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Brumm, brumm

„He, wisst ihr eigentlich, dass eurer TÜV abgelaufen ist?“ fragt unser Vermieter, als wir ihn zufällig im Hof treffen.
Die Liebste widerspricht sofort. „Erst in zwei Monaten, da hast du falsch geguckt.“
Er schüttelt nur mit dem Kopf und geht mit uns zu unserem Auto. Seit fast dreißig Jahren habe ich den Führerschein und nun erfahre ich, dass ich die TÜV Plakette immer falsch interpretiert habe. Mich tröstet nur, dass die Liebste ebenso unbedarft ist.

Zwei Tage später steht sie morgens vor dem Spiegel und schneidet Grimassen. Nein, eigentlich fletscht sie die Zähne.
„Was machst du denn da?“ frage ich.
„Ich übe Lächeln. Ich fahre gleich zum TÜV.“

Aha, aber das mit dem Lächeln klappt noch nicht so ganz. Doch ich verkneife mir jede Kritik und bin froh, dass sie diese Aufgabe übernimmt. Auch wenn ich der Meinung bin, zu ihrem fletschenden Lächeln gehörten eigentlich noch ein Rock und Pumps.

Einige Stunden später ruft sie an: „Wir haben den neuen TÜV!“

Unser Vermieter kann es kaum glauben. „Wie habt ihr diese Schrottkarre noch mal durch den TÜV bekommen?“ fragt er beim nächsten Zusammentreffen.

Na wie wohl? Indem wir das gemacht haben, was die Männerwelt erwartet. Wir haben zugeben, dass wir von Autos nichts verstehen und zwei Tränchen verdrückt.

Was ist ein Auto? Da stellen wir uns mal ganz dumm, auch wenn es nur entfernte Ähnlichkeit mit einer Dampfmaschine hat.

Ein Auto, das ist ein Blechkasten mit vier Rädern und einem Steuerrad. Vorne hat es – hoffentlich – einen Motor und hinten einen Kofferraum für die Sprudelkästen.

Als Kind haben mich Autos nie interessiert. Ganz im Gegensatz zu meinem kleinem Bruder. Der hatte schon einen Namen für das Auto, als er noch nicht einmal wusste, wie ich heiße.
Tüttitta nannte er das Auto. Es war blau und hatte einen weißen Streifen. Als wir einmal einen Unfall hatten, brach er in Tränen aus. Nicht weil jemand verletzt war, sondern weil Tüttitta eine Delle hatte.

Mein Desinteresse an Autos, an fahrbaren Untersätzen überhaupt, änderte sich auch als Jugendliche nicht. Ich wollte nie ein Mofa oder ein Motorrad. Mit achtzehn Jahren machte ich den Führerschein.

„Fahren Sie los!“ sagte der Fahrlehrer zu mir, als ich das erste Mal hinter dem Steuer saß. Ich guckte ihn mit großen Augen an. „Und wie?“
Er war fassungslos. Ich wusste nicht, dass es außer Bremse und Gas noch so etwas wie eine Kupplung gab. Ich wusste nicht einmal, wo das Zündschloss genau war.
Trotzdem habe ich das Autofahren an sich recht schnell gelernt. Ich kann sogar am Berg anfahren und rückwärts einparken.

Nie gelernt habe ich alles, was sonst noch mit einem Auto zu tun hat.
Will ich mit dem Auto fahren, setze ich mich hinter das Steuerrad, drehe den Zündschlüssel rum, trete aufs Gaspedal und lasse die Kupplung los. Und dann fährt das Auto los.

Warum? Ich habe keine Ahnung. Es ist mir ein Rätsel, wie sich eine Konstruktion aus Blech und Plastik in Bewegung setzen kann. Vielleicht liegt es daran, dass Autos ein Eigenleben führen. Sie können denken und fühlen wie schon damals mein kleiner Bruder wusste. Deshalb haben auch unsere Autos immer Namen. Allerdings weine ich nicht, wenn sie eine Delle haben.

Fährt das Auto los, ist auch alles in Ordnung. Aber wehe, wenn nicht! Dann gerate ich ins Schwitzen und greife zu dem einzigen Mittel der Autoreparatur, das ich kenne: ich beschimpfe es. Und drohe mit dem Schrottplatz. Manchmal hilft es sogar. Doch leider nur manchmal.

Und wenn alles Schimpfen und Drohen erfolglos bleibt, denke ich nach. Hat das Auto Benzin? Natürlich hat das Auto Benzin. Es hat immer genügend Benzin. Außer wenn die Liebste mal wieder dachte, das rote Feld der Tankanzeige dient der Dekoration. Oder wenn sie der festen Überzeugung war, das reicht auf jeden Fall bis Hintertupfingen. Und was soll ich sagen? Sie hatte Recht. Es reichte bis Hintertupfingen. Bloß gibt es in Hintertupfingen keine Tankstelle, die am Sonntag geöffnet hat.

Ist die Benzinfrage zufriedenstellend geklärt und hat die Drohung mit dem Schrottplatz nichts geholfen, bleibt mir nicht mehr viel.

Ich verwandle mich von der selbstbewussten Lesbe in ein dummes Frauchen und schreie nach einem Mann. Egal, nach welchem. Hauptsache ein Mann.
Er muss dann unter die Motorhaube sehen und so tun, als wüsste er, was er tut. Meist weiß er das nicht, aber der Geruch der männlichen Hormone allein schon erschreckt das Auto manchmal, und es entschließt sich loszufahren. Was dem Mann das Gefühl gibt, doch etwas von Autos zu verstehen.

Lässt sich das Auto von dem männlichen Blick nicht erschrecken, schreitet er zur Tat. Schließlich stehe ich daneben und werfe ihm bewundernde Blicke zu, bloß weil er in der Lage gewesen war, die Motorhaube zu öffnen.

Er überprüft den Ölstand, sieht nach dem Kühlerwasser und wackelt an verschiedenen Kabeln. Um dann bedauernd festzustellen, dass nichts geht und wohl eine Werkstatt gefragt ist. Es muss ein kapitaler Fehler vorliegen, denn sonst hätte er ihn mit seinem männlichen Instinkt längst gefunden. Ich nicke verständnisvoll und warte bis er mit seinen ölverschmierten Händen um die nächste Ecke verschwunden ist.

Jetzt muss ein Mann her, der sich diese Blöße nicht geben wird. Der sich um das Auto kümmert bis es wieder fährt, egal was er dafür auf die Beine stellen muss. Und ich kann es zwar immer wieder kaum fassen, von der Sorte Mann gibt es mehr, als frau denken sollte.

Und deshalb, liebe Leserinnen, fährt unser Auto eigentlich immer.

 

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