Einst sei das Internet eine Universität gewesen, dann ein Kaufhaus und mittlerweile habe es sich in einen Kriegsschauplatz verwandelt. Dieses nicht ganz wörtliche (ich bin zu faul, es noch einmal nachzulesen) Zitat eines Bloggers aus den USA leitete vor zwei Stunden auf Bayern 2 ein Interview mit einer feministischen Bloggerin ein. Stephanie Mayfield hatte per email eine Morddrohung erhalten und berichtete nun darüber, wie es ihr und ihrem Umfeld damit ergangen war und was sie deshalb unternommen hatte. Es ist zweifelsohne gut und richtig und wichtig, dass sie damit in die Öffentlichkeit gegangen ist und die Sendung Zündfunk bei Bayern 2 das Thema aufgegriffen hat. Denn dieses Ereignis ist absolut kein Einzelfall, sondern gehört zum ganz normalen Alltag bloggender Frauen und ist bisher außerhalb der „Szene“ viel zu selten zum Thema gemacht worden.
Trotzdem habe ich mich geärgert. Denn leider wurde der Eindruck vermittelt, wenigstens kam es bei mir so an, als handele es sich hier um ein relativ neues Phänomen. Ein Schluss, der auch aus dem Eingangszitat gezogen werden könnte. Doch das Internet war für Frauen, die Texte mit feministischen oder lesbischen Inhalten veröffentlichen, noch nie ein Kuschelplatz gewesen, sondern vom ersten Tag an ein Kriegsschauplatz. Schon Jahre, bevor das Wort Blog erfunden wurde, hatten (hauptsächlich) Männer Jagd auf „bloggende“ Frauen gemacht, auch wenn diese ihre Texte damals noch z. B. Kolumnen nannten.
Ich veröffentliche auf unserer Webseite seit dem Jahre 1999 Texte zu Frauen- und/oder Lesbenthemen. Anfangs noch unter der Domain „lesbenliebenleben“, die irgendwann in der heutigen Karnele aufging. Ich kann mit Fug und Recht behaupten, eine der ersten deutschsprachigen Bloggerinnen zu sein und zu den wenigen Autorinnen zu gehören, die von Anfang an die Möglichkeiten des Internets erkannten und versuchten, diese wichtigen Themen in einer lockeren Alltagssprache einem breiteren Publikum nahe zu bringen. Wenn ich Lieschen Müller erreichen will, darf ich sie nicht mit theoretischen Texten zumüllen, lautete damals die Devise, die mir und den zwei, drei Kolleginnen, die Ähnliches versuchten, von den „richtigen, ernsthaften, gebildeten“ Feministinnen und der „Lesbenpolizei“ sehr übel genommen wurde und diese Damen begegnen uns noch heute mit Ignoranz und Verachtung.
Ich kann mich nicht mehr genau daran erinnern, wie lange es gedauert hatte, bis mich die ersten Gästebucheinträge und Mails erreichten, in denen ich beschimpft und bedroht wurde. Es begann ungefähr nach drei oder vier Monaten und gehört seitdem zu unserem Alltag. Die Häufigkeit und Heftigkeit wechselt, mal sind es mehr, mal weniger, mal nur Zoten, mal deutliche Gewaltandrohungen. Doch es hat seitdem keinen Monat mehr gegeben, in dem bei uns nicht wenigstens eine dieser Mails eintrudelte.
Im Jahre 2004 wurde es so heftig, dass ich zum ersten Mal versuchte, Anzeige bei der Polizei zu erstatten. Der Kleinkleckersdorfer Sheriff schickte mich weg, weil ich kurz vor seinem Feierabend erschienen war, und gab mir einen Termin für den übernächsten Tag. Da erklärte er mir dann, dass Frauen, die sich wie ich öffentlich als Lesbe zu erkennen geben, nicht anderes zu erwarten hätten und empfahl mir, die Webseite zu schließen und aufzuhören, die Männer zu ärgern. Würde ich seinem Rat nicht folgen, sei ich ja wohl selbst an diesen Belästigungen interessiert und sollte dann auch nicht zur Polizei rennen und Anzeige erstatten wollen.
Die nächste Anzeige übernahm für mich meine Berliner Anwältin, die sich sonst eigentlich nur um meine beruflichen Probleme kümmerte. Sie umging den Kleinkleckersdorfer Sheriff und wandte sich direkt an zuständige Staatsanwaltschaft. Diese reagierte prompt, schickte die Akte nach Kleinkleckersdorf und bat um eine Stellungnahme. Nach ein paar Wochen rief mich meine Anwältin fassungslos an und legte mir nahe, sofort in eine Großstadt umzuziehen. Das Verfahren gegen unbekannt war eingestellt worden, weil – nicht wörtlich, aber sinngemäß – Lesben gar nicht beleidigt oder bedroht können, wenn sie ihre Lebensaufgabe darin sehen, mittels bösartiger Texte im Internet Männern das Leben zur Hölle machen zu wollen.
Mittlerweile haben wir uns an solche Vorfälle gewöhnt und uns damit abgefunden, dass das Internet ein Kriegsschauplatz ist. Wir haben Vorsichtsmaßnahmen getroffen, sind umgeben von starken Männern in der Nachbarschaft und auch unsere Hunde kamen nicht nur als Kuscheltiere ins Haus. Manchmal, wenn es gar zu extrem wird, schreibe ich auch darüber oder veröffentliche schon mal die Handschrift eines Stalkers.
Es ist schlimm, es ist ein Skandal, wenn Frauen bedroht werden, weil sie Texte im Internet veröffentlichen. Doch neu ist das nun wirklich nicht. Neu scheint nur zu sein, dass inzwischen Anzeigen bei der Polizei ernster genommen werden.