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Mädchenbücher wie Katrinchen-Schlampinchen

Auf einem Flohmarkt letzten Herbst entdeckte ich ein Buch aus meiner Kindheit: »Katrinchen – Schlampinchen« von Franz Bauer aus dem Schneider Verlag. Es ist 1965 erschienen und ich muss es ungefähr ein oder zwei Jahre später gelesen haben. Wie lange ich damals dafür brauchte, weiß ich nicht mehr. Im Herbst jedenfalls hatte ich es innerhalb von fünf Minuten überflogen. Länger hätte es auch nicht dauern dürfen, denn mir wurde speiübel.

Die Geschichte ist schnell erzählt. Katrinchen ist unordentlich. Sie räumt ihr Zimmer nicht auf und vergisst ständig irgendein Schulbuch. Die Eltern sind der Verzweiflung nahe und greifen zu pädagogischen Maßnahmen. Als Prügel nicht helfen, erinnern sie das Mädchen nicht mehr daran, ihren Vogel zu füttern. Seelenruhig sehen sie zu, wie der Piepmatz verhungert und verdurstet.

»Da siehst du mal, was passiert, wenn du nicht aufräumst«, sagt der Vater selbstzufrieden zu der weinenden Tochter. Am Ende wird natürlich alles gut. Ein verschlamperter Lottoschein landet doch noch in der Annahmestelle und die Familie gewinnt viel Geld. Anscheinend wurde Katrinchen danach ganz ordentlich, denn hier endet das Buch.

Eine Horrorgeschichte erzählt in einem gönnerhaften Oberlehrerton wie auch die übrige Literatur für Mädchen der damaligen Zeit. Wir lasen Försters Pucki, Nesthäkchen, Trotzkopf, Hanni und Nanni sowie zig weitere Varianten von Katrinchen-Schlampinchen. Die Moral der Geschichten war meist eindeutig: Erst wenn ein böses Mädchen sich unterworfen hatte, konnte sie glücklich werden.

Verschwiegen hat man uns damals, dass es sich bei Magda Trott, der Verfasserin von Försters Pucki, um eine der radikalsten Frauenrechtlerinnen der Zwanziger Jahre handelte. Sie wollte mit dieser Reihe einfach nur Geld verdienen. Und erst als Erwachsene habe ich erfahren, dass Else Ury, die Schöpferin von Nesthäkchen, im Konzentrationslager Auschwitz ums Leben kam.

Nur ein einziges Mal bekam ich zu Weihnachten zwei Bücher geschenkt, die ich wirklich mit Begeisterung las. »Die Töchter der Frau March« und »Paradies Plumfield« von Louisa Alcott. Endlich ein Buch, in dem Frauen die Hauptrollen spielten. Ansonsten war ich glücklich, als ich endlich alt genug für »Erwachsenenbücher« war.

Wie es momentan um die Mädchenbücher bestellt ist, weiß ich nicht so genau. Meine Kinder sind erwachsen und Enkelkinder noch keine Sicht. Nein, das ist kein Wink mit dem Zaunpfahl, sondern einfach die Feststellung, dass ich zurzeit wenig Grund habe, mich intensiver mit dem Thema zu beschäftigten. Allerdings waren bereits in den Siebziger Jahren wundervolle Autorinnen aufgetaucht, ich nenne hier nur mal Christine Nöstlinger und ihre »Gretchen Sackmeier« Bücher.

Doch leider gibt es weiterhin unglaublich viel Mist in diesem Genre, wie ich hin und wieder auf der Buchmesse feststellen kann. Noch heute kaufen unbedarfte Väter und Mütter wie einst meine Eltern Bücher, weil irgendwo auf dem Cover steht, sie seien für Mädchen geeignet. Diese Lektüre ist nicht mehr im besserwisserischen Oberlehrerton geschrieben und dennoch vermittelt sie ein Weltbild, das mir die Haare zu Berge stehen lässt. Für Zehnjährige gibt es häufig nur zwei Themen: Jungen und Pferde, und die Bücher eignen sich bestens für Rubriken wie »Flirt- und Schminkkurse ab neun Jahren«. Ich hoffe nur, dass die meisten Mädchen sich ebenso wenig davon beeindrucken lassen wie ich mich damals von Katrinchen-Schlampinchen.

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