Neulich habe ich ein paar alte Fotos im Küchenofen verbrannt. Die dazugehörigen Negative waren schon vor ein paar Jahren bei einer Entrümplungsaktion auf dem Müll gelandet. Es handelte sich dabei um Bilder von meinen Kindern, aufgenommen irgendwann an einem heißen Sommertag Mitte der Achtziger Jahre. Gemeinsam mit ein paar Nachbarskindern rannten sie nackt durch den Garten, bespritzten sich gegenseitig mit dem Wasserschlauch, hüpften immer wieder ins Planschbecken und hatten sehr viel Spaß. Wie so oft bei solchen Gelegenheiten habe ich irgendwann die Kamera geholt und fast einen ganzen Film verknipst, der später in ein Geschäft zum Entwickeln gebracht wurde. Die Nachbarskinder, Oma, Opa und Patentante erhielten ein paar Abzüge, die Fotos kamen wie üblich ins Album und staubten allmählich ein.
In meiner damaligen Naivität wäre ich nie im Leben auf die Idee gekommen, dass sich außer den Kindern selbst und nahen Angehörigen noch irgendein Mensch für diese Fotos interessieren könnte. Ihr einziger Wert bestand doch in der Erinnerung an einen schönen Tag. Aufgenommen mit einer einfachen Knipskamera, mal fehlte der Teil eines Kopfes mal die Füße, selten stimmte die Entfernung. Und der eitle Gesichtsausdruck des kleinen Nachbarmädchens, das sich mehrmals direkt vor der Kamera in Pose geschmissen hatte, sorgte bei jedem Ansehen wieder für Heiterkeit.
Natürlich wusste ich, dass es Pädophile und Kindesmissbrauch gab, irgendwo ganz weit weg von meiner Welt. Über solch abartige Kriminelle konnte man ja manchmal was in der Zeitung lesen. Das bessere Wissen inclusive der Erkenntnis, dass sich genau zu dieser Zeit in „meiner“ Partei Pädophile eingenistet hatten, wuchs erst in den Jahren danach … und wächst leider immer noch. Aus den „abartigen“ Kriminellen meiner Unbedarftheit von einst sind inzwischen ganz „normale“ Menschen geworden. Väter, Pfarrer, Lehrer und aktuell hat mich der Fall Edahty dazu gebracht, über jene Fotos nachzudenken: Die Mitarbeiter des Ladens, in den ich den Film brachte, das Fotolabor, all diejenigen, die seitdem wenigstens theoretisch Zugang zu den Fotos hatten. Nein, ich will nicht glauben, dass es in meinem direkten Umfeld Pädophile gibt oder vielleicht mal geben wird, aber im Gegensatz zu früher würde ich meine Hand dafür nicht mehr ins Feuer legen.
Und während ich seit Monaten damit beschäftigt bin, die Anfangsjahre der Grünen und meinen Umgang mit pädophilen Forderungen aufzuarbeiten, mich über #idpet Unterzeichner_innen und ihre Unterstellung, homosexuell sei gleich pädophil aufzuregen und außerdem neuerdings noch über Fotos, straffreies und strafwürdiges Posen von Kindern und Jugendlichen nachdenke, fällt mir in der TAZ eine Kolumne von Elmar Kraushaar auf: „Der Bund Lesbischer und Schwuler JournalistInnen vergibt einen Medienpreis, der benannt ist nach Felix Rexhausen. Pädophil, pädophil!, schreit es jetzt im BLSJ.“
Die „Wahrheit über den homosexuellen Mann“ lese ich nur selten, aber das interessiert mich jetzt. Nicht nur, weil ich im April beim Jahrestreffen des BLSJs einen Workshop mache, sondern auch, weil ich schon oft Meldungen zum lesbisch-schwulen Medienpreis getwittert oder auf facebook verlinkt habe. Ziemlich fassungslos erfahre ich jetzt zum ersten Mal, worüber der Namensgeber u.a. geschrieben hat: „Mal taucht ein 15-jähriger Stricher auf im Geschehen, mal fantasiert ein 14-Jähriger von sexuellen Spielereien mit einem 11-Jährigen.“
Während die einen im BLSJ von „Zwangsprostitution“ und „sexuellen Missbrauch“ sprechen und eine Umbenennung des Preises fordern, verteidigen die anderen das Werk Rexhausens mit Zähnen und Klauen. Wenigstens nach dem, was Kraushaar in seiner Kolumne schreibt, denn ansonsten ist bisher im Internet nichts von dieser Auseinandersetzung zu lesen. Aus der heftig brodelnden lesbisch-schwulen Gerüchteküche höre ich schließlich, dass inzwischen sogar nach einer Abstimmungsniederlage der halbe Vorstand, nämlich die Befürworter_innen einer Namensänderung, zurückgetreten sein soll zurückgetreten ist.
Nach all den Diskussionen und Erkenntnissen der letzten Jahrzehnte ist Rexhausen heutzutage als Namensgeber für einen lesbisch-schwulen Preis inakzeptabel. Meine Assoziation: demnächst ein Edathy Fotografiepreis für „künstlerische“ Bilder mit stillstehenden nackten Jugendlichen. Ist ja schließlich auch nicht strafbar und ganz harmlos.