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Bibi, Moritz und die Killerlesbe

Sonntagabend, Tatortzeit. Bis vor ein paar Jahren auf jeden Fall, inzwischen nur noch ab und zu. Zum einen ist in den Mediatheken der Tatort auch an anderen Tagen und zu jeder beliebigen Uhrzeit abrufbar. Zum anderen, weil wir mit einigen der aktuellen Ermittler_innen einfach nichts anfangen können.

Den Tatort aus Wien mit dem Duo Bibi Fellner und Moritz Eisner sehen wir aber immer noch gern. Seit Adele Neuhauser die leicht irre Julie in »Vier Frauen und ein Todesfall« spiel(t)e, wollen wir keinen TV Auftritt von ihr verpassen. Und Harald Krassnitzer ist uns auch deshalb sympathisch, weil er sich laut gegen »rechts« positioniert.

Wir lieben die Dialoge zwischen Bibi und Moritz, die unter dem Begriff »Grant« laufen, ebenso wie den teilweise rabenschwarzen Humor. Wenn ich manchmal für einen Moment die Augen schließe, führt mich der leichte Dialekteinschlag zurück in die Kindheit. Erinnerungen an Besuche der Wiener Verwandtschaft bei Oma und Uroma werden wach. Gesichter und Namen sind verschwommen bis vergessen, die gemütliche und fröhliche Atmosphäre aber kann ich heute noch spüren. Alles war wunderbar entspannt, ganz im Gegensatz zu sonstigen Verwandtentreffen.

Beim Tatort am letzten Sonntag mit dem Titel »Wahre Lügen« konnte allerdings von Entspannung und positiven Gefühlen keine Rede sein. Nein, tatsächlich passierte das genaue Gegenteil: Verspannung und Ärger. Ungefähr in der 8. Minute, kurz nachdem die Leiche aus einem See geborgen worden war, taucht eine Frau bei Fellner und Eisner auf. Sie stellt sich als Lebensgefährtin der Toten vor und die Liebste und ich wussten: Das wird nix mehr.

Was manche Leser_innen und Zuschauer_innen vielleicht nicht wissen, beim professionellen Schreiben gibt es Regeln. Die Eisernen und die Ungeschriebenen. Zu den eisernen Regeln gehört beispielsweise: Ein Groschenroman hat immer 64 Seiten, daran muss sich die Handlung ausrichten. Eine der ungeschriebenen Regeln für Tatortdrehbücher lautet: Pathologisierung lesbischer Propagandistinnen, Killerlesben werden bevorzugt.

Da wir also schon nach achteinhalb Minuten die Mörderin kannten, ließ unser Interesse schlagartig nach. Ich erreichte endlich Level 2000 bei Candy Crush Soda Saga, die Liebste sorgte unterdessen für etwas Ordnung auf ihrem Handy. Gegen Ende schlief ich auch noch ein. Aufgewacht bin ich erst wieder beim »Steirerkind«, dem Krimi direkt nach dem Tatort. Es dauerte eine Weile, bis ich begriff, warum plötzlich auf einer Skipiste eine Leiche ausgegraben wurde.

»Du hast nichts verpasst«, meinte die Liebste. Allerdings musste sie angestrengt nachdenken, bis sie mir erklären konnte, was ich nicht verpasst hatte. Eine lesbische Journalistin soll über einen Waffenschieber schreiben. Anstatt investigativ zu recherchieren, verliebt sie sich in den Schurken und trennt sich deshalb von ihrer Partnerin. Die wiederum denkt nicht daran, sich heulend dem Trennungsschmerz hinzugeben, sondern wird rabiat. Erst versenkt sie die Ex-Lesbe samt ihrem Auto und einer Pistole im Wolfgangsee. Anschließend versucht sie, den Rivalen ebenfalls ins Jenseits zu befördern.

So reagieren wir halt, wir Lesben. Mit Trennungen können wir nicht umgehen, schon gar nicht, wenn sie wegen eines Mannes passieren. In jeder von uns steckt eine kleine Killerlesbe. Spätestens seit dem Hexenprozess von Itzehoe wissen das die Drehbuchautoren. Deshalb arbeiten sie seit Jahrzehnten das Thema immer wieder in Varianten auf. Wie Sabine Arnolds frei nach Reinhard Mey später auf Twitter schrieb: »Und der Mörder war wieder die Lesbe.«

So weit, so viel Klischee, so entsetzlich schlecht.

Außer um Lesben ging es in »Wahre Lügen« noch um einen Herrn Lütgendorf. Mir sagte der Name nichts, aber auf Twitter fand ich den Hinweis, dieser ehemalige Verteidigungsminister sei der österreichische Barschel. Zwei Politiker, die nach Skandalen zurücktraten und später unter mysteriösen Umständen (angeblich) Selbstmord begingen. In einem Kieler Tatort war 2012 der Fall Barschel einmal aufgegriffen worden. Vielleicht kam man beim ORF deshalb auf die Idee, Lütgendorf ebenfalls in einem Krimiformat zu verwurschteln.

Ein weiterer Handlungsstrang drehte sich um einen pensionierten Polizisten mit Hund und Kanarienvogel. Er vereinbart mit Eisner ein Treffen und behauptet, über den Anlass nicht am Telefon sprechen zu können. Die klassische Formulierung für: »Ich bin gleich tot und du bekommst die Infos nie.« Folgerichtig wird er ein paar Minuten später erschossen, während Eisner sich am Treffpunkt die Beine in den Bauch steht.

Weil all das für den Autor anscheinend noch nicht genug Chaos, Figuren und Unsinn gewesen war, taucht noch eine arrogante Dame aus einem Ministerium auf. In ihrem Schlepptau befindet sich ein Mann, der aussieht, als sei er eben einem BWL Seminar entsprungen. Ob seine Ähnlichkeit mit dem derzeitigen österreichischen Bundeskanzler Zufall oder Absicht war?

Upps, fast vergessen hätte ich jetzt den Chef der toten Ehemals-Lesbe. Er hatte sie mit der Recherche über einen Waffenschieber beauftragt und lügt bei der Befragung Eisner und Fellner dreist an.

Was haben jetzt all diese Menschen miteinander und mit der Killerlesbe und ihrer Partnerin zu tun? Auch nachdem ich den Tatort noch einmal tagsüber wirklich konzentriert gesehen habe, ohne nebenbei zu spielen oder zwischendurch einzuschlafen, weiß ich es nicht.

Als lesbische Krimiautorin spekuliere ich jetzt einfach mal darauf los. Zuerst wurden die Szenen zwischen der Killerlesbe und dem Waffenschieber geschrieben. Sie, im Badeanzug mit Leopardenmuster, verführt ihn im Schwimmbad. Erst würgt er sie mit einem Gürtel, dann sie ihn. Dabei in Großaufnahme zu sehen: ihr Bein in einem halterlosen schwarzen Netzstrumpf. Anschließend wurde Füllmaterial benötigt, schließlich zahlen ORF und ARD für 90 Minuten Sendezeit. Und so kamen all die anderen Figuren mit ins Spiel, bis es eben zeitlich passte. Künstlerische Bedenken oder gar Kritik wird es kaum gegeben haben, da es sich bei Regisseur und Drehbuchautor um ein und denselben Mann handelt.

Dazu passend eine Meldung von vor ein paar Tagen: Pornhub gab bekannt, 2018 war einer der meistgesuchten Begriffe auf ihrem Portal: lesbian. (Für genauere Angaben bitte selbst danach googeln).

Natürlich gibt es auch ganz andere Sichtweisen auf diesen Tatort und viel Wissen über die politischen Hintergründe. Deshalb der Fairness halber ein Tipp: »Der Tatort und die Wahren Lügen«

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