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Bücher und Köche

Die Frankfurter Buchmesse, Eldorado lesebegeisterter Menschen aus vielen Ländern, 6600 Aussteller aus über 100 Ländern präsentierten 400.000 Buchtitel auf knapp 76.000 qm (reine Ausstellungsfläche). Ungefähr 270.000 Menschen hatten sich dieses Jahr am Ende der sechs Tage durch die vielen Kilometer Gänge in den Hallen und zwischen den Hallen gedrängelt – zwei davon sind meine Liebste und ich gewesen.

Vielleicht kann sich die eine oder andere, die auch dort gewesen ist, an uns erinnern: wir waren diejenigen, die am frühen Nachmittag anfingen, laut stöhnend von einer Sitzgelegenheit zur nächsten zu hinken … und gegen Abend auf allen Vieren zum Ausgang krochen – ca. 50 kg Papier in Form von Prospekten, Katalogen, Broschüren in mehreren Taschen hinter uns herziehend.

Wir nutzten dieses Jahr ein Angebot der Volkshochschule und sind im Bus nach Frankfurt gefahren, zusammen mit einundzwanzig Frauen und vier Männern. Das Frau/Mann Verhältnis, das sich später auch optisch auf dem Gelände bestätigte, gab meiner Liebsten und mir zunächst denken: lesen Männer nicht? Der Leithammel, seines Zeichens Leiter der VHS und einer der vier Männer, klärte das Rätsel auf. Männer lesen weniger und sind darüber hinaus noch feiger. Zehn kurzfristige Absagen wegen der Gefahrenlage soll es gegeben haben.

Die besondere Gefahrenlage erforderte besondere Maßnahmen. Maßnahmen, über die wir uns im Vorfeld bereits informiert hatten: Bei der Durchsage „Alpha“ über den Hallenlautsprecher sollten die Stände nach abgestellten, unbekannten Gegenständen abgesucht werden. Durchsage „Delta“ bedeutete: die Halle sofort verlassen.

Glücklicherweise ist es dazu nicht gekommen. Das lag wohl an den besonders strengen Taschenkontrollen am Eingang. Die war so streng, dass ich außer meinem Taschenmesser, dem Reizgasspray und einer Papierschere nichts mitnehmen durfte. Ich konnte noch so sehr betteln, die Panzerfaust blieb draußen und wurde mir später von meiner Liebsten durchs Absperrgitter nachgereicht.

Nun, was macht frau wohl so auf einer Buchmesse? Sie sucht als erstes nach einem Klo. Nicht schwer zu finden, die Warteschlangen geben eindeutige Hinweise. Wir hatten es etwas eiliger und gingen deshalb, klug geworden aus vergangenen Jahren, zum Bereich Religion. Dort gab es keine Warteschlangen, denn dort gab es auch keine BesucherInnen.

Danach suchten wir was zu essen. Wir hatten die Wahl zwischen Hotdogs, Brötchen mit Schnitzel, Hotdogs, Brötchen mit Fleischkäse … hatte ich die Hotdogs schon erwähnt? Kaffee gab es allerdings mehr als genug in großen Pötten. LiteratInnen und ihre VerehrerInnen zeichnen sich anscheinend durch Kaffeetrinken aus, wenn sie nicht gerade Sekt schlürfen. Für Sekt war es uns noch zu früh, außerdem wird mir davon immer schwindlig, also tranken wir auch Kaffee.

Je größer ein Verlag, je prominenter seine AutorInnen, desto mittiger der Standplatz. Je kleiner der Verlag, desto weiter wird sein Stand an den Hallenrand gedrückt. Bei vielen Verlagen tut das dem Publikumsverkehr trotzdem keinen Abbruch. Besonders wenn der Verlag mit bunten Broschüren, Kugelschreibern oder Brausepulverchentütchen lockt. Verblüfft beobachteten wir zwei kleine Jungs, die von Stand zu Stand zogen: „Was gibt es hier umsonst?“ Und wehe, es gab nichts umsonst. „Blöder Verlag“, meinte der eine und der andere fügte hinzu: „Von denen kaufen wir nie im Leben ein Buch!“

Verlag A untermalte seine Bücherangeboten mit klassischer Musik, bei Verlag B gab es Kaffee umsonst. Verlag C spielte Videos ab, und bei D kochte Naddel Feldbusch persönlich. Bei E soll Biolek am Tag zuvor gekocht haben und bei F wurde Johann Lafer erwartet. Zeitweise hatten wir das Gefühl, auf eine Kochmesse mit Bücherverkauf geraten zu sein.

Eins meiner vorab geplanten Ziele war der Oetinger-Verlag. „Warum wird denn das Buch von Astrid Lindgren Meine Kuh will auch Spaß haben nicht mehr aufgelegt?“ Antwort: „Das lässt sich in Deutschland nicht verkaufen?“ Hä??*

Ein weiteres Ziel war Verlag Y. „Weshalb gibt es Ihre Bücher nicht über Onlinebuchhandlungen zu kaufen?“ Antwort: „Das haben wir nicht nötig.“ Ah, ja, na dann …

Nach ungefähr einer Stunde machten wir die erste Pause und setzten uns draußen auf den Rasen. Allerdings nur für zwei Minuten. Ein gewichtig aussehender Herr mit wehenden weißen Haaren postierte sich ganz in unserer Nähe und Fernsehkameras folgten ihm. Wir wollten ihm nicht als Dekoration dienen und verzogen uns schnell. Fünf Minuten später passierte uns an einem anderen Platz ähnliches mit Herrn Langenscheid, aber den haben wir wenigstens erkannt.

Weiß eine von Euch, was ein Sitzschrank ist? Die dazugehörigen Schlösser hätten für 70 DM geliehen werden können. Wir haben den Sitzschrank leider nicht gefunden, was meine Liebste nächtelang den Schlaf raubte.

Ansonsten, vielleicht treffen wir uns ja nächstes Jahr in Frankfurt …

* Für alle, die sich für den Tierschutz interessieren: Astrid Lindgren, Kristina Forslund: „Meine Kuh will auch Spaß haben“

Als Lindgren die Politiker ihres Landes öffentlich aufforderte, den katastrophalen Zuständen in der Massentierhaltung ein Ende zu bereiten und den Tieren ihr Recht auf eine natürliche Lebensweise zurückzugeben, löste sie damit in der Bevölkerung eine heftige Tierschutzdebatte aus, die eine Änderung des schwedischen Tierschutzgesetzes zur Folge hatte. Dieses Buch enthält die Artikel, die Lindgren zusammen mit der Tierärztin Forslund 1985-89 in der Tageszeitung Expressen veröffentlicht hat.

Friedrich Oetinger, Hamburg, 1991, Hardcover, 108 Seiten ISBN 3-7891-4104-6

 

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