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Stapel gegen Papierkorb

Wenn Heten im Fernsehen heiraten, versprechen sie sich gegenseitig, sich immer zu lieben, zu ehren und zu achten. In guten wie in schlechten Tagen. Als Dauerkonsument_innen diverser Seifenopern kannten die Liebste und ich natürlich diesen Spruch und haben uns zu Beginn unserer Beziehung Ähnliches versprochen. Nicht versprochen haben wir uns allerdings, die kleinen Macken und Eigenheiten der anderen immer klaglos hinzunehmen. Eine Unterlassungssünde, die sich nun gelegentlich rächt.

Die tragische Geschichte des berühmten Zahnpastatubendeckels, der nicht zugeschraubt wird und deshalb für das Ende so mancher Beziehung verantwortlich ist, kannten wir natürlich und haben von Anfang an Vorsichtsmaßnahmen ergriffen: Getrennte Zahnpastatuben.

Verschwiegen hatte mir aber die Liebste, dass sie Weltmeisterin im Stapeln ist. Wenn sie irgendwo ein Stück Papier sieht, muss sie es glatt streichen und auf einen Stapel legen. Egal, ob es sich dabei nun um Zeitungen, Illustrierte, Brötchentüten, Werbung, Kontoauszüge oder Kinokarten handelt. Das Papier wird bis zu einer Höhe von etwa 50 cm aufeinandergestapelt und mit einem Sammelsurium kleinerer zufällig herumliegender Gegenstände vom Schraubenzieher über Nähnadel bis zum Walkman gekrönt. Deshalb bin ich gezwungen, im Laufe eines Tages sehr viele Fragen zu stellen.

»Wo ist eigentlich unsere letzte Gemüserechnung?« – »Hast du Omas Krankenkassenkärtchen gesehen?« – »Ich kann den letzten SPIEGEL nirgends finden?!?«

Ziemlich überflüssige Fragen, denn ich kenne die Antwort ja schon vorher: All diese Dinge befinden sich in irgendeinem Stapel. Es stellt eher die Frage: In welchem Stapel, bitteschön? Denn die Liebste stapelt nicht nur Papier, sie stapelt alles, was sich irgendwie aufeinanderlegen lässt. Und ist dabei noch äußerst erfinderisch, wenn es darum geht, neue Plätze für neue Stapel zu finden.

Ähnliche Fragen wie ich ihr, stellt die Liebste gelegentlich auch mir. Ebenfalls ziemlich überflüssige Fragen, denn sie weiß: Was sie nicht gestapelt hat, habe ich weggeworfen. Ich kann dem Drang nicht widerstehen, unnütze Dinge wie Werbung, alte Zeitungen, leere Schachteln und vieles mehr in den nächsten Papierkorb zu befördern. Dass diesem Drang ab und an auch mal ein wichtiges Schreiben oder die Fernsehzeitung für die nächste Woche zum Opfer fällt, scheint nur mich immer wieder neu zu überraschen.

Neben dem Kleinkrieg Stapel gegen Papierkorb bereitet auch die Tatsache, dass ein Paar Socken immer aus zwei einzelnen gleichartigen und gleichfarbigen Socken besteht, der Liebsten und mir Stress. Ich habe nichts dagegen, zur Not auch mal eine rote und eine gelbe Socken anzuziehen. Die Liebste hingegen leidet unter der Zwangsvorstellung, ein Paar Socken muss stets zusammenbleiben, Tag und Nacht, und kontrolliert diese Paarung vom Wäschekorb über die Waschmaschine bis zur Schublade.

Ihre steten Entsetzensschreie: »Da fehlt schon wieder eine grüne Socke!« mit anschließender Suchaktion treiben mich eines Tages noch in den Wahnsinn – auch wenn es sich bei der fehlenden grünen Socke immer um die Meinige handelt. Was kann ich denn dafür, dass meine Socken reiselustige Einzelkinder sind und manchmal den Staubflocken unter dem Bücherregal einen Besuch abstatten?

Um der Liebsten Angstschweiß auf die Stirn zu treiben, bedarf es wenig: Ich muss nur einen Hammer in die Hand nehmen.

»Darf ich mal fragen, was du DAMIT machen willst?« Ihre Stimme klingt dabei immer so gepresst. Und ein bisschen quiekend.

»Ich will nur das neue Bild aufhängen!«, erkläre ich.

»Wo? Und mit welchem Nagel?«

»Mit dem da.« Ich zeige ihr den Nagel. Zugegeben, er ist meist zu groß und auch ein bisschen krumm. Aber früher, bevor sie in mein Leben getreten ist, habe ich ja auch schon manchmal Bilder aufgehängt. Fünf Versuche, drei große Löcher, die danach eh von dem Bild verdeckt wurden, und ab und zu mal einen Volltreffer in eine elektrische Leitung, aber das Bild hing gerade.

Spätestens, wenn ich der Liebsten die Stelle zeige, wo ich das Bild aufhängen will, ist es mit ihrer Selbstbeherrschung vorbei. Sie stürzt sich auf mich, um mir Hammer und Nagel aus der Hand zu reißen, und ich bin beleidigt.

Die Liebste hat in der Schule kochen gelernt. Ich nicht, ich habe Latein gelernt. Es spricht nicht gerade für unser Bildungssystem, dass die Liebste so kocht, wie ich lateinische Texte übersetze: Umständlich, langsam und ohne diverse Hilfsmittel wie Koch- bzw. Wörterbuch geht gar nichts.

Wenn die Liebste kochen will, sucht sie zunächst das entsprechende Rezept heraus. Stellt dabei fest, dass das Regal mit den Kochbüchern vollkommen eingestaubt ist, wischt erst einmal Staub und gießt auch gleich mal die Topfpflanze, die oben auf dem Regal steht und von mir immer vergessen wird … dann geht sie mit dem Rezept in die Küche und beginnt, sämtliche Zutaten, benötigte Töpfe und weitere Utensilien auf der Arbeitsplatte zusammenzustellen. Danach deckt sie den Tisch …

Drei Stunden später breche ich entkräftet vor der Küchentür zusammen und kann nur noch »Hunger« röcheln. Was von der Liebsten jedes Mal wieder mit Verwunderung und einem »Essen ist gleich fertig, Tisch ist schon gedeckt. Ich geh‘ bloß noch eine Ziggi rauchen«, quittiert wird.

Zu richtig ernsthaften Beziehungskrisen führt bei uns die Anschaffung neuer technischer Geräte. Deshalb besitzen wir so vieles nicht, was bei anderen zum Standard gehrt und werden fälschlicherweise auch schon mal als technikfeindlich bezeichnet.

Meine Methode: Geräte auspacken, anschalten und erst wenn es komische Geräusche von sich gibt, die Gebrauchsanleitung durchzulesen, löst bei der Liebsten zuerst nervöse Zuckungen der Augenlider und dann Schreikrämpfe aus.

Ihre Methode: die Gebrauchsanleitung erst Wort für Wort drei Tage lang durchzulesen und sämtliche Warnhinweise rot zu unterstreichen, bringt mich auf Mordgedanken. Ich beginne ernsthaft über den letzten Teil des oben genannten Spruches nachzudenken: »In guten wie in schlechten Tagen … bis dass der Tod uns scheidet.«

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