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Fencheltee, Eier, Salat, Erdbeerjoghurt

Das Kind war ein paar Wochen alt, als mich eine Bekannte besuchte. Na ja, eigentlich wollte sie das Baby in Augenschein nehmen und nahm mich dabei nur gezwungenermaßen in Kauf. Kopfschüttelnd betrachtete sie das Glas mit dem Fencheltee, ein teures Produkt aus dem Haus eines bekannten Herstellers von Babynahrung. „Weißt du eigentlich, dass dieser Tee aus 93 % Zucker besteht?“ fragte sie mich.

Nein, das hatte ich bis dahin nicht gewusst und deshalb bekam ich nun von der Chemikerin meine erste Unterrichtsstunde in „Wie entziffere ich Inhaltsstoffe?“

Zwei oder drei Monate später wurden Hormone in der Babynahrung gefunden, danach Weichmacher in Schnullern und Spielzeug, gefolgt von Cadmium in blauen Bauklötzen. Eine Handtasche meiner Mutter landet im Müll, nachdem sie darin eine Ersatzwindelhose verstaut und vergessen hatte. Eine Woche später stank das Teil wie ein muffiger Herrenfrisurladen und ich machte mich auf die Suche nach unparfümierten Windeln. Der Wellensittich ging ein, was den Tierarzt nicht wunderte: „Salat haben Sie dem gegeben?“ empörte er sich und schien sich zu überlegen, ob er mich wegen Tierquälerei anzeigen sollte. „Ich hoffe, Sie haben genug Verstand und füttern nicht auch noch Ihr Kind mit diesem Nitrat-Pestizide-Cocktail!“

Meine Tochter war im Januar 1981 auf die Welt gekommen und bis Ende des Jahres hatte ich begriffen, dass Umweltschutz mehr ist, als gegen Atomkraft zu demonstrieren und sich über das Waldsterben aufzuregen. Zu Weihnachten verschenkte ich das Buch „Chemie in Lebensmitteln“ an die Verwandtschaft und während diese das Festessen genießen wollte, las ich vor, welche Chemikalien sie da gerade verspeisten. Das trug weder zur festlichen Stimmung noch zur Beliebtheit bei.

Im Laufe der Jahre gaben sich die Lebensmittelskandale praktisch die Klinke in die Hand. Mal war das Schweinefleisch pfui, mal das Rindfleisch. Nitrat im Spinat, Schimmelpilze in den Nüssen, Frostschutzmittel im Wein und Gifte im Olivenöl. Und es betraf beileibe nicht nur die konventionellen Lebensmittel, auch „Bio-Produkte“ kamen immer wieder in Gerede.

„Allmählich komme ich mir vor wie der Beauftragte für Welches Lebensmittel ziehen wir heute aus dem Verkehr?“, erzählte mir mal ein Mitarbeiter eines Bioladens.

Zurzeit sind es also mal wieder Eier, sie sind dioxinverseucht. Maschinenfette im Tierfutter. Was für eine Überraschung. Huch, was ist denn da passiert?

Seit ich Interesse für diese Dinge habe, ist der Ablauf immer gleich geblieben: Etwas wird entdeckt und von den Medien groß aufbereitet. Die zuständigen Politiker_innen versprechen das Blaue vom Himmel, Bauern haben Angst um ihre Existenz … und in ein, zwei, drei Wochen danach spricht niemand mehr darüber. Denn an wirklichen Lösungen besteht kein Interesse, weil sie gleichbedeutend mit einer Revolution wären: zurück zu einer Landwirtschaft mit glücklichen Hühnern im Hof, Kühen, die gemütlich auf einer Weide grasen, Schweinen, die sich in Pfützen suhlen. Weg mit den Fastfoodketten, keine Tiefkühlhähnchen mehr für 1,89 Euro, Viehtransporte quer durch Europa wären verboten. Es gäbe keine Erdbeeren mehr zu Weihnachten oder Spargel im Februar und … und … und …

Viel zu kompliziert, wenigstens für die meisten Menschen und deshalb lautet die Devise: Solange die Schweinemastanlagen oder die Christbaumkulturen nicht vor der eigenen Haustür stehen, reicht es, wenn das Dioxin aus den Eiern wieder verschwindet. Und die Sägespäne im Erdbeerjoghurt werden auch zum Politikum werden, wenn Anne Will sie mal zum Thema macht.

 

 

 

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