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Brauner, blauer, gelber, grüner Müll

Manche Lesben haben Stress am Arbeitsplatz, andere haben Stress mit ihren Vermietern. Einige von uns sollen sogar Stress in der Liebe haben. Nun, solche Probleme kennen die Liebste und ich natürlich auch. Aber wirklich Stress haben wir mit was ganz anderen: nämlich mit dem Müll.


Früher als ja bekanntlich alles besser und einfacher war, bedeutete der volle Mülleimer in der Küche ein kurzer Streit, wer leert ihn aus, mehr aber auch nicht. Doch dann kam der Grüne Punkt. »Oh, das muss gut sein. Das hat einen grünen Punkt« haben wir in der ersten Zeit noch gescherzt.

Unsere Küche verwandelte sich langsam aber allmählich in einen Müllsortierungsraum. Ein Eimer für den Biomüll, ein Eimer für Altpapier, ein Eimer für Restmüll, einer für Glas, einer für Produkte mit dem Grünen Punkt. Leere Batterien kommen in die untere linke Schublade, kaputte elektrische Kleingeräte in einen Sack in den Keller. Ein weiterer Sack steht dort für Giftmüll wie z. B. leere Farbdosen bereit.

So weit, so gut, doch irgendwann quellen diese Gefäße einmal über und müssen geleert werden. Der Grüne-Punkt-Abfall kommt in den Hof in die Grüne Tonne. Daneben steht eine braune Tonne mit Mehrkammersystem. Vorne der Restmüll, hinten der Biomüll – oder war es vielleicht auch umgekehrt? Die innen im Deckel angeklebte Zeichnung des Abfallverbandes klärt das leider nicht eindeutig. Dazu kommt bei dieser Tonne noch, dass vom Frühjahr bis Herbst es sich dort dicke weiße Würmer gemütlich machen.

»Wir haben Restmüll, wir haben Biomüll« heißt im Sommer: die Liebste zieht Gummihandschuhe an, und wir gehen mit dem Müll und einer langen Stange in den Hof. Drei Meter vor der Mülltonne bleiben wir stehen. Ich öffne mithilfe der Stange den Deckel der braunen Mülltonne. Meine Liebste, die sportlichere von uns beiden, rennt vor und wirft den Müll hinein. An guten Tagen trifft sie auch die gleich die richtige Kammer. Wenn ich dann noch richtig auf Zack bin, ziehe ich die Stange auch im richtigen Augenblick zurück und der Deckel klappt wieder zu. Denn je länger der Deckel auf ist, desto mehr dicke grün schillernde Fliegen verlassen die Tonne und verfolgen uns bis in die Wohnung. An schlechten Tagen trifft die Liebste nicht gleich die richtige Kammer und muss den Müll wieder rausholen. Oder ich ziehe die Stange zu früh zurück, und der Deckel knallt der Liebsten auf die Finger.

Keine sportlichen Leistungen hingegen verlangt uns der Müll mit dem Grünen Punkt ab. Dafür sind unsere Gehirnzellen gefordert. Was gehört in diese Tonne? Natürlich alles, das mit dem Grünen Punkt versehen ist, denkt die logische Frau zunächst.

Nur Logik war bei den Erfindern des Dualen Systems bestimmt nicht gefragt. Denn zum Beispiel Seifenschachteln, auch Umverpackungen genannt, sind zwar mit einem Grünen Punkt versehen, gehören aber trotzdem zum Altpapier. Auch auf dem Etikett des Erdbeermarmeladenglases prangt der Grüne Punkt. Das Etikett gehört aber zum Altpapier, das dazugehörende Glas in den Glascontainer. Nur der Deckel, der darf tatsächlich in die Grüne Tonne. Auf den Zigarettenschachteln ist zwar kein Grüner Punkt, trotzdem gehört die Plastikfolie und Stanniolpapier in die Grüne Tonne, die Schachtel ins Altpapier und die Kippen in den Restmüll.

Hat frau nach mehrjährigem Studium endlich das System einigermaßen begriffen, steht sie vor dem Problem: »Wie erkläre ich es meinen Nachbarn?« Denn erstens wurde gleichzeitig mit dem Dualen System in Deutschland die Sippenhaft wieder eingeführt. Wenigstens in Mehrfamilienhäusern. Falsch bestückte Mülltonnen werden nicht geleert. Zumindest nicht, wenn die Müllmänner Lust haben, sich den Müll der zu leerenden Tonnen näher zu betrachten. Und zweitens scheint der Müll der Sanierung der leeren kommunalen Kassen zu dienen. Neben einer jährlichen Pauschale wird auch noch für jede einzelne Leerung der Mehrkammertonne extra abkassiert. Angesichts unserer katastrophalen finanziellen Lage sind die Liebste und ich natürlich bemüht, diese Kosten so gering wie möglich zu halten.

Unsere Nachbarin Frau Meier, berufstätige Mutter von drei Kindern, hat weder Zeit noch Nerven, sich mit den Feinheiten der Müllentsorgung näher zu beschäftigen. Für den Familienmüll der Meiers ist der 14jährige Sohn zuständig und der hält als Teenager nichts vom Sortieren. Wenn er mit seinem vollem Müllbeutel in den Hof kommt, stopft er ihn in die nächstbeste Tonne, egal welche Farbe sie hat. Es soll ja Lesben geben, die von ihren Nachbarn gemieden werden, weil sie lesbisch sind. Uns gehen die Nachbarn aus dem Weg, weil sie keine Lust haben, sich den 99. Vortrag über Müllsortierung anzuhören.

Zu Weihnachten haben wir vom Abfallverband eines besonderes Geschenk bekommen: eine dreißigseitige Broschüre. Vorletztes Jahr war uns mitgeteilt worden, an welchen Tagen auf welche Weise die braune Tonne an den Straßenrand zu stellen ist, damit sie gereinigt werden kann. Dieser Service fällt dieses Jahr wieder weg, weil er nicht genutzt worden ist. Wer jemals versucht hat, eine Mülltonne korrekt in Winkel und Abstand zwischen parkenden Autos zu platzieren und dann die Nacht über zu bewachen, damit kein Nachtschwärmer sie wieder verschiebt, weiß warum. Beleidigt hat der Abfallverband sich für dieses Jahr was Neues einfallen lassen. Die Termine, wann wird welcher Müll abgeholt, wurden wieder einmal geändert. Und zwar gründlich und ohne jedes erkennbare System.

Seit dem 1. Januar gehen uns unsere Nachbarn auch nicht mehr aus dem Weg. Im Gegenteil allabendlich treffen wir uns im Treppenhaus und beratschlagen. Wird morgen eine Tonne geleert? Und wenn ja, welche? Glas, Papier, Grüne oder Braune Tonne? Wann wird der Grünschnitt geholt, der merkwürdigerweise nichts mit dem Biomüll zu tun hat? Wann sind die Schadstoffe, die Elektrokleingeräte oder der restliche Sperrmüll an der Reihe? Unsere Runden werden immer gemütlicher, und wir danken dem Dualen System für die großartige Unterstützung bei der Pflege der nachbarschaftlichen Kontakte.

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