In manchen Dingen scheinen sich die Zeiten nie zu ändern, wie die Liebste vor einigen Wochen feststellte. Auf einer Internetseite über die Honorare und Gehälter fand sie den Hinweis, dass die angegebenen Beträge nicht für Frauen gelten. Diese würden im Gestaltungsbereich bei gleicher Qualifikation und Leistung immer noch zwanzig bis fünfundzwanzig Prozent weniger als die Männer verdienen.
Den Beweis dafür trat dann flugs auch eine Werbeagentur an und bot ihr einen Stundenlohn, für den sie sich netto gerade noch eine kleine Portion Pommes bei der Imbissbude um die Ecke hätte leisten können. Der siebzehnjährige Schüler, der die Website der Agentur betreut, würde schließlich auch für diesen Lohn arbeiten, hieß es.
Den Spruch mit der nicht vorhandenen Familie sparte man sich. Es war wohl bekannt, dass die Liebste eine gefräßige Autorin mit durchfüttern muss nebenbei bemerkt, mir reicht die kleine Portion Pommes nicht, ich brauche eine Große. Die Liebste selbst ist zwar genügsamer, aber dennoch lehnte sie dankend ab. Gekrönt wurde diese Erfahrung noch durch den Bericht eines ehemaligen Klassenkameraden, dem bei der direkten Konkurrenz dieser Werbeagentur auf Anhieb das Sechsfache angeboten wurde.
Hartz IV, das sogenannte Arbeitslosengeld 2, ist ja zurzeit in aller Munde. Kinder verstecken ihre Sparschweine unter der Matratze wie einst die Uroma die Geldscheine, und manche Erwachsene überlegen sich, ob sie gleich Selbstmord begehen sollen oder erst Ende Dezember. Am meisten beeindruckt mich die Tatsache, dass das Jahr 2005 nur 11 Monate haben soll. Die Abschaffung des Gregorianischen Kalenders für Langzeitarbeitslose ist wirklich eine Leistung der besonderen Art.
Die Verlierer dieser »Reform« werden mal wieder und wie so oft die Frauen sein ja, ja ich weiß, auch Männer haben gewaltig darunter zu leiden. Aber es ist doch bereits jetzt abzusehen, dass die mühsam errungenen kleinen Schritte der Bezahlung »Gleicher Lohn für gleiche Arbeit« spätestens ab Januar nicht mehr gelten werden. Frau und arbeitslos zu sein bedeutet dann auch erst recht wieder, für einen Bruchteil des männlichen Gehalts arbeiten zu müssen. Denn welcher Arbeitgeber lässt sich schon die Chance entgehen, doppelte Leistung und Qualität für den halben Preis zu bekommen?
Da Lesben bekanntlich Frauen sind und darüber hinaus, steuer- und rentenrechtlich gesehen, meist auch alleinstehende Frauen, werden sie unter dieser Entwicklung noch mehr als andere zu leiden haben. Böse meinte eine Bekannte vor Kurzem, in einigen Jahren bleibe den meisten Lesben spätestens mit dem Eintritt ins Rentenalter nur noch der Strick. Wenn sie es überhaupt bis dahin schaffen und nicht vorher verhungern, verdursten, erfrieren.
Eine andere Bekannte warf ihr deshalb Zynismus vor und erinnerte an die Menschen in Afrika, die wirklich verhungerten
nun, vor einigen Jahren noch sammelten deutsche Optiker alte Brillengestelle und -gläser für Menschen in Afrika. Heute sammeln sie für deutsche Sozialhilfeempfänger_innen, die sich seit der Gesundheitsreform keine Brillen mehr leisten können. Die Betroffenen könnten ja einen Kredit bei ihrem Sozialamt beantragen, ließ die Gesundheitsministerin dem Fernsehmagazin Monitor ausrichten.
Aber eigentlich geht es schon seit zwei Jahren so: Immer, wenn wir mit anderen nur gemütlich zusammensitzen und über Göttin und die Welt plaudern wollen, landen die Gespräche über kurz oder lang bei den beruflichen und finanziellen Existenzängsten. Kaum eine in unserem Umfeld, die diese Ängste nicht hat.
Da ist die Altenpflegerin, die eigentlich als Einzige einen krisensicheren Beruf hat und auf dem Arbeitsmarkt gesucht wird. Doch bezahlt wird sie hundsmiserabel auch weil ihr Beruf ein typisch Weiblicher ist. Trotz der Wochenend- und Feiertagsdienste und gelegentlicher Nebenjobs bleibt ihr am Ende des Monats kaum genug übrig, um ihre drei Kinder in der Ausbildung richtig versorgen zu können. Sie lebt von der Hand in den Mund.
Da ist ihre Partnerin, die vor Jahren vom Arbeitsamt gegen ihren Willen in einen Beruf umgeschult wurde, der weder in allen Bundesländern anerkannt ist noch in dieser Form und mit dieser Art Ausbildung von der Industrie überhaupt gesucht wird noch nie gesucht wurde. Seit Jahren schlägt sie sich als Putzfrau durch und hofft auf eine neue Chance vom Arbeitsamt. Wird dabei immer älter und bekommt Schweißausbrüche, wenn sie an ihre Rente denkt.
Da ist die Soldatin, die fürs »Vaterland« bei der NATO, im Kosovo und Bosnien gebraucht wurde. Danach eine Umschulung als Physiotherapeutin machte und dank der Gesundreform und den damit verbundenen Einsparzwängen und Ängsten der selbstständigen Therapeuten nun keine Stelle findet. Das Arbeitsamt fühlt sich nicht zuständig, die Bundeswehr auch nicht und das Sozialamt will ihre Partnerin zum Unterhalt verdonnern.
Und die andere Physiotherapeutin hat nach fünfzig Bewerbungen aufgegeben und verwaltet nun bei einer Gebäudereinigungsfirma die Putzmittel. Die Junglesbe wurde nach ihrer kaufmännischen Ausbildung nicht übernommen und weiß nicht, was sie nun tun soll. Die Gärtnerin arbeitet für einen Hungerlohn als Küchenhilfe, kauft seit Jahren nur noch in Second Hand Läden ein und hat Panik vor dem Ende der Sommerferien dann brauchen ihre Kinder neue Bücher und Hefte und Stifte.
Die Frau, die einst ihren Magister in Sprachwissenschaften machte, leert derzeit Altkleidercontainer und stellt dabei fest, dass immer weniger Menschen in der Lage sind, gebrauchte Kleidung abzugeben. Es aber andererseits immer mehr Menschen gibt, die sie benötigen würden. Ihre Lebensgefährtin wird nach zwanzig Berufsjahren mit attestierter Berufsunfähigkeit in einem Bauberuf wegen eines Bandscheibenschadens seit eineinhalb Jahren zwischen der BFA, dem Arbeitsamt und Sozialamt hin- und hergeschickt, hat bereits Hunderte von Formularen ausgefüllt und ebenso viele Untersuchungen über sich ergehen lassen. Aber eine Rehamaßnahme ist nicht in Sicht.
Und selbst die, die einen einigermaßen sicheren Job haben, fürchten sich vor der Zukunft. Wissen nicht, wie sie fürs Alter vorsorgen sollen, haben Angst vor Arbeitslosigkeit und immer steigenden Zuzahlungen bei Krankheit.
Nein, schön ist zurzeit in Deutschland nur das Wetter