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Herr und Frau Ihr Finanzamt

Jedes Jahr flattert der Liebsten und mir nette Post ins Haus. Mit freundlichen Grüßen teilen uns Herr und Frau Ihr Finanzamt mit, dass die Frist für die Steuererklärung des vergangenen Jahres bereits abgelaufen ist.

Gnädigerweise wird uns noch einmal eine Nachfrist von vier Wochen gewährt. Die Nachfrist ist aber, wie im nächsten Satz betont wird, keine Nachfrist, sondern lediglich eine Erinnerung.

Also haben wir noch vier Wochen Zeit, in denen wir die Steuererklärung doch bitte einreichen sollen. Allerdings nur auf dem dafür vorgesehenen Vordruck, wie Herr und Frau Ihr Finanzamt erklären und sich dann in geschraubten Sätzen darüber auslassen, was uns alles passieren wird, wenn wir ihrer Bitte nicht nachkommen sollten.

Vor Jahren haben wir es mal ausprobiert – ich kann nur allen den guten Rat geben, lasst es nicht darauf ankommen. Bei Einkommensklassen unter mehreren Millionen im Jahr sitzen Herr und Frau Ihr Finanzamt am längeren Hebel und können sehr kiebig werden.

Herr und Frau Ihr Finanzamt bekommen ihr Gehalt schließlich aus dem Topf der Steuergelder bezahlt. Immer pünktlich, nicht zu knapp und mit vielen Extras versehen. In diesen Zeiten der Wirtschaftsflaute mit Millionen von Arbeitslosen ein unerhörter Luxus, der nicht aufs Spiel gesetzt werden darf. So handeln die Beamt_innen letztendlich in ihrem ureigenem Interesse, wenn sie den Steuererklärungssäumigen der unteren bis mittleren Einkommensstufen das Leben zur Hölle machen.

Das Eintrudeln dieser Post ist für uns immer das Signal nach den vorgeschriebenen Formularen zu suchen. Denn das muss jetzt einmal gesagt werden, lieber Herr und liebe Frau Ihr Finanzamt, diese Formulare wurden uns bereits vor Monaten zugeschickt. Wo, bitteschön, sollen wir die jetzt noch finden?? Äußert unpraktisch Ihre Vorgehensweise.

Haben wir dann endlich den dicken Umschlag mit den Formularen wieder gefunden, beginnt die Suche nach Rechnungen und Belegen. Dafür gibt es mehrere Stellen. Die, die meine Liebste zur Aufbewahrung für geeignet hält. Und die, die ich zur Aufbewahrung für geeignet halte.

Die Liebste hält viel von der Herzkeramikform in der Küche. Nur manchmal brauche ich diese Form zum Backen und kippe dann die Belege in den roten Drahtkorb. In den roten Drahtkorb gehören aber Äpfel, findet die Liebste, und kippt die Belege … Ja, wohin denn nur?

Das ist aber nur eine der Fragen, die wir uns in diesen Tagen stellen. Laut dem Ordnungssystem meiner Liebsten gehören Belege auch in ihren Geldbeutel. Der sieht immer prall gefüllt aus. Nur leider sind darin keine Geldscheine, sondern Rechnungen und Quittungen.

Alle paar Wochen entledigt sie sich dieser Zettel und räumt sie gut auf. Oder ich finde sie in einem Stapel und räume sie auf. Meiner Meinung nach gehört dieses Papier in den kleinen roten Karton im Büro oder in die oberste Schreibtischschublade oder in die Blechdose bei der Nähmaschine, wo früher einmal Garne aufbewahrt wurden. Oder in meine Handtasche. Oder????

Ganz schlimm wird es bei Belegen, bei denen wir uns nicht sicher waren, ob wir sie überhaupt brauchen werden. Was ist eigentlich mit meinen Kontaktlinsen? Ohne sehe ich nichts und könnte nicht arbeiten. Also sind sie ein Arbeitshilfsmittel und ich müsste sie doch von der Steuer absetzen können?

Solche vielleicht-brauchen-wir-sie-noch-mal Belege sind über die ganze Wohnung verstreut. Meistens finden wir nur einen Bruchteil davon wieder. Der Rest taucht immer erst nach Abgabe der Steuererklärung auf.

Haben wir endlich alle Formulare und Belege gefunden, sind von den vier Wochen Nachfrist, die ja nur eine Erinnerung sind, meist drei Wochen und fünf Tage verstrichen.

Stundenlang sitze ich dann da und sortiere sie nach mein und dein. Denn trotz Lebenspartnerinnenschaft steuerlich gesehen, sind wir ja immer noch Single. Danach beginnt das große Rechnen. Passt dieser Beleg besser zu mein oder zu dein? Oder gehört er vielleicht der Oma und muss bei der Pflegeversicherung eingereicht werden? Denn die Pflegeversicherung, die die meisten von uns – glücklicherweise – nur von der Gehaltsabrechnung kennen, betreibt noch größeren bürokratischen Aufwand als Herr und Frau Ihr Finanzamt

In diesen Tagen denke ich immer neidvoll an einen früheren Bekannten. Er hatte es durch gewisse Umstände nur zu einem Sonderschulabschluss gebracht. Einmal im Jahr fuhr er mit seinen Formularen und Belegen, die er in einem großen Umzugskarton sammelte, zum Finanzamt und stellte ihn dem zuständigen Sachbearbeiter auf den Tisch. Da er nur Sonderschulabschluss habe, könne er die Formulare leider nicht lesen, behauptete er immer und zitierte dann einen Paragrafen, der die BeamtInnen verpflichtet, in solchen Fällen beim Ausfüllen behilflich zu sein.

Ob Herr und Frau Ihr Finanzamt mir wohl auch glauben würden, dass ich nicht lesen und schreiben kann?

 

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