Zum Inhalt springen

Gepflegte Feindschaft

»Riechst du das auch?« fragte mich die Liebste vor einigen Wochen.
»Was denn?«
»Es stinkt nach Chlor aus den Wasserhähnen.«

Ich roch erst mal gar nichts, was sehr ungewöhnlich ist. Normalerweise bin ich diejenige, die Gerüchen auf der Spur ist, und die Liebste diejenige, die nichts riecht.

Zwei Stunden später roch ich es allerdings auch. Die Liebste duschte und ein Chlordunst zog durch unsere Wohnung. Seveso, Bophal mir wurde angst und bang.

Was tut frau in so einem Fall? Sie ruft die Stadtverwaltung an. Oder die Wasserwerke. Zumindest an einem Werktag. Es war aber Wochenende. Und unter der Nummer des Wasserverbandes lief ein Band: »Sie erreichen uns blablabla …«

Anrufe bei der Verwandtschaft.
»Stinkt es bei Euch auch nach Chlor?«
»Ja.«
»Und was macht Ihr?«
»Nichts …«

Die Schwägerin gab uns dann doch einen Tipp. Neuerdings wird unsere Wasserzufuhr von einem der Kurorte der Umgebung geregelt. Kein Mensch begreift, weshalb. Die Wege der Verwaltung sind eben unergründlich.

Eines war uns dann allerdings klar: Es handelte sich bei dem Chlorgeruch eindeutig um einen terroristischen Anschlag aus dem Schwabenland. Der Kurort liegt nämlich in Schwaben, und wir sind Badener, Gelbfüssler oder allenfalls noch KurpfälzerInnen.

Der Kontrollanruf bei einer Freundin in O., zwei Dörfer weiter und direkt hinter der feindlichen Grenze liegend, bestätigte unseren Verdacht: Bei ihr, der zumindest landkartenmäßigen Schwäbin, roch es nicht nach Chlor, obwohl sie ihr Wasser aus demselben Kurort bezieht.

Es roch eine Woche lang nach Chlor. Auf Anfragen nach dem Warum und Weshalb reagierten die Schwaben nicht. Aber wir wussten uns zu helfen: Wir kochten mit Mineralwasser. Der feindliche Anschlag konnte abgewehrt werden, keine von uns starb an Chlorvergiftung.

Durch das ehemalige Westdeutschland zieht sich eine merkwürdige Grenze – wie das mit dem Osten ist, weiß ich leider nicht so genau, aber vielleicht kann mich ja mal eine darüber aufklären – für uns hier im Süden bzw. Südwesten liegt alles nördlich von Frankfurt am Main auf einem Haufen. Ob wir nun nach Köln oder Bremen müssen, ist egal. Es liegt irgendwie eh alles nebeneinander und auf dem Weg.

Umgekehrt meinen die Nordlichter, also alle, die nördlich von Frankfurt wohnen, unterhalb von Frankfurt gäbe es nur Schwaben, die allerdings kurioserweise in Bayern bzw. in den Alpen leben. So ungefähr wenigstens. Und deshalb beleidigen sie uns immer wieder: »Ihr Schwaben mit Eurer Kehrwoche!«

Bitteschön, ich habe in meinem ganzen nun viereinhalb Jahrzehnte währenden Leben noch nie den Bürgersteig gekehrt oder in regelmäßigen Abständen das Treppenhaus geputzt. Der beste Beweis, dass ich keine Schwäbin bin. Ich stamme aus dem schönen Badnerland und habe keine Ahnung, wie es passieren konnte, dass zwei so unterschiedliche Volksstämme in einem Bundesland leben müssen.

Entstanden ist die Feindschaft vor ungefähr 150 Jahren, damals während der Revolution von 1848 als die Schwaben dabei halfen, den badischen Revolutionären den Garaus zu machen. Andere behaupten, die Feindschaft sei viel älter und ginge auf die Zeit der Bauernkriege zurück.

Wie dem auch sei, dass Badener und Schwaben sich nicht leiden können, ist eine ernste Tradition, die sorgsam gepflegt und von Generation zu Generation weitergegeben wird. Besonders wir hier im Grenzgebiet sind stets auf der Hut, wittern hinter jeder Verwaltungsvorschrift Schikanen der schwäbischen Landesregierung und bunkern in unseren Kellern und Scheunen Backsteine, um gegebenenfalls einmal schnell eine Mauer gen Schwabenland errichten zu können.

Ihr lieben Nordlichter jenseits von Frankfurt, denkt daran, wenn Ihr das nächste Mal einen süddeutschen Dialekt hört. Und falls sich eine von Euch für den Grand Prix Eurovision de la Chanson bzw. die anstehende deutsche Vorentscheidung interessieren sollte: Joy Flemming mit der wundervollen Stimme lebt in einem unserer Nachbardörfer! Sie ist keine Schwäbin!

Auf der Karnele werden Cookies gesetzt, z.B. von Anbietern verschiedener Wordpress Plugins und IONOS, dem Webhoster. Wenn Du hier weiterliest, akzeptierst Du deren Verwendung.