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Rentneralarm bei Aldi

Es ist Freitagvormittag, die Einkaufsliste länger als eine Rolle Klopapier und meine Laune auf dem Tiefpunkt. Glaube ich wenigstens, bis ich auf den Aldi-Parkplatz einbiege. Dort sinkt sie noch tiefer und erreicht bei dem Anblick der vielen hochglänzenden Mittelklassewagen Minusgrade.


Deutschlands rüstige Rentner sind wieder unterwegs! Hilfe! Eigentlich ein Grund umzudrehen. Aber wenn ich ohne Kaffee und Tabak wieder nach Hause komme, wird die Liebste einen Nervenzusammenbruch erleiden. Sie ist wirklich nicht anspruchsvoll. Sie ernährt sich notfalls von weich gewordenem Knäckebrot und wellenschlagenden Salamischeiben. Aber Kaffee und Nikotin müssen im Haus sein!

Ich bleibe erst mal einige Minuten im Auto sitzen und hole tief Luft. »Du wirst es überstehen«, flüstere ich mir selbst Mut zu, bevor ich in den sauren Apfel beiße und einchecke. Gleich hinter der Tür stoße ich mit dem ersten Rentner zusammen. Mit der Lesebrille in der Hand versucht er, die Beschriftung des Kaffeepäckchens zu entziffern. Warum er dabei die Brille nicht auf die Nase setzt, wird sein unergründliches Geheimnis bleiben.

Seinen Einkaufswagen hat er quer in den Gang gestellt und versperrt allen weiteren Eindringlingen den Weg. Das stört ihn aber wenig, denn er hat ein Problem. Auf seinem Einkaufszettel steht: Kaffee, milde Sorte, grün. Doch im Regal kann er nur blaue milde Sorten finden. Also greift er ein grünes Päckchen nach dem anderen in der Hoffnung, doch noch eine grüne milde Sorte zu finden. Er will daheim schließlich keinen Krach mit seiner Frau, die ihm den Einkaufszettel geschrieben hat, bekommen.

Derweil poliert die Gattin zu Hause die Gelsenkirchener Barockmöbel und freut sich des Lebens. Endlich wieder Freitag! Endlich wieder ein Grund, den Gatten aus dem Haus zu schicken. Oder besser ausgedrückt: ihn aus dem Weg zu räumen.

Ich sehe es direkt vor mir, wie sie bereits am Donnerstag ihrem Mann einen Einkaufszettel für Aldi schreibt. Kaffee steht gleich am Eingang, folgerichtig kommt er als Letztes auf die Liste. Ganz Gewiefte schreiben dann noch »milde Sorte – grün« wohlwissend, dass die milde Sorte blau verpackt ist und den Gatten in große Verwirrung stürzen wird.

»Oh, das tut mir aber leid, natürlich meinte ich blau«, wird sie später sagen, wenn er wieder nach Hause kommt, und ihn in der Ansicht bestätigen, dass der Haushalt erst seit seinem Eintritt ins Rentenalter so richtig funktioniert.

Als Zweites kommen die sauren Gurken auf den Einkaufszettel, die stehen nämlich am Ende des letzten Gangs. Dann die Marmelade, die wieder im ersten Gang gegenüber vom Kaffee zu finden ist.
So irren diese noch sehr rüstigen Rentner durch den Aldi. Ungerührt werden sie zum Verkehrshindernis, während sie umständlich ihre Lesebrille aus der Brusttasche ziehen, aufsetzen, fünf Gläser Erdbeermarmelade nacheinander in die Hand nehmen und begutachten. Könnte ja sein, dass auf einem doch etwas anderes steht als auf allen anderen.

Haben sie sich endlich entschieden und die Marmelade in den Einkaufswagen gestellt, wird die Lesebrille wieder sorgfältig verstaut und es geht weiter zu den Pilzen am anderen Ende des Ladens.
Auf diese Art und Weise kann eine begabte Ehefrau ihren Ehemann mit dem Einkauf von nur zehn, elf recht unwichtigen Artikeln stundenlang beschäftigen.

Denn als altgediente Hausfrau hat sie immer einen ordentlichen Vorrat an Kaffee und Gurken in der Speisekammer stehen. Und Erdbeermarmelade kocht sie seit Jahr und Tag selbst ein. Das Glas vom Aldi, das er nach Hause bringt, wird sie irgendwann einmal zum Backen verwenden. Die wirklich wichtigen Sachen hat sie bereits am Tag zuvor eingekauft. Donnerstags gibt es bei Aldi die Sonderangebote. Da macht sie sich persönlich auf den Weg, um Jeans und neue Socken für die Enkelkinder zu ergattern.

Dass es donnerstags bei Aldi zugeht, wie früher in der DDR, wenn es Bananen gab, stört sie nicht. Im Gegenteil, es befriedigt ihren Jagdinstinkt und treibt ihren Adrenalinspiegel in die Höhe. Kann sie vielleicht noch einer Konkurrentin die letzte rote Hose der Größe 134 aus der Hand reißen, reichen die dabei ausgestoßenen Glückshormone für eine ganze Woche.

Wenn möglich, leiht sie sich für den Einkauf ein Kleinkind in der Nachbarschaft aus. Das muss dann im Einkaufswagen auf den bereits ergatterten Stücken sitzen, um den Raub dieser letzten Hose aus einem unbewachten Wagen zu verhindern. Lieber würde sie ja den Hund mitnehmen, doch der hat bei Aldi leider Hausverbot. Macht aber nichts, denn beißen kann das Kleinkind fast noch besser als der Hund.

Ein winzig kleines Problem dabei ist, wie sie dem Gatten begreiflich machen kann, weshalb er am nächsten Tag schon wieder zu Aldi gehen muss. Aber sie ist ja lange genug verheiratet und beherrscht die Tricks und Kniffe des Ehelebens aus dem Effeff.

»Mein Gedächtnis wird auch immer schlechter. Ich werde wirklich alt. Jetzt habe ich die Hälfte vergessen«, jammert sie beim Verstauen der Lebensmittel mitleidsheischend. »Dabei brauchen wir den Kaffee so dringend. Müllers kommen doch am Sonntag!«

Der Gatte, ebenfalls durch langes Eheleben geschult, wird sich hüten, sie deswegen zu tadeln. Nein, er tröstet sie und verspricht, morgen noch einmal selbst zu Aldi zu gehen.

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