Zwangsversteigerung.

Trotzdem ist die geheimnisvolle Käuferin immer noch interessiert. C bombardiert klein a und klein d mit Telefonanrufen. D habe schließlich sein Ehrenwort gegeben, dass alles korrekt zugehen würde. Die geheimnisvolle Käuferin habe nun mal Angst vor klein a-d. Die Liebste schlägt vor, dann solle sie sich doch bei Vertragsabschluß hinter dem Vorhang verstecken.

Der Einspruch von klein a-d gegen die Zwangsversteigerung wird zurückgewiesen. Ohne weitere Nachfrage oder Prüfung akzeptiert die Rechtspflegerin des Heidelberger Amtsgerichts die Lügengeschichte von D. Denn leider ist ihm dabei nicht wie einst Pinocchio eine lange Nase gewachsen.

Die geheimnisvolle Käuferin lässt ausrichten, sie trete von dem Kauf endgültig zurück, da der Badezimmerofen tropfe.

 

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