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Zebulon alias Seppl

Die Liebste und ich waren uns einig. Nach dem Tod unserer Hündin Ida sollte so schnell nicht wieder ein Hund ins Haus kommen. »Ida ist nicht zu ersetzen«, versicherten wir uns gegenseitig. »Wir brauchen erst einmal Abstand.«

Nach ungefähr vier Wochen kam die Liebste dazu, als ich im Internet nach Hundeseiten suchte. »Ich will nur mal gucken«, verteidigte ich mich, bevor sie überhaupt was gesagt hatte. »Ich auch«, meinte sie und setzte sich neben mich.

Wie sich das für eine intakte lesbische Beziehung gehört, waren wir wieder einmal einer Meinung. Falls uns überhaupt ein neuer Hund ins Haus kam, dann musste er natürlich einige Kriterien erfüllen. Es sollte auf jeden Fall ein Welpe sein, damit wir ihn ganz auf uns prägen und wegen seiner Vergangenheit keine bösen Überraschungen erleben mussten. »Dann natürlich auch ein Weibchen«, meinte die Liebste und ich stimmte ihr zu. »Rüden pinkeln doch in jede Ecke der Wohnung.«

»Vielleicht auch etwas kleiner als Ida, wegen dem Platz im Auto.« – »Keine Rasse mit ausgeprägtem Jagdinstinkt. Bei den vielen Wildschweinen und Füchsen hier in der Gegend hätten wir nur Ärger.« – »Am besten mit ganz kurzem Fell, damit wir nicht wieder jeden Tag Berge von Hundehaaren einsaugen müssen.« – »Schwarzes Fell wäre auch nicht schlecht, dann sieht er Ida am wenigsten ähnlich.«

Einige Tage später fuhren wir ins Tierheim, um mit Paula Kontakt aufzunehmen. Laut der Beschreibung im Internet erfüllte sie fast alle unsere Bedingungen. Bis auf die Tatsache, dass sie bereits vier Jahre alt war. »Ein älterer Hund hätte auch seine Vorteile«, hatten wir uns gegenseitig erklärt. »So ein Welpe macht ja ganz schön viel Arbeit. Wir sollten sie uns wenigstens mal ansehen.«

Ein gewisser junger Mann wollte auch mitreden. Schließlich ging es hier um die durch Idas Tod vakante Stelle des »Lieblingsmenschen«, und er erwartete uns auf dem Parkplatz. Paula hingegen erwartete uns nicht. Sie lag in einem Körbchen in ihrer Box und regte sich nicht. Als wir sie anleinten, um mit ihr spazierenzugehen, sah sie regelrecht genervt aus und trottete langsam neben uns her. Nach knapp hundert Metern drehte sie um und marschierte wieder zurück. Es war mehr als deutlich, hier stimmte die Chemie nicht.

In einer der letzten Boxen des langen Ganges sprang ein Hund wie wild gegen das Gitter. Wir gingen zu ihm und verliebten uns auf den ersten Blick. Er war erst am Tag zuvor aus Frankreich gekommen und die Mitarbeiterinnen des Tierheims konnten uns deshalb kaum mehr erzählen außer, dass er Zebulon hieß. »Komischer Name«, dachten wir. »Was ist das denn für eine Rasse?« wollten wir wissen und fanden die Antwort »Griffon« ebenso komisch wie den Namen. Beides hatten wir noch nie gehört. Dennoch nickten wir wissend und begehrten, ihn näher kennenzulernen.

Zebulon konnte es beinah nicht fassen, der Box entronnen zu sein und ließ sich kaum bändigen. Er sprang an uns hoch, schleckte uns ab, dopste wie ein Gummiball und zog an der Leine wie ein Ochse. Draußen kramte ich in meinem Gedächtnis nach kaum noch vorhandenen Französischkenntnissen und meinte schließlich angeberisch: »Allez!«

Eigentlich wollte ich damit die Liebste beeindrucken. Nach so vielen Beziehungsjahren ergibt sich dazu nur noch selten eine .. Gelegenheit. Kaum hatte ich das Wort ausgesprochen, raste Zebulon los, den jungen Mann an der Leine hinter sich herziehend. Es dauerte, bis dieser sich von seiner Überraschung erholt und dem Tempo angepasst hatte. Was Paula zu wenig an Temperament gezeigt hatte, hatte dieser Griffon, um was es sich dabei auch immer handeln mochte, wohl zuviel und wir wussten, das ist unser neuer Mitbewohner.

Jawohl, Mitbewohner, männlich, Rüde. Mit einem Fell, das Idas in Farbe und Struktur recht ähnlich war. Zudem hatte er ungefähr zehn Zentimeter mehr Höhe und brachte, wie wir später feststellten, knapp zehn Kilo mehr auf die Waage. Er war achtzehn Monate alt und seine Rasse wurde früher, wie wir uns später im Internet informieren konnten, zur Wildschwein- und Fuchsjagd gezüchtet.

Aber frau muss ja flexibel sein. Und außerdem, wo die Liebe hinfällt …

Eine Woche später, nach der Begutachtung von Haus und Garten durch eine Mitarbeiterin des Tierschutzvereins, holten wir ihn ab. Mittlerweile wissen wir, dass es sich bei ihm um einen »Griffon Fauve de Bretagne« mit Schönheitsfehlern handelt. Seine Ohren sind nicht konform, das Fell ein wenig zu lockig und der weiße Fleck auf der Brust zu groß. Ob er deswegen bei seinen früheren Besitzern unerwünscht gewesen war?

Zu unserer Überraschung pinkelte er nicht in jede Ecke des Hauses. Auch sein Revier im Garten markierte er erst nach Wochen. Selbst die vielen Hofkatzen wurden erst Tage später gebührend »begrüßt«. Mit der Zeit lernte er deutsch zu bellen und allmählich veränderte sich sein Name von dem biblischen Zebulon in einen ordinären Seppl.

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