Ein Mensch der Piratenpartei, von dem ich bis gestern nur wusste, dass er wohl mal im Fernsehen ohne Socken aufgetreten ist, hat im FAZ Feuilleton über seine Erfahrungen als zeitweiliger Hartz IV Empfänger geschrieben. Mir mangelt es an Zeit, Lust und Möglichkeiten, die Details seiner Geschichte auf ihren Wahrheitsgehalt hin zu überprüfen. Ebenso wenig interessieren mich seine Motive, weshalb er damit an die Öffentlichkeit gegangen ist.
Hartz IV Empfänger_innen schaffen es fast nie als aktive Personen in die Medien und erst recht nicht in die FAZ. Normalerweise berichten nicht sie, sondern es wird über sie berichtet, mal voll Mitleid, mal mit bösen Unterstellungen. In diesem elenden System, das 2006 unseren früheren Sozialstaat abgelöst hat, hat man den Betroffenen das Recht abgesprochen, selbst zu agieren, ihnen bleibt (meist) nur die Option des Reagierens.
Nur weil es bei diesem Artikel einmal anders war, habe ich ihn entgegen meiner sonstigen Gewohnheit tatsächlich vom ersten bis zum letzten Satz gelesen. Und am Ende festgestellt, das System Hartz IV wird auf exakt die gleiche Weise dargestellt, wie es mir Leser_innen seit inzwischen sechs Jahren immer wieder in teilweise sehr ausführlichen Mails beschreiben. Auch hier handelt es sich um Reaktionen – auf Verhartzte Lesben, Ich scheiß auf Neuwahlen oder den Winterhauch, der streckenweise eigentlich ebenfalls eine Reaktion war, nämlich auf die Mails, die ich nach den Verhartzten Lesben erhielt.
In meiner Twitter Timeline war der Artikel schnell ein Thema und bei den parteipolitisch stark Gebundenen setzte der übliche Beißreflex ein. Man analysierte das Motiv des Piraten, recherchierte die Richtigkeit seiner Angaben und unterstellte ihm Profilierungssucht. Wieder einmal ging es um Macht, statt um Politik. Nicht Hartz IV war/ist das Problem, sondern der Autor von der falschen Partei, der sich möglicherweise auch noch falsch verhalten haben könnte.
Hätte ich einen Kronleuchter, würde ich jetzt gern daran schaukeln, so sehr ärgert mich dieses Verhalten. Meine Aufmerksamkeit gilt nicht dem Piraten als Pirat. Solange seine Partei Piraten und nicht Pirat_innen heißt, will ich mich sowieso nicht näher mit ihr beschäftigen. Was allerdings ein Hartz IV Empfänger, selbst wenn er »nebenbei« auch noch Pirat ist, zu sagen hat, stößt bei mir auf großes Interesse.
Am allerliebsten wäre mir jedoch, wenn sich die Partei, die mir nahe steht, endlich einmal mit Hartz IV beschäftigen würde. Hört auf, Eure Zeit und Energie in Scheingefechten mit den Piraten zu verschwenden, sondern denkt zum Beispiel endlich über Lösungen nach, die Hartz IV Empfänger_innen wieder sehen, hören und beißen (Brille, Hörgerät, Gebiss) ermöglichen! So als Anfang … bis zur Einführung des bedingungslosen Grundeinkommens.