Wieder einmal ist ein Wochenende rum und wieder einmal stelle ich erschrocken fest, dass die Liebste und ich kaum mehr als drei vernünftige Sätze miteinander gewechselt haben. Wir leben nun schon so lange zusammen, da ist es nicht ganz einfach, immer ein Gesprächsthema zu finden. Wir wissen längst, wo wir einer Meinung sind und wo wir unterschiedliche Ansichten haben. Auch ohne weitere Erklärungen weiß ich, welches Buch ihr gefallen und über welche Stellen sie lachen wird. Sie kann bereits im Voraus sagen, welchen Film ich am Abend im Fernsehen sehen will. Und warum ich jenen glatzköpfigen Schauspieler nicht leiden kann, haben wir auch bereits vor Jahren geklärt. Natürlich, über den Alltag gibt es stets mehr als genug zu reden: Wann wird der Glasmüll abgeholt, hast du die Haftpflichtversicherung überwiesen, wo ist eigentlich das Nasenspray?
Diese und all die ähnlichen Themen, die sich zwangsweise ergeben, können natürlich auch einen Tag ausfüllen. Manche Heteroehepaare sollen damit auch bestens ihre Zeit bis zur Gnadenhochzeit überbrücken. Spätestens dann ist der eine taub und die andere senil oder auch umgekehrt, und es fällt nicht mehr auf, dass man sich sechzig Jahre lang eigentlich nur angeschwiegen hat.
Bis es bei der Liebsten und mir so weit ist, und wir so richtig taub und senil geworden sind, wollen wir jedoch die Zeit nutzen und sinnen immer wieder über Lösungen nach. Ein probates Mittel, das Schweigen in einer Beziehung zu unterbrechen, ist die Einladung von Freundinnen zum Essen. Ein Abend oder manchmal sogar ein ganzer Tag sind gerettet. Es gibt endlich einmal etwas anderes zu essen als Spaghetti mit Tomatensoße oder Pizza aus Tiefkühltruhe, schließlich lohnt sich das aufwendige Kochen für uns allein kaum. Und danach ergibt sich meist nicht nur das eine oder andere neue Gesprächsthema, sondern so manches Mal lässt sich auch so herrlich lästern.
Wenigstens ist das früher so gewesen. In den letzten Jahren hat sich das allerdings geändert. Wir stellen mit Erschrecken fest, dass unsere Freundinnen allesamt krank und kränker werden. Kaum noch eine, die wirklich alles verträgt und die sich nicht, wenn nicht bereits beim Anblick des Essen, spätestens aber dann beim Kauen geistig auf einer Intensivstation wähnt.
Die Rothaarige hat seit Jahren einen leichten Hautausschlag, hier mal ein Pickel, dort mal eine Pustel, es hat sie noch nie gestört. Ausgerechnet kurz vor unserem Fest muss sie einen Allergologen aufsuchen, der ihr eine ganze Liste von verbotenen Dingen aufstellt. Er hätte besser eine Liste mit Erlaubtem aufstellen sollen, die wäre kürzer gewesen.
Leider wissen wir nichts davon, als wir sie zum Essen einladen, wundern uns jedoch darüber, wie lange sie sich mit einer Zusage Zeit lässt. Dann gibt sie mir telefonisch die Liste durch. Nach dem zehnten Punkt streike ich und bitte um eine Mail. Als sie endlich zu Besuch kommt, erkenne ich sie kaum wieder, sie ist über und über mit Pickeln übersät.
»Erstverschlimmerung«, erklärt sie, das wenigstens habe ihre Homöopathin behauptet. Vielleicht liegt es auch an den Medikamenten des Allergologen, die sie gleichzeitig nimmt. An unserem Hund kann es nicht liegen, den hat sie nämlich schon seit Wochen nicht mehr gesehen. Sie schreit wie am Spieß, als er sie begrüßen will. Gegen Hundehaare ist sie nämlich auch allergisch. Jedoch erst seit ihrem Arztbesuch, gemerkt hat sie in den letzen Jahren davon eigentlich nichts. Unsere Hündin, die gar nicht weiß, wie ihr geschieht, zieht sich beleidigt in eine Ecke zurück.
Die Blonde hingegen hat keine Allergien. Sie ist nur kurzfristig in der Nacht vor dem Grillfest zur Vegetarierin mutiert. »Ich esse übrigens kein Fleisch mehr«, teilt sie mir ihre Veränderung so nebenbei auf dem Weg von der Haustür zur Terrasse mit.
Im Prinzip ist dagegen nichts einzuwenden. Ich bewundere Menschen, die es durchhalten, kein Fleisch zu essen. Aber hätte sie sich das nicht überlegen können, bevor wir das Fleisch aus der Gefriertruhe geholt haben? Die Liebste sieht das nicht so eng: »Mehr Fleisch für mich, klasse!«
Doch das klärt nicht die Frage, mit was füttern wir die frisch gebackene Vegetarierin? »Ich achte da streng darauf. Ich esse auch nichts mehr, was mit Fleisch in Berührung gekommen ist«, fügt diese noch hinzu, als ich mir gerade überlege, vielleicht einen Schafskäse und verschiedene Gemüse mit auf den Grill zu legen.
Einen Extragrill haben wir nicht und diese vegetarische Extrawurst wird mir zu extravagant und aufwendig. Also isst sie trockenes Brot, während wir anderen die gegrillten Steaks fressen und ich zudem noch einen Meineid geschworen habe, dass das Brot vorher nicht mit Fleisch in Berührung gekommen ist.
Aus solchen Erfahrungen klug geworden, befragen wir unsere möglichen Gästinnen neuerdings penibel nach Vorerkrankungen, Allergien, Abneigungen und einem möglichen Hang zu über Nacht auftretende Wesensveränderungen. Trotzdem klappt es nicht immer.
»Wir essen alles«, behauptet die Fremde, mit der wir bekannter werden wollen und deshalb zum Essen eingeladen haben, am Telefon. Schön, endlich mal wieder welche, für die ich nach meinen Vorstellungen kochen kann, ganz wie früher.
Drei Tage später sitzt sie mit langen Zähnen an unserem Tisch und stochert in ihrem Teller herum. Ihre Liebste versucht derweil, das eine und andere unauffällig unter dem Tisch beim Hund verschwinden zu lassen. Ausgerechnet das, was sie hassen, habe ich gekocht. Der Hund ist begeistert von diesem Besuch. Ich ärgere mich über die Zeit- und Geldverschwendung. Das Gespräch schleppt sich mühsam dahin, den Nachtisch biete ich erst gar nicht mehr an. Die Fremden bleiben Fremde und werden nicht in unser Adressbuch aufgenommen.
Beim alljährlichen Spargelessen kommen auch zwei Neue. Angeblich ebenfalls Allesfresserinnen, nur haben sie vergessen zu sagen, dass die eine keine Kartoffeln mag und die andere kein Fett verträgt. Gleichwohl erweisen sie sich als pflegeleicht. Nach Jahren bei der Bundeswehr sind sie an nicht genießbares Essen und andere widrige Umstände bei der Nahrungsaufnahme gewöhnt und werden so auch dieses Jahr wieder zum Spargelessen kommen.
Dennoch, dankbar denke ich an die beiden Frauen, die klipp und klar sagten, was sie nicht essen: gegrillte Katze! Ihrem Wunsch konnte entsprochen werden. Die bereits gehäutete Katze blieb in der Kühltruhe, es gab Eintopf und schien zu schmecken.