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Update: Ja, wo sind die Lesben denn alle?

»Ja, wo sind sie denn alle?« pflegte meine Oma zu rufen, wenn sie sich langweilte oder es ihr verdächtig ruhig vorkam. Oder beides zusammen. Dann tapperte sie mit ihrem Krückstock durch die Wohnung und strahlte vor Freunde, wenn sie uns endlich aufgespürt hatte. Unsererseits hielt sich die Begeisterung in solchen Situationen meist in Grenzen, denn in der Regel waren wir gerade mit Dingen beschäftigt, bei denen sich Omas Anwesenheit als leicht störend erwies.

»Ja, wo sind sie denn alle?« fragte sich ruuys Hort und begab sich auf die Suche nach lesbischen Bloggerinnen. Da ich mir selbst schon oft dieselbe Frage gestellt hatte, wartete ich gespannt darauf, welche und wie viele sie finden würde. Das Ergebnis war mager, denn ihr erging es anscheinend kaum anders als mir bei meinen Nachforschungen.

Lesarion und Lesopia, welcher Lesbe sagen diese Namen nichts? Bei beiden Portalen habe ich einen Account, aber die wenigen Male, die ich mich im Laufe der Jahre dort jeweils eingeloggt habe, lassen sich wahrscheinlich an meinen zehn Fingern abzählen.

Nach ihren eigenen Angaben sind derzeit ca. 114000 Frauen bei Lesarion und etwas über 12000 bei Lesopia angemeldet. Deshalb lag es nahe, hier mit der Suche nach den Bloggerinnen zu beginnen. Um es kurz zu machen: Ich wurde nicht fündig. Wobei ich allerdings zugeben muss, allzu große Mühe habe ich mir nicht gegeben und was die Suchfunktion nicht auf Anhieb ausgespuckt hat, ist mir vielleicht entgangen.

Auf Konnys Lesbenseiten fand die inzwischen viel gepriesene Vernetzung bereits statt, als das Wort noch gar nicht erfunden war. In lesbischen Kreisen heißt es nicht: »Schlag nach bei Otto«, sondern: »Sieh nach bei Konny!« Bücher, Filme, Webseiten, Seminare, Feste, Zeitungsmeldungen, alles, was das lesbische Herz begehrt, wird hier zusammengetragen.

»Ja, wo sind sie denn alle?« Mein erster Eindruck war vielversprechend. Beim Anklicken stellte sich allerdings heraus, dass ein Teil der Blogs entweder gar nicht mehr existierte oder seit Monaten bzw. Jahren nicht mehr aktualisiert wurde.

»Ich schreibe jetzt auch einen Blog, davon erzählen doch alle Leute«, scheint so manche Lesbe zu denken. Sie meldet sich bei wordpress und Konsorten an, das kostet schließlich nix, schreibt ein paar Zeilen, dekoriert das Ganze mit einem Foto und meldet Konnys Lesbenseiten den Link. Danach wird es wohl langweilig oder es stellt sich heraus, das so ein Blog auch Arbeit macht. In einem solchen Fall Konny darum zu bitten, den Link wieder zu entfernen, scheint diesen Damen nicht in den Sinn zu kommen.

Eine Vermutung, die sich bei lesweb bestätigt. Auch hier gibt es eine Rubrik »Blogs«, doch bei näherer Betrachtung entpuppen sich einige der Links ebenfalls als »not found« oder »Last update: 2007«.

Die Ergebnisse der Suchmaschinen bringen neben den wenigen bekannten Namen ansonsten nur den üblichen Schweinkram, den Heteros für Lesbensex halten, zum Vorschein. Darüber hinaus weiß ich selbst gar nicht so genau, wonach ich eigentlich suche. Nach Bloggerinnen, die über lesbenrelevante Themen schreiben? Oder nach Bloggerinnen, die lesbisch sind?«

Eine Freundin, Redakteurin bei den sogenannten öffentlich rechtlichen Medien, bloggt bereits seit Jahren. Sie lehnt kategorisch ab, in ein eventuell entstehendes »lesbisches Bloggerinnenverzeichnis« aufgenommen zu werden. Da sie aus ihrer sexuellen Orientierung noch nie ein Geheimnis gemacht hat, erkundige ich mich nach dem »Warum?«.

»Bei meinem Hauptthema habe ich bereits als Frau schwer genug, um ernst genommen zu werden«, erklärt sie. »Jedes Mal, wenn ich ein sogenanntes Frauenthema streife, gibt es Ärger. Mein Chef runzelt die Stirn und erkundigt sich, ob das denn sein müsste, und die Kommentare werden ausfallend. Himmel, wer interessiert sich denn außerhalb einer begrenzten Szene dafür, was eine lesbische Journalistin bzw. Bloggerin zu Themen wie Politik oder Technik zu sagen hat? Das beste Beispiel dafür, wie es uns mit dem Etikett lesbisch ergeht, ist doch Anne Will. Je öfter sie in den Medien als Vorzeigelesbe herhalten musste, desto suspekter wurde sie ihren Vorgesetzten und einem Teil der Leute, die sie in ihre Sendung einladen wollte. Frau und Lesbe, das können sich doch eigentlich nur Künstlerinnen leisten.«

Nicht zum ersten Mal höre ich solche Argumente, auch andere Berufsfelder mutieren mit der Zutat »lesbisch« zu einem explosiven Gemisch, zum Beispiel Technik, Frau und Lesbe oder Polizei, Frau und Lesbe.

Trotzalledem ist die Freundin an der Frage »Ja, wo sind sie denn alle?« brennend interessiert. Als ich ihr erzähle, wo ich mit meiner Suche nach den lesbischen Bloggerinnen begonnen habe, bekommt sie einen Lachkrampf, da sowohl bei Lesarion als auch bei Lesopia im Vordergrund steht: »Ich will bespaßt werden. Ich suche eine Frau fürs Leben oder wenigstens für die nächsten zwei Jahre. Ich will Sex!«

Ironischerweise waren es Männer gewesen, die erkannt haben, was Lesben wirklich wollen, beide Portale stehen unter männlicher Leitung. Eine Tatsache, die viele Lesben entweder nicht wissen oder nicht interessiert. Andere nehmen sie mangels Alternativen zähneknirschend in Kauf, während feministische Heten Bauklötze staunen und fragen: »Die lesbische Internetwelt wird von Männern dominiert, wie ist denn das möglich?«

Darüber ließen sich wahrscheinlich lange Abhandlungen schreiben. Ab und zu kocht auch mal eine Diskussion hoch, die aber dann ganz schnell wieder im Sande verläuft. Schließlich wird ja keine Lesbe gezwungen, sich dort einen Account zuzulegen und darüber hinaus stünde es allen Kritikerinnen frei, etwas Ähnliches auf die Beine zu stellen. Solange dies nicht passiert, werden eben Männer diejenigen bleiben, die mit Lesben im Internet Geld verdienen, ob nun mit angeblichen Lesbensexseiten oder mit einigermaßen seriösen Portalen. Wobei ich jedoch der Überzeugung bin, dass die genannten Mitgliederzahlen sicher keiner ernsthaften Kontrolle standhalten würden. Neben vielen Doppel- und Dreifachaccounts wird sich auch so mancher Mann eine weibliche Identität zugelegt haben.

Bei queer.de handelt es sich um ein Portal, mit dem ich persönlich wegen des Namens so meine Schwierigkeiten habe. Eine Definitionsfrage, ich interpretierte queer als »lesbisch, schwul, bi, transgender«. Auch wenn zum Beispiel viele politische Beiträge für diese Zielgruppen bestimmt sind, sollen wohl zunächst mal nur Schwule angesprochen werden. Dennoch entdecke ich in der Rubrik »Schwule Blogs« auch einige lesbische Bloggerinnen. Sie haben sich dort eintragen lassen, weil es sonst nirgends ein entsprechendes Verzeichnis gibt. Und falls es noch eines Beweises bedurft hätte, dass Schwule im Internet wesentlich besser als Lesben organisiert sind: Sämtliche Links, die ich nach dem Zufallsprinzip angeklickt habe, führten zu gepflegten Blogs.

»Ja, wo sind sie denn alle?« Vor ein paar Tagen geisterte mal wieder die Erkenntnis »Frauen bloggen anders« durch Twitter und einschlägige Seiten. »Frauen bloggen nicht nur anders als Männer, Frauen bloggen auch anders als Lesben«, kommentierte die bereits erwähnte Freundin die Diskussion, die ja eigentlich »Frauen bloggen über andere Themen als Männer« hätte heißen müssen und unter dieser Überschrift bereits bis zum Erbrechen durchgekaut worden ist.

In dem Krimi »Die tote Krankenschwester«, der vor zehn Jahren erschien, lasse ich meine Heldin Bille über das Wort »Frauen und Lesbenreferat« nachdenken und greife damit eine Kontroverse der Frauenbewegung aus dem Siebziger Jahren auf: »Sind Lesben Frauen?«.

Irgendwie scheint das nie zufriedenstellend geklärt worden zu sein, denn mit den lesbischen Blogs und den lesbischen Bloggerinnen taucht das Thema wieder auf. Nicht im Internet, wenigstens habe ich nichts habe ich nichts dazu gefunden, aber in privaten Gesprächen und Mails. Wo sind die Gemeinsamkeiten mit den Heteras, was machen die Unterschiede aus? Wie nehmen wir uns gegenseitig wahr? Interessieren sich Heteras für lesbische Themen? Welchen Sinn macht für Lesben eine allgemeine Vernetzung von Frauen?

»Wir suchen uns jetzt einen Mann, der das mit den lesbischen Blogs in die Hand nimmt«, spottet die Freundin. »Dann regelt sich das von ganz allein.«

Es bleibt die Frage: »Ja, wo sind sie denn alle?«

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