Zum Inhalt springen

Die geheime Lesbe im Weltall

Noch gestern früh hätte ich eine Frage nach Sally Ride nicht beantworten können. Raumfahrt und/oder Astronaut_innen gehörten noch nie zu meinen Interessengebieten. Das Schicksal der armen Laika hat mir schon im Kindergarten jeden möglichen Spaß daran verdorben. »Nee, zurückgekommen ist der Hund nicht mehr. Den haben bestimmt die Marsmenschen gefressen«, wurde mir damals von einem gleichaltrigen Alleswisser erklärt.

Nur ein einziges Mal habe ich mich bewusst vor den Fernseher gesetzt, um den Start einer Raumfähre zu beobachten. Aus feministisch-erzieherischen Gründen. Nach einem äußerst absurden Gespräch über Berufsbilder wollte ich meiner Tochter zeigen, dass Frauen dieselben Dinge wie Männer lernen können. Wenn sie es denn wollen. Sogar in den Weltraum fliegen. Für diese Demonstration hätte ich kaum einen schlechteren Zeitpunkt wählen können: Nach wenigen Sekunden explodierte die Challenger und die damals Fünfjährige stellte fest, dass ihre Erzieherin doch recht hätte. Solche gefährlichen Sachen sollten Männer besser alleine machen.

Sally Ride, die erste Amerikanerin im Weltall, hatte ein paar Jahre zuvor mehr Glück und kehrte unbeschadet auf die Erde zurück. In den USA wurde sie zu einem Idol, einem Vorbild für viele kleine Mädchen. Dass sie lesbisch war, scheint außerhalb ihres engsten Umfeldes nicht bekannt zu sein. Erst in der Todesanzeige wurde sie von ihrer Partnerin und ihrer Schwester geoutet. Ob sie damit wirklich einverstanden gewesen wäre oder es sich um ein posthumes Zwangsouting handelt, werden wir wohl nie erfahren.

»Coming-Out in der Todesanzeige«, schrieb SpOn prompt und verwechselte damit nicht nur die Begriffe, sondern lieferte auch gleich die Erklärung, weshalb es vielen lesbischen Frauen so schwerfällt, sich zu outen. Plötzlich schien die sexuelle Orientierung interessanter als der Beruf zu sein und in der Artikelüberschrift war aus der Astronautin vom Morgen sozusagen die Lesbe am Nachmittag geworden. Andere Printmedien korrigierten hingegen ihre Onlineausgaben erst gar nicht und beließen es dabei, Tam OShaughnessy als langjährige Geschäftspartnerin oder Freundin zu bezeichnen und stattdessen die geschiedene Ehe mit einem Astronauten von vor dreißig Jahren hervorzuheben.

Selten habe ich »meine«[1] lesbische Welt derart uneins und verwirrt gesehen. Wie oft hören oder lesen wir, diese oder jene Berühmtheit hätte sich geoutet hätte bzw. wurde zwangsgeoutet. Aber wirklich unvermutet fällt dabei nie ein Name, in den meisten Fällen brodelt die Gerüchteküche bereits seit Jahren. Sally Ride jedoch ist nicht nur für mich, die Raumfahrtignorantin, eine große Überraschung, sondern auch für den Rest der LGBT Welt. Eine Berühmtheit, die es tatsächlich schaffte, ihr Privatleben jahrzehntelang geheim zu halten.

Verständnislosigkeit, Trauer, Betroffenheit und sogar bisschen Spott. Ärger über eine Lesbe, die nicht freiwillig aus dem Schrank gekommen ist. Bei wie vielen Gelegenheiten hätte sie schon als »Vorzeigelesbe« dienen können. »Bah, wen interessieren jetzt noch schwule Politiker«, triumphiert eine Junglesbe. »Gegen eine lesbische Astronautin kommen die nicht an!« Viele fragen sich, wie es sich wohl anfühlen mag, 27 Jahre in einer »geheimen« Partnerschaft zu leben? Jede_r versteht, warum Sally Ride sich nicht während ihrer Zeit bei der NASA outen wollte. Bei den damaligen Verhältnissen war ihr sicher nur die Wahl zwischen Karriere oder Outing geblieben. Aber später?

»In gewisser Weise erinnert mich das an Rock Hudson, der sich erst kurz vor seinem Tod geoutet hat. Vielleicht hatte sie ja Ähnliches vor und es blieb ihr nur keine Zeit mehr dafür?« fragte eine Freundin. Oh ja, diese Variante würde mir gefallen. Kein Zwangsouting, kein Verleugnen auf immer und ewig, sondern die Bereitschaft, nicht nur als Astronautin, sondern auch Lesbe ein Vorbild für Jugendliche zu sein.

R.I,P Sally Ride

Coming Out als Nachlass

First U.S. woman in space Sally Ride passes away and comes out

Eine Frau ist keine Lesbe, ist keine Lesbe


[1] Gemeint sind sowohl Freundinnen als auch Kontakte über Soziale Netzwerke und Blogs, die regelmäßig lese.

Auf der Karnele werden Cookies gesetzt, z.B. von Anbietern verschiedener Wordpress Plugins und IONOS, dem Webhoster. Wenn Du hier weiterliest, akzeptierst Du deren Verwendung.