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Ein Tag wie jeder andere

Letztes Jahr an Ostern gab es bei Aldi ein tolles Angebot. Zwei Backformen in einer Packung, eine Lämmchen- und eine Hasenform. Endlich mal waren diese Formen auch für unseren Geldbeutel erschwinglich, und meine Liebste und ich backten vor Ostern wie die Wilden. Jeder unserer Lieben sollte so eine Osterüberraschung bekommen. Unsere Begeisterung flaute schnell ab, und ab dem zehnten Lamm fluchten wir nur noch. Ostermontag haben wir die Formen gut gesäubert und ganz oben hinten im Schrank versteckt.


Nicht gerade überraschend gab es dieses Jahr wieder ein Ostern, und da der Mensch wie die Buddhisten glauben, erst nach vielen Wiederholungen aus seinen Fehlern lernt, habe ich meine Liebste auf die Leiter gejagt, damit sie die Backformen wieder hervorholt.

Und es gab dieses Jahr nicht nur wieder ein Ostern, sondern im Laufe des Jahres hat sich unsere Familie auch wieder einmal durch nicht natürliche Geburt vergrößert. Ein Umstand, den meine Oma schon vor Jahren moniert hatte, als sie nach der – allerdings natürlichen – Geburt des vierten Urenkels empört feststellte, diese Familie vermehre sich wie die Karnickel – einzig und allein in der Absicht ihre Rente in Form von Geschenken zu verprassen.

Als ich kurz überschlug, wie viele Lämmer und Hasen es denn dieses Jahr werden würden, wurde mir doch leicht schlecht, und ich dachte wieder mal daran auszuwandern – in ein Land, wo Ostern nicht gefeiert wird. Eine Überlegung, die ich regelmäßig auch immer wieder in der Weihnachtszeit anstelle. Aber tapfer machte ich mich ans Werk, während meine Liebste die Eier färbte, Alufolie für Nestumrandungen zerknüllte und zwecks Produktion von Ostergras buntes Papier durch den Aktenvernichter laufen ließ.

Ungefähr 48 Stunden, zwanzig Hasen und zwanzig Lämmer, drei Brandblasen an den Fingern und einer völlig versauten Küche später – dass Kuvertüre nicht in der Mikrowelle geschmolzen werden kann, weiß ich nun auch -, kam die Schwester der Sozialstation, um unserer Oma die Medikamente einzuflößen. Begeistert besah sie sich die vielen Nester und meinte: »Früher habe ich so Sachen auch immer gemacht. Aber wenn man arbeitet, hat man für so was leider keine Zeit mehr.«

»Mann vielleicht nicht …«, begann ich vor mich hinzuknurren und nur der scharfe Blick meiner Liebsten hielt mich davon ab, dieser Schwester eines der Osternester in den Rachen zu stopfen.

»Was machen Sie denn beruflich?« Ich hasse diese Frage. Denn ich habe keinen ordentlichen Beruf mit ordentlichen Arbeitszeiten. Je nachdem, wer diese Frage stellt, antworte ich auch schon mal, dass ich meine Liebste zum Arbeiten schicke.

Je mehr sich aber herumspricht, dass ich gelegentlich schreibe, hat sich auch mein Antwortproblem gelöst, denn nun bin ich ja Autorin. Zwar auch kein ordentlicher Beruf, aber wenigstens eine Einnahmequelle wie Unbedarfte irren und so wunderschön nebenbei zu erledigen.

Jetzt werde ich nicht mehr gefragt »Was machen Sie denn beruflich?« sondern »Was machen Sie denn so den ganzen Tag?« und immer schwingt im Unterton der leichte Neid mit. Denn eigentlich habe ich ja gar nichts zu tun.

Außer morgens mit dem Hund spazieren zu gehen. Nun, ich wollte ja unbedingt einen Hund haben. Wären meine Liebste und ich schlauer gewesen, dann hätten wir jetzt einen Schoßhund. Denn der sitzt ja bekanntlich nur auf dem Schoß. Unser Hund will morgens sieben Kilometer laufen, mindestens.
Im Sommer muss ich dann noch auf der Terrasse die Pflanzen gießen, morgens in aller Frühe, bevor es warm wird. Die Terrasse ist groß, da passen viele Pflanzen hin. Bei uns stehen immer so um die 100 Töpfe und Kübel.

Dann noch einen Hefeteig für Omas Hefezopf ansetzen. Brot haben wir auch keines mehr, also gleich noch einen Teig. Zwischendurch immer wieder mal mit dem Staubsauger durch die Wohnung. Es klingelt, Briefträger bringt ein Einschreiben, endlich die t-online CD. Ich kann es natürlich nicht lassen und installiere sie gleich. Ein Kunde ruft an und möchte eine geschliffene Rede anlässlich des Geburtstags seiner Tante.

»Wann hat die Tante denn Geburtstag?« fragte ich und versuche dabei, den Bildschirm im Auge zu behalten. »Ja, heute …«

Währendessen schreit die Oma: »Schnell«, da war’s aber schon zu spät. Sie war versch… vom Genick bis zu den Zehen. Und hinterließ eine Spur von ihrem Zimmer bis zum Clo. Oma säubern, Bad schrubben, Flur schrubben. Der Hefeteig ist über die Schüssel gewandert und tropft auf den Boden. Omas Klamotten einweichen, da schreit sie schon wieder: »Schnell!«. Das Ganze noch mal von vorn.

Als ich mal einen Blick auf den PC werfe, leuchtet der Bildschirm: schwerer Ausnahmefehler … Der Hund ist durch den Hefeteig gewatet und verteilt ihn in der ganzen Wohnung. Es klingelt wieder, unser Hausarzt, der jeden Donnerstag zur Oma kommt. Während er die Oma abhorcht, guckt er mich an »Sie gefallen mir gar nicht!«

Ich verkneife es mir, ihm zu sagen, dass er mir auch nicht gefällt. Er fragt nach meiner Migräne und besteht darauf meinen Blutdruck zu messen. 190/110 – er will mir den Ernst der Lage erklären, ich nehme ihn nicht ernst … er wird immer dramatischer und brüllt fast: »Sie sind nah an einem Schlaganfall!«

Oma hört das Wort Schlaganfall. »Ich habe einen Schlaganfall? O Gottogottogott, ich sterbe!« und greift sich an Herz und fängt an in den höchsten Tönen zu jaulen. Der Hund, die unter Omas Bett hockt und Krach nicht ertragen kann, rennt aus dem Zimmer, schlittert über den nassen Flur und knallt gegen die Wohnungstür. Oma legt sich schon mal zum Sterben hin.

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