Es gibt Tage, da schlage ich die Augen auf und habe schlechte Laune. Draußen ist es trüb und regnerisch, der Schnürsenkel von meinem Schuh reißt, Kaffeepulver ist alle und meine Liebste guckt mich an, als sehe mich zum ersten Mal und frage sich: „Wer ist DIE denn?“
Das sind die Tage, an denen es an der Tür klingelt, während ich unter der Dusche stehe, in der Post nur Rechnungen sind, und der Hund den Mülleimer ausräumt. Auf meiner Nase beginnt ein Pickel zu blühen, der PC meldet einen furchterregenden Systemfehler, und Oma beschließt zu sterben, weil sie Tee statt Kaffee trinken muss.
Das ist so ein Tag, an dem meine sogenannte beste Freundin anruft und in den Telefonhörer jubiliert: „Ein wundervoller Tag heute, nicht wahr?“ Mein Gejaule und Gemeckere lässt sie nicht gelten.
Schließlich hat sie gerade das Pendel über meinem Foto geschwungen und festgestellt, dass fr mich heute der wunderbarste Tag des Jahres ist. Einfach sein muss. Wenn ich das anders empfinde, dann stimmt mit mir etwas nicht.
„Schließe die Augen, atme mal tief durch und denke an etwas Schönes!“ befiehlt sie mir.
Ich schließe die Augen, atme tief durch und denke an … gar nichts. Oder an die Löcher in meinen Socken. Oder an die horrende Nebenkostenabrechnung, die uns gerade ins Haus geflattert ist.
Die sogenannte beste Freundin gibt nicht auf und steht eine halbe Stunde später schwer bepackt persönlich vor der Tür. Wild entschlossen, ihrem Pendel Gerechtigkeit widerfahren zu lassen und dem schönsten Tag des Jahres ein wenig auf die Sprünge zu helfen.
Sie ignoriert meinen Protest, arbeiten zu müssen, ebenso wie Omas Matinee des sterbenden Schwans. Brüht eine ihrer speziellen Teemischungen auf, verteilt Duftlampen in der Wohnung und liest mir mein Wochenhoroskop vor. Auch hier steht schwarz auf weiß: mir geht es prima.
Mir geht es aber nicht prima, außerdem habe ich eine Steinziege als Aszendent und keine Jungfrau. Das bringt die sogenannte beste Freundin doch erst mal ein wenig aus dem Konzept. „Bist du sicher? Du bist doch in A. geboren? Um 10.30 Uhr?“
Sie beschlagnahmt den PC und berechnet mein Horoskop neu. Das Ergebnis ändert sich kaum. Auch als Steinziege geht es mir heute prima. Und als Äffin bei den Chinesen sowieso, da geht es mir nicht nur heute prima, sondern schon seit Monaten.
„Dies ist das Jahr der Affen!“ höre ich verblüfft. Und das Jahr der Schlangen sowieso. Schlangen?
„Ja, bei den Indianern bist du eine Schlange und gehrst zum Clan der Frösche.“
Die sogenannte beste Freundin hat wenigstens eins erreicht. Bei der Vorstellung eine Affenschlangenziege mit giftigem Stachel und quakenden Verwandten zu sein, muss ich wenigstens grinsen. Auch wenn mir der Lavendelduft, der inzwischen in Schwaden durch die Wohnung zieht, leichte Übelkeit bereitet und der Spezialtee wohl aus getrocknetem Kompost hergestellt wurde.
Doch auch gegen Übelkeit hat sie etwas dabei und kramt aus ihrem Riesenrucksack ein Fläschchen hervor.
„Notfalltropfen nach Bachblütenart“ erklärt sie mir und will mir gleich mal einen Esslöffel voll einflössen. Gerade noch rechtzeitig kann ich die Lippen zusammenpressen.
Bei Oma funktioniert die Konditionierung auf Medikamente besser. Sie reißt den Mund weit auf, und so werden die wertvollen Tropfen wenigstens nicht verschwendet.
Die sogenannte beste Freundin füllt etwas von der Flüssigkeit fr uns ab.
„Glaub mir, das hilft!“ sagt sie beschwörend. Ich glaube ihr zwar nicht, will mich aber nicht streiten. Allerdings interessiert mich inzwischen doch brennend, was in dieser Rucksackwundertüte noch alles zu meiner Aufmunterung enthalten ist.
Ich hatte es geahnt, jetzt werden die Tarotkarten ausgepackt. Runde Karten, sie haben entfernte Ähnlichkeit mit Bierdeckeln.
„Das ist das Mother-Peace-Tarot.“ bekomme ich ernst erklärt.
„“Eigens fr uns Frauen gestaltet.“
Die Karten stecken in einem lila Tuch aus Seide mit Spitze. Bevor sie aber auf den Tisch kommen, muss der erst einmal mit einer speziellen Kräutermischung und diversen Sprüchen gereinigt werden. Damit keine negativen Energien die Karten verunreinigen können, wie jüngst geschehen, als sich der Kater ihrer Mitbewohnerin dreist darauf legte.
Ich gehe derweil mal die Blumen gießen und Betten machen. Als ich zurückkomme, glänzt der Esstisch wie noch nie. Aus dem Kassettenrekorder kommen schreckliche Geräusche.
„Das Ding geht so langsam kaputt.“ vermute ich.
Ein Irrtum, bei den schrecklichen Geräuschen handelt es sich um Walgesänge. Ich habe nichts gegen Wale und unterschreibe jede Petition fr ihre Arterhaltung, Ehrenwort. Aber ihren Gesang empfinde ich als Ruhestörung und bestehe darauf, dass sie woanders singen.
Die sogenannte beste Freundin ist pikiert und schickt mich erst mal zum Händewaschen wie ein Kleinkind. Dann darf ich die Karten berühren. Sie zeigen mir – na was wohl:
es geht mir gut, ich befinde mich in einer sehr positiven Phase und habe keinen Grund zum Jammern.
Grund zum Jammern hat jetzt meine sogenannte beste ehemalige Freundin, die meinen Lachkrampf keineswegs als Erfolg ihrer Bemühungen sieht sondern empört ihren Kram zusammenpackt. An der Wohnungstür dreht sie sich noch mal um und empfiehlt mir dringend, meine spirituellen Kräfte besser zu achten. Sonst werde es mir nie besser gehen.