Ruth Bader
»Kölsche Jonge: Spuren einer jüdischen Familie«
ISBN 978-3837038149
Letztes Jahr erschien »Nicht mit zu hassen, mit zu lieben bin ich da«, das die Autorin gemeinsam mit ihrer Mutter Edith Devries schrieb. Ruth Baders neues Buch heißt »Kölsche Jonge: Spuren einer jüdischen Familie« und erzählt aus dem Leben ihres Vaters. Zwei Bücher mit ähnlichem Thema, dennoch vollkommen verschieden und schon gar nicht miteinander vergleichbar.
Bis 1933 waren die Baders eine ganz normale Kölner Familie: Vater Fritz, Mutter Regina und ihre vier Söhne Martin, Georg, Adi und Kurt. Bei Kriegsende hatten nur zwei von ihnen den Holocaust überlebt: Martin, der sich nun Menasche nennt, und Adi, der später einmal der Vater der Autorin werden sollte. Im Alter von acht Jahren hatten ihn seine Eltern 1939 nach Belgien geschickt. Zwei Jahre zuvor war bereits sein älterer Bruder mithilfe einer zionistischen Jugendorganisation nach Palästina emigriert.
In der ersten Hälfte des Buches lässt die Autorin Vater und Onkel in einer Art Dialog abwechselnd erzählen. Sie berichten von ihrer Familie und weiteren Verwandten, dem Leben in Köln, der Zeit in Palästina und dem jüdischen Kinderheim in Belgien und wie es in ihnen danach in den Jahren von 1945 bis 1956 ergangen ist. Gelegentlich werden diese Erinnerungen durch kurze Einwürfe weiterer Zeitzeugen ergänzt. Die zweite Buchhälfte besteht aus einer Sammlung von Briefen, die Ruth Bader im Laufe der Jahre zusammengetragen und behutsam für eine Veröffentlichung bearbeitet hat.
Gräueltaten werden in diesem Buch keine geschildert, ganz im Gegenteil, dieser Teil der Familiengeschichte wird recht nüchtern abgehandelt. Anfangs hatte ich vollkommen falsche Erwartungen: Wie selbstverständlich war ich davon ausgegangen, dass zwei Brüder, die den Holocaust überlebt haben, überglücklich sein müssten, wenigstens noch sich zu haben und deshalb auch für den Rest ihres Lebens wie die Kletten aneinanderhängen würden.
Doch Menasche und Adi sind sich fremd und scheinen nur wenig gemeinsam zu haben. Bis heute sind sie kaum in der Lage, dem jeweils anderen ihre Erlebnisse und Erfahrungen aus der Zeit der Trennung und die daraus entstandene eigene Sicht der Dinge begreiflich zu machen. Der Ältere korrigiert den Jüngeren: »Das war im Jahre 1939 und nicht 1937 …« und der Jüngere ist, salopp ausgedrückt, sauer, weil er nach Kriegsende von seinem Bruder nach Palästina geholt wurde. Menasche ist stolz auf seinen persönlichen Beitrag, den er zum Aufbau des Staates Israel geleistet hat, und erwartete von dem kleinen Bruder eine gewisse Dankbarkeit, weil er sich um ihn kümmerte. Währenddessen konnte Adi es kaum abwarten, wieder nach Europa zurückzukehren und nahm auch die erstbeste Gelegenheit, die sich ihm bot, wahr. Die Männer erzählen von Kleinigkeiten, die im Vergleich zu der großen Tragödie scheinbar so nebensächlich wirken. Dabei sind die gegenseitigen unterschwelligen Vorwürfe nicht zu überhören oder richtiger: zu überlesen. Angesichts Menasches Pedanterie, alles schriftlich festzuhalten, möchte man ihn gelegentlich mal anschreien: »Das ist doch so was von unwichtig!« und gleichzeitig Adi nahelegen, mehr Verständnis für den großen Bruder zu zeigen, der sich für ihn verantwortlich fühlte und bestimmt sein Bestes gegeben hat.
Die Briefe der zweiten Buchhälfte haben mir viel Geduld abverlangt. Abkürzungen, der Wechsel zwischen deutsch, englisch sowie hebräischen Buchstaben und die manchmal »merkwürdige« Grammatik und Ausdrucksweise, weil viele der Schreiberinnen und Schreiber bedingt durch ihre zerrissenen Biografien wohl keine Sprache mehr »richtig« beherrschten, machen das Lesen teilweise recht schwierig. Dennoch hat es sich gelohnt, besonders wenn es um die ganz normalen Alltagsprobleme in den Anfangsjahren des Staates Israel geht. Informative, interessante, erschütternde und auch komische Stellen schildern Erlebtes plastisch und sicher auch wesentlich authentischer, als das eine stilistisch grammatikalisch glattgebügelte Version der Briefe je vermocht hätte.
Ruth Bader, die seit einigen Jahren in Australien lebt, war es ein wichtiges Anliegen, dass die Erinnerungen ihres Vaters und Onkels noch zu deren Lebzeiten erscheinen. Deshalb hat sie darauf verzichtet, nach einem Publikumsverlag zu suchen und stattdessen „Kölsche Jonge“ bei BoD veröffentlicht. Und obwohl ich selbst Anhängerin des Print-on-Demand Verfahrens bin und darüberhinaus das Motiv der Autorin wirklich gut nachvollziehen kann, bedauere ich dennoch sehr, dass wegen der fehlenden Werbemöglichkeiten dieses Buch wohl leider nicht die Aufmerksamkeit erhalten wird, die es eigentlich verdient hätte, und kann auch locker über eine paar BoD übliche Layoutmängel wie gelegentlich zu knappe Abstände zwischen den Absätzen hinwegsehen.