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Softwareschreiberlinge regieren die Welt

Im oberen Stockwerk hatten wir immer wieder Probleme mit dem Wlan. Mal war der Empfang ausgezeichnet, mal miserabel und ab und zu brach das Signal sogar ganz ab. Schließlich sollte ein Repeater der Nerverei ein Ende bereiten. Ein wenig im Internet surfen, Beurteilungen lesen und danach bestellten wir ein Modell, das für unser altes Haus geeignet schien. Zwei Tage später, an einem Samstag, brachte die Post das Teil und es sah genauso aus wie auf dem Bild im Shop. Allerdings hatte man dort vergessen zu erwähnen, dass die Bedienungsanleitung nur in englisch und einer zweiten Fremdsprache, möglicherweise chinesisch, mitgeliefert wurde.

Bis Sonntagabend hatten wir die Installation nicht geschafft, sondern waren von ihr geschafft worden: Das Licht am Repeater leuchtete knallrot statt grün, die Lan-Verbindung am PC verlangte ununterbrochen neue IP-Adressen und weigerte sich trotzdem ins Internet zu gehen, währenddessen der Laptop frech behauptete, überhaupt kein Netzwerk zu besitzen. Schließlich gaben wir auf, deinstallierten den Repeater, konfigurierten den Router neu und hatten so wenigstens den alten Zustand wieder hergestellt.

Den Repeater schickten wir zurück und bestellten stattdessen bei der Telekom einen wesentlich Teureren, der passend zu unserem Router empfohlen wurde. Optisch entpuppte er sich als Zwillingsbruder des ersten Versuchs, der einzige Unterschied schien das Telekomlogo und die Bedienungsanleitung in deutscher Sprache zu sein. Die schmiss ich nach drei Stunden in die Ecke, und nachdem ich mir Tipps aus einem Internetforum geholt hatte, klappte sogar die Installation. Ein paar Stunden lang erfreuten wir uns des starken Wlans im oberen Stock, dann überlegte es sich der Laptop anders und versuchte, sich ins Netzwerk der Nachbarn einzuwählen. Solange bis der Repeater aus der Steckdose gezogen worden war.

Als die ersten Meldungen über Snowden, NSA und Prism kamen, hieß es in einschlägigen Kreisen: „Verschlüsselt endlich Eure Mails! Geht nicht so leichtsinnig damit um! Das ist doch wirklich die einfachste Sache der Welt!“

Ach ja? Ich habe OpenPGP und EnigMail installiert, nicht weil ich meine Mails jetzt für besonders schützenswert hielte, sondern aus Prinzip. Wenn diese Idioten schon in meine Privatsphäre eindringen, soll es ihnen wenigstens etwas Mühe machen. Die Installation war auch wirklich leicht gewesen, sie erklärte sich beinah von selbst bzw. funktionierte fast automatisch. Aber dann …

Ein Schlüsselpaar erzeugen? Ein Paar, das sind für mich zwei Schlüssel, in diesem Fall zwei Zahlen- und/oder Buchstabenkombinationen, ein Öffentlicher und ein Privater? Doch welcher ist nun was? Und wo überhaupt ist der zweite Schlüssel? Ich habe bisher nur einen gefunden und hatte noch keine Lust, mich durchs halbe Internet zu klicken, um das Prinzip zu kapieren.

Es hieße überhaupt nicht plug and play erklärte mir eine Frau auf Twitter. Das sei ein Druckfehler, der sich nicht ausrotten ließe. In Wahrheit hieße das System plug and pray. Wahrscheinlich hat sie recht, denn die Gelegenheiten, bei denen Neuinstallationen, Updates und Ähnliches tatsächlich so funktionieren, wie es in den Anleitungen behauptet wird, sind seltene Glücksfälle. In der Regel fehlen der eine kleine entscheidende Satz, manchmal auch nur ein Komma oder ein Häkchen, was aus plug and play „plug and damn“ oder „plug and blubber“ oder eben „plug and pray“ macht.

„Soviel Ahnung sollten Sie schon haben, wenn Sie ins Internet gehen wollen!“ motzte mich mal ein Telekomiker am Telefon an, als ich mich über eine unlogische Beschreibung und den dadurch entstandenen Stress beschwerte. „Der [fehlende] Zwischenschritt ist so was von selbstverständlich, der muss nicht noch mal extra aufgeführt werden.“

Kein Unternehmen, kaum ein Berufsstand und immer weniger Privatpersonen kommen heutzutage ohne die „modernen“ Kommunikationsmittel zurecht. Sie sind wie Waschmaschinen, Staubsauger und Mixer aus unserem Alltag nicht mehr wegzudenken, manchmal sogar überlebenswichtig, z. B. in Krankenhäusern.

Aber keine andere Branche außer im IT/Kommunikationsbereich erlaubt es sich, ihren Kund_innen grundsätzlich Geräte anzudrehen, deren Funktionen sich erst nach einem halben Informatikstudium erschließen, und für Endverbraucher_innen ausschließlich Bedienungsanleitungen zu verfassen, die das Verständnis von drei Programmiersprachen voraussetzen. Die Altenpflegerin Lieschen Müller und Landwirt Otto Meier sind den Expert_innen auf Gedeih und Verderb ausgeliefert, wenn sie nicht Zeit, Lust und Möglichkeit haben, sich als Nebenberuf ebenfalls IT Kenntnisse anzueignen. Oder es in ihrem nähren Umfeld zufällig einen freundlichen Fachmann, eine freundliche Fachfrau gibt (was bei uns der Fall ist ♥). Oder sie soviel Geld haben, dass sie entsprechende Fachleute anstellen können.

Manchmal haben Menschen Angst, eines Tages würden wir vielleicht von Maschinen und Robotern beherrscht werden und übersehen dabei, dass die Welt schon längst von Softwareschreiberlingen und ihren Programmen regiert wird.

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