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Campingfreuden (LFT 2001)

Meine Liebste und ich lieben Camping. Ich bin schon in Südfrankreich und Mittelschweden mit meinem Zelt abgesoffen. Meine Liebste bekam in Portugal die Zeltstange auf den Kopf, und in Spanien machte ein Unwetter aus ihrem fabrikneuen Zelt kleine Fetzen. Wir haben kleine schwarze Skorpione ebenso überlebt wie Bremsen, Tütensuppen, klamme Klamotten und löchrige Luftmatratzen.
Wir glaubten, auf alle Eventualitäten des Campinglebens bestens vorbereitet zu sein, und so war es für uns auch keine Frage, wo wir beim LFT übernachten würden: natürlich auf einem Campingplatz.

„An der Ostsee gibt es aber eine Menge Campingplätze“, stellte meine Liebste nach Studium diverser Führer fest. „Auf welchen sollen wir denn gehen?“
„Am besten auf den, der am nächsten dran ist“, antwortete ich, und folgsam meldete uns meine Liebste telefonisch auf dem Campingplatz Markgrafenheide, direkt an der Ostsee gelegen, an.

Mit der Reservierungsbestätigung erhielten wir von dem Betreiber des Platzes „baltic Freizeit“ auch schon mal die Platzordnung. Beim Durchlesen erschraken meine Liebste und ich doch heftig.
„Göttin, dort herrschen ja wirklich strenge Sitten!“ meinte ich, und meine Liebste nickte kummervoll.
Absolute Ruhe in der Zeit von 22 Uhr abends bis 7 Uhr in der Früh sowie zwischen 13 und 15 Uhr. Keinerlei Beschäftigung, die irgendwelche Geräusche erzeugt, keine fahrende Autos, kein Zeltaufbau. Aber auch außerhalb dieser Zeiten sei lautes Singen, Musizieren und ähnliches zu unterlassen, stand da fettgedruckt.

„Nun ja, wir werden dort eh nur die Nächte verbringen“, meinte meine Liebste.
„Und wenn es dann ruhig ist, können wir wenigstens gut schlafen“, fügte ich hinzu, und so überwiesen wir die doch recht hohen Platzgebühren noch am gleichen Tag.

Auf dem Weg zum LFT, so ungefähr nach 600 Kilometern, musste ich mal.
„Verkneifs Dir!“ befahl mir meine Liebste mit Blick auf die Uhr. „Wir haben noch 250 km vor uns und müssen vor 22 Uhr auf dem Platz sein und das Zelt aufgebaut haben!“

Unsere Zeitplanung war ein wenig durcheinandergeraten. Der Routenplaner aus dem Internet hatte zwar korrekt jeden Meter Weg Richtung Berlin angegeben, aber nicht die vielen Baustellen auf der ehemaligen Transitstrecke mit der befohlenen Höchstgeschwindigkeit von 40 km/h.

Also verkniff ich es mir … trotzdem kamen wir erst kurz vor Mitternacht beim Campingplatz an. Der Torwächter schien die Platzordnung nicht zu kennen und öffnete anstandslos die Schranke mit der knallroten Aufschrift „Durchfahrt von 22 – 7 Uhr und von 13- 15 Uhr verboten!“ So leise wie nur möglich lenkten wir das Auto zu unserem Stellplatz, suchten erst mal die Sanitäranlagen auf und schliefen dann äußerst unbequem im Auto.

Um halb sechs weckte mich Motorengeräusch. Ein Laster donnerte über den Platz, gefolgt von einem Motorrad, gefolgt von einem PKW, gefolgt von einem Kleinbus, gefolgt von … so viele Fahrzeuge fahren an einem einzigen Tag nicht durch die Hauptverkehrsstraße unseres Dorfes wie auf diesem Platz morgens zwischen halb sechs und sieben.

Wir bauten das Zelt auf, machten uns etwas frisch, frühstückten gemütlich und betrachteten dabei immer irritierter den immer größer werdenden Trubel um uns herum.
Ich las mir noch einmal die Platzangaben durch und realisierte nun endlich mit meinem fast nicht vorhandenen räumlichen Denken, was ein 26 ha großes Gelände mit insgesamt 1500 Stellplätze verschiedener Größen bei voller Auslastung bedeutet: nämlich 6000 Menschen, 1000 Fahrzeuge, 200 bellende Hunde, 1000 aufgedrehte Autoradios, CD-Player und Kassettenrecorder … kurzum, es ging schlimmer zu als Ostern auf dem Kudamm.

Um 15 Uhr ging meine Liebste zur Rezeption, um unsere Anmeldung zu erledigen, während ich versuchte, ein wenig Schlaf nachzuholen. Um 16.30 Uhr wachte ich wieder auf und geriet in Panik. Von meiner Liebsten keine Spur. Als ich mich Richtung Rezeption aufmachte, um eine Vermisstenanzeige aufzugeben, kam sie mir vollkommen erschöpft auf halben Weg entgegen gewankt. Sie hatte die eineinhalb Stunden in einer Schlange vor der Anmeldung verbracht – ohne Zigaretten, dafür eingekeilt zwischen Kerlen, die sich lautstark darüber austauschten, welche Tussi sie an diesem Wochenende zuerst flachlegen würden, und die Bier- und Schnapsflaschen kreisen ließen.

Als wir gegen 23 Uhr vom LFT zum Gelände zurückkamen, wurden wir auch dieses Mal wieder anstandslos mit unserem Auto durch die Schranke gelassen. Auf dem Platz herrschte Oktoberfeststimmung mit Böller, Blasmusik und Besoffenengegröle, nur die Achterbahn und der Stand mit der Zuckerwatte fehlten. „Das Riesenrad wird bestimmt morgen noch aufgebaut“, tröstete mich meine Liebste und versprach, mir dann ein Lebkuchenherz zu kaufen.

Kurz vor Mitternacht beschwerten wir uns per Handy bei der Rezeption.
„Ich weiß überhaupt nicht, was Sie wollen!“ empörte sich die Dame am anderen Ende. „Auf dem Platz ist es mucksmäuschenstill. Ich höre jedenfalls nicht!“
Als ich trotzdem darauf bestand, mir den Krach nicht einzubilden, schickte sie drei Herren des Ordnungsdienstes vorbei. Die Verhandlungen vor dem Zelt übernahm meine Liebste.
„Sie sind wohl das erste Mal hier?“ fragte der eine. „Sie müssen doch etwas Verständnis haben …“ sagte der Zweite. Und der Dritte fügte hinzu: „So ist das eben an Pfingsten.“ Dann verschwanden sie wieder.

Gegen halb fünf am Morgen wurde noch ein kleines Motorradrennen über den Platz veranstaltet, danach war es aber wirklich ruhig … bis um halb sechs der bereits bekannte Laster wiederkam, gefolgt von … siehe oben.

Der Samstagabend war eine Wiederholung des Abends davor. Es gab zwar immer noch kein Riesenrad, dafür aber eine Art Open-Air Veranstaltung mit Drafi Deutscher und Co. Gegen deren Musik versuchte ungefähr die Hälfte der CamperInnen mit eigener Krachproduktion von Techno über Rolling Stones bis AC/DC anzukämpfen. Der Weg vom Zelt zu den Waschräumen ging nur im Zickzack: Alkoholleiche, Glasscherben, Müll, Alkoholleiche …

Auf eine erneute Beschwerde haben wir verzichtet. Auch weil wir auf dem LFT einige Leidensgenossinnen trafen, die sich ebenfalls beschwert hatten und genau wie wir barsch als Spaßbremsen abgekanzelt worden waren.

Meine Liebste griff erst am nächsten Abend wieder zum Handy. Nachdem wir das Fußballspiel „Leere Bierdosen gegen leere Schnapsflaschen“ direkt vor unserem Zelt überstanden hatten, begann gegen Mitternacht ein Feuerwerk.
„Was soll denn diese Ballerei auf dem Platz?“ brüllte meine Liebste ins Telefon. „Damit haben wir nichts zu tun, das findet am Strand statt“, kam als Antwort. Komisch, wir hatten gedacht, der Strand gehöre zu dem Platz … ????

 

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