Zum Inhalt springen

Angela und Guido

Zum dritten Mal seit Bestehen dieser Webseite hat es eine Bundestagswahl gegeben. Die Ergebnisse sind bekannt, in den nächsten Jahren wird uns die Biene Maya Koalition regieren. Nur wer die Rollen von Fräulein Kassandra und der Spinne Thekla übernehmen wird, ist mir bis jetzt noch nicht so ganz klar. Ich musste gestern an Maren Kroymann denken, die schon 2005 meinte: »Diese Republik hat sich verändert: vielleicht eine Frau und ein Schwuler an der Spitze …«

Insofern kann ich diesem Wahlergebnis sogar etwas Positives abgewinnen und von all den politischen Konsequenzen jetzt einmal abgesehen bin ich hocherfreut darüber, dass Ulla Schmidt mir demnächst erspart bleiben wird, und darauf habe ich gestern sogar ein Glas Sekt getrunken. Um Missverständnissen vorzubeugen: Mir geht es nicht um die angebliche oder vielleicht auch tatsächliche Dienstwagenaffäre, wo sie wahrscheinlich im Gegensatz zu anderen PolitikerInnen nur das Pech hatte, erwischt und in den Medien vorgeführt zu werden. Ich spreche von der unglaublichen Arroganz dieser Frau und ihren Äußerungen wie »Das steht mir zu!«

Früher sagte man den Kindern: »Mach die Augen zu, dann weißt du, was dir gehört!« Formal mag es richtig gewesen sein, dennoch instinktlos, überheblich und unverschämt all den Menschen gegenüber, die ebenfalls schwer arbeiten und sich trotzdem weder einen Urlaub und manchmal sogar noch nicht einmal eine Straßenbahnfahrkarte leisten können. Gewundert habe ich mich allerdings nicht. Als die Ministerin uns hier im Odenwald (und anderen Betroffenen) sinngemäß mitteilte, »Wir sollten uns in geschlossener Kleidung in den Garten setzen, wenn wir nicht von Zecken gebissen und an Borreliose erkranken wollten«, wusste ich: Dieser Frau ist irgendwann der Bezug zur Realität abhanden gekommen – wenn sie ihn denn je hatte.

In der Lokalzeitung war zu lesen, dass wir hier im Odenwald und die Gegend um Biberach der letzte Rest des einstmals so schwarzen Ländles sind. Nur bei uns springt die CDU noch locker über die 50% Hürde der Stimmen. Trotzdem hat sich diese Republik dramatisch verändert: In Stuttgart schickten die SPD eine Frau ins Rennen, die Grünen einen Schwaben mit türkischen Wurzeln und die CDU einen Schwulen – vor fünfzehn Jahren noch wäre dieses Trio eine Sensation für die lokalen Medien gewesen.

Zum ersten Mal in unserer Beziehung waren die Liebste und ich uneins darüber, welche Partei wir wählen sollen. Als ich neben den Lesbensymbolen auf dem Kofferraum unseres Autos den CDU Aufkleber »Chefin« entdeckte, fiel ich erst in Ohnmacht und beim Aufwachen wurde mir entsetzt bewusst: Die Frau an meiner Seite ist ein Fan von Angie. Ob das ein Scheidungsgrund sein könnte? Sie bewundert, wie Steinmeier von der Kanzlerin in Grund und Boden gekuschelt wurde, und meint, dass es Guido kaum anders ergehen wird. In ihrem technischen Beruf ist sie beinah ausschließlich von männlichen Kollegen umgeben und muss tagtäglich absurd wirkende Kleinkriege führen. Meist erlebt sie eine andere Welt als ich in meiner dörflichen Abgeschiedenheit und hat vielleicht deshalb soviel Sympathie für Angie.

Leider war die Wahlentscheidung der Liebsten nicht der einzige Schlag, der mir bei dieser Bundestagswahl aus meinem familiären Umfeld versetzt wurde. Ein gewisser junger Mann, dessen Gene laut Geburtsurkunde zur Hälfte von mir stammen sollen, entschied sich für die Piraten. Nach den Erkenntnissen der Wahlforschungsinstitute passt er exakt ins Schema dieser Partei: männlich, im Alter bis 35 Jahre, sehr gut ausgebildet und der felsenfesten Überzeugung, der Staat habe sich in seine Privatangelegenheiten nicht einzumischen. Da halfen weder die feministischen Vorträge seiner großen Schwester noch meine empörten Schreie: »Was ist mit meinem Urheberrecht?« Das seien Kinderkrankheiten, winkte er ab, die sich auswachsen würden, und war schließlich großzügig bereit, wenigstens mit seiner Erststimme die grüne Kandidatin zu erfreuen.

Seit heute Morgen trudeln die ersten offenen homophoben Äußerungen via twitter und Mailweiterleitungen ein. Ein Herr aus Duisburg will keinen schwulen Außenminister, ein Pirat findet es lustig, Westerwelle als Frau zu bezeichnen, irgendein Hirni warnt davor, gewisse islamische Staaten würden nie einen Schwulen als Gesprächspartner akzeptieren und ein anderer von der Sorte »Ich habe ja nix gegen Homosexuelle, aber …« behauptet, die Kombination »Frau und Schwuler« würde Deutschland weltweit ins politische Aus manövrieren. Und es hat den Anschein, dass ausgerechnet diejenigen, die diese Leutchen gar nicht gewählt haben, nun zu ihrem Schutz antreten müssen.

Auf der Karnele werden Cookies gesetzt, z.B. von Anbietern verschiedener Wordpress Plugins und IONOS, dem Webhoster. Wenn Du hier weiterliest, akzeptierst Du deren Verwendung.