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Postgender und Postsexuell?

Die Frage »Was hast du eigentlich gegen Männer?« kenne ich in zig Variationen bereits seit meiner Schulzeit. Und auch wenn sich in den vielen Jahren meine Lebenssituation natürlich verändert hat, ist im Grunde genommen meine Antwort seit damals immer gleich geblieben. Sie lautet schlicht: »Nichts.«

Ich mag meinen Bruder, ich liebe meinen Sohn und der Freund meiner Tochter ist mir sympathisch. Je älter wir beide werden, desto besser kommen auch mein Vater und ich miteinander zurecht. Mit meinen Nachbarn unterhalte ich mich gelegentlich ganz gerne, und wenn ich die Wahl zwischen einer unfähigen Ärztin und einem tüchtigen Arzt habe, entscheide ich mich mit Sicherheit für die männliche Variante im weißen Kittel.

Die Frage: »Was hast du eigentlich gegen Schwule?« ist für mich allerdings relativ neu. Sie taucht erst seit Ende letzten Jahres auf, seit der Kolumne »Lesben und Schwule an die Macht«. Daran bin ich noch nicht gewöhnt und meine Antworten kommen noch nicht ganz so spontan und routiniert.

Der Schreiber war ziemlich aufgebracht. »Warum hackst du eigentlich immer auf uns Schwulen rum? Was hast du denn gegen uns?« wollte er von mir wissen und ließ sich dann darüber aus, dass er schließlich immer politisch korrekt von »lesbischen Frauen« spräche und noch nie das Wort »Quarktaschen« in den Mund genommen habe.

Um es kurz zu machen, es ist wie bei den Männern allgemein: Ich habe nicht gegen Schwule, aber auch wirklich gar nichts. Warum sollte ich denn was gegen sie als Gruppe haben? Zugegeben, in meinem näheren Umfeld gibt es zwar nur wenige männliche Homosexuelle, diese sind aber allesamt lieb und nett. Einer von ihnen gehört sogar zu dem Kreis der Testleser_innen meiner Bücher und erst vor Kurzem habe ich den Partner eines Verwandten kennengelernt, der so ungemein charmant und amüsant ist, wie ich bisher noch selten eine Frau erlebt habe.

Auslöser für die vorwurfsvolle Mail war mal wieder ein Tweet gewesen. Der grüne Volker Beck hatte eine je nach politischer Richtung von »unglücklich bis äußert dumm« eingeschätzte Bemerkung über den Wahlausgang in NRW getwittert. Worauf ein schwuler Pirat zu dem Schluss kam: »Wer Lesben zu Nazi-Verfolgten verklärt, dem ist nichts peinlich«.

Weil bei der Landtagswahl in NRW ca. 7,5 % der Menschen ihre Stimme der Linken bzw. den Piraten gegeben haben, reicht es bekanntlich nicht für eine rot-grüne Koalition. Volker Beck ist deswegen sauer und haut jenen Wähler_innen einen Vorwurf um die Ohren, der dem grünen Klientel aus früheren Zeiten nur all zu gut bekannt ist: »Wer nicht taktisch wählt, verhilft der CDU an die Macht.« Damals ging es um es um fehlende Stimmen für die SPD, heute eben um eine rot-grüne Koalition.

So weit, so schlecht … mir hat auch nicht gefallen, was Volker Beck da von sich gegeben hat. Wie man jedoch von diesem Punkt aus zu der Situation lesbischer Frauen während der Nazizeit kommen kann, war mir ein Rätsel. Also habe ich mich nach dem Zusammenhang erkundigt und erhielt den Hinweis auf eine Veranstaltung, bei der es wieder mal um den Lesbenkuss beim Denkmal ging und die von der Siegessäule mit dem Satz »nach wie vor emotional geführt« zusammengefasst wurde.

Eine Freundin meinte lapidar, die Piraten hätten nun mal ein Problem mit Frauen. Da sei es doch keineswegs verwunderlich, wenn schwule Piraten darüber hinaus noch ein spezielles Problem mit Lesben hätten. Mitten in der Nacht rief sie mich dann noch mal an und verkündete kichernd ihren neuesten Gedanken: »In dieser Partei ist man eben nicht nur postgender, sondern auch postsexuell.«

Eigentlich ist es doch fast schon komisch: Zwei Schwule vertreten unterschiedliche Ansichten über einen Wahlausgang und als Argument müssen dann Lesben herhalten.

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