»So geht das aber nicht!« sagt der Mann zu mir und blickt missbilligend auf das Paket, das ich auf die Waage gelegt habe.
Ich weiß nicht, was er will. Die Liebste hat es bestens verpackt, es hat einen Paketaufkleber und ist weder größer noch schwerer als ein Paket sein soll. »Das ist Sperrgut!« klärt mich der Mann auf.
Sperrgut? Ein Fahrrad ist Sperrgut, das weiß ich. Aber doch nicht dieses kleine Ding da, das ich höchstpersönlich unter den Arm klemmen und zur Post tragen konnte.
»Es hat keine acht Ecken«, erfahre ich nun. Stimmt, mein Paket hat nur drei spitze Ecken, zwei leicht abgerundete Ecken und drei Rundungen. Aber ist das ein Grund für Diskriminierung?
Der Mann lässt sich nicht erweichen, bietet mir allerdings einen Karton aus seinem Lager an. Ich verzichtet dankend und marschiere schnaubend wieder nach Hause.
Die Liebste schnaubt am Abend ebenfalls. Fast zwanzig Jahre hat sie in ihrer früheren Firma Pakete und Päckchen verpackt, große, kleine, dicke, dünne, eckige und runde, und nie gab es Probleme. Sie weigert sich, das Paket umzupacken und will mich zu einer anderen Postfiliale schicken.
Als sie am nächsten Morgen aus dem Haus ist, beiße ich in den sauren Apfel. Der einzige leere Karton, den wir haben, stammt aus der Apotheke und ist etwa doppelt so groß als nötig. Ich lege das erste Paket, so wie es ist, hinein und stopfe die Hohlräume mit Zeitungspapier aus.
Nun handelt es sich um Sperrgut, wenigstens meiner Meinung nach, ich kann den Karton kaum tragen. Der Mann allerdings ist zufrieden: acht Ecken, wunderbar, so soll ein Paket aussehen!
Wenige Tage später haben wir wieder etwas zu verschicken, allerdings kein Paket, sondern ein Päckchen. Der Originalkarton ist ein Sechseck, das Päckchen hat also zwölf (spitze) Ecken. Ich befürchte das Schlimmste, als die Liebste damit zur Post marschiert und richtig, auch ein Päckchen darf bzw. muss nur acht Ecken haben, andernfalls handelt es sich ebenfalls um Sperrgut.
Ich spare, du sparst … er, sie, es spart, wir sparen alle … und Geiz ist geil. Eine der Ersten, die das erkannt hat, und so ihrer Zeit ausnahmsweise einmal Lichtjahre voraus war, ist die Deutsche Post.
Ziemlich unsanft von Vater Staat einst aus dem warmen Nest geworfen und mittlerweile privatisiert, spart sie, was das Zeug hält. Jedes Kaff, in dessen Sichtweite sich Fuchs und Hase gute Nacht sagen, hat keinen Anspruch mehr auf eine Postfiliale, sondern bekommt höchstens noch eine Postagentur zugestanden, wie wir hier in Kleinkleckersdorf zum Beispiel.
Agentur klingt zunächst gut. Agenturen sind hipp, das wissen wir alle. Weshalb hießen die Werbeagenturen sonst auch Werbeagenturen.
Geleitet, gehandhabt, betreut werden die Postagenturen von …??? Nun, einen Postbeamten oder eine Angestellte in Uniform und mit entsprechender Ausbildung gibt es nicht mehr.
»Das ist doch ganz klar«, meint eine junge Frau. »Zu einer Agentur gehört ein Agent, also handelt es sich um Postagenten!«
Klingt ein bisschen nach Spionage. Vielleicht beteuerten deshalb so viele Kleinkleckersdorfer anfangs kategorisch, die Kleinkleckersdorfer Postagentur würden sie nie im Leben betreten und lieber in den Nachbarort fahren.
Für diejenigen, die weder viel Post bekommen noch verschicken, mag das eine Lösung sein. Für die Liebste und mich ist es keine, wir betreten diese Agentur beinah jeden Tag und holen wenigstens unsere Post ab.
Meistens allerdings haben wir auch Post zum Verschicken dabei. Briefe, große und kleine, schmale und breite, gefüttert oder mit Fenster, und auf all diese Briefe sollen nun bunte Bildchen, besser auch als Briefmarken bekannt, geklebt werden.
Wie die Briefe selbst gibt es auch die Briefmarken in vielen Formen und Farben und vor allem: in vielen verschiedenen Wertangaben. Nebenbei bemerkt, sehr teuren Wertangaben, denn die Post nutzt ihre Monopolstellung weidlich aus und kalkuliert die Preise ähnlich einer Apotheke. Eine Briefmarke ist heutzutage beinah ebenso kostbar wie ein Medikament für Herztransplantationen.
Eine Buchsendung kostet mit einer bestimmten Größe, Form und Gewicht 77 Cent. Da ich selbst viele Sendungen dieser Art bekomme und auch verschicke, weiß ich, die 77 Cent Briefmarke ist begehrt.
Ja, gefragt ist sie im wahrsten Sinn des Wortes, denn angeblich gibt es sie nicht. Wenigstens nicht nach Aussage des hiesigen Postagenten. Aber der ist ja nur im Schnellverfahren ausgebildet worden, vielleicht hatte er einfach nur nicht richtig aufgepasst und nur Ahnung von Paketecken.
Also fuhr die Liebste in die nächste Kreisstadt in ein richtiges Postamt. »Haben Sie 77 Cent Briefmarken?« fragt sie den jungen Mann hinter der Glasscheibe.
»Ja, natürlich!«
»Und weshalb hat sie dann der Postagent in Kleinkleckersdorf nicht?«
»Er muss sie eben bestellen, dann bekommt er sie auch.«
»Gut«, meint die Liebste zufrieden und malt sich schon aus, was sie beim nächsten Besuch in der Postagentur alles von sich geben wird. »Dann geben Sie mir 10 Briefmarken für 77 Cent!«
Fassungslos sieht sie zu, wie der junge Mann zehn Briefmarken zu 10 Cent abreißt. »Was machen Sie denn da?« stoppt sie ihn.
»Zehn Briefmarken für 77 Cent zusammenstellen«, antwortet der ungerührt und zählt zehn 26 Cent Marken ab.
»Ich will kein Gestückel!« empört sich die Liebste und schnappt erst mal nach Luft. »Ich haben Ihnen doch gesagt, ich will die Marken als 77 Cent Marken!«
»Die gibt es aber nicht«, sagt der junge Mann. »Wollen Sie jetzt Marken oder nicht?«
»Und warum haben Sie eben gesagt, diese Marken gäbe es?«
Er hält es nicht mal für nötig zu antworten und wiederholt stattdessen seine Frage: »Wollen Sie jetzt die Marken?«
Nein, sie will sie nicht. Als Puzzleteile verkauft sie auch der hiesige Postagent. Eine 10 Cent Marke, eine 26 Cent Marke und eine 41 Cent Marke, macht gleich 77 Cent.
Als wäre das nicht genug, stammen diese Marken noch aus einer Zeit, bevor der Euro das Geld ablöste, und sind mit DM ausgezeichnet. Winzig klein am Rand ist der Eurowert vermerkt. Ich brauche eine Lupe, um ihn zu erkennen. Erst müssten die alten Marken aufgebraucht werden, erklärt uns der Postagent. Dass die Klebeflächen die letzten drei oder vier Jahre Lagerung nicht gut überstanden haben, ist nur noch ein weiteres Ärgernis am Rand und erfreut die Firmen Pritt und Uhu.
Ist die Buchsendung etwas größer, kostet sie nicht 77 Cent sondern 1,28 Euro. Auch diese Marke gibt es nicht. Wir kleben also …..
Der Maxibrief zu 2,20 Euro macht weniger Schwierigkeiten. Die vier Marken zu 55 Cent, sogar korrekt in der neuen Währung angegeben, sind gleich geklebt. Natürlich nehmen sie recht viel Platz weg und bei der Adresse müssen wir uns zurückhalten. Menschen mit Titeln oder Doppelnamen, langen Straßen- oder Ortsnamen akzeptieren wir schlicht und einfach nicht mehr als KundInnen.
Der etwas kleinere Brief mit 1,44 Euro lässt mich immer wieder nach dem nächsten Palmwipfel Ausschau halten. Jedes Mal 2 Cent zusätzlich zur Unterstützung der notleidenden Post, damit sie Thomas Gottschalk die Honorare bezahlen kann. Bis ich zufällig in einer anderen Stadt auf die 1,44 Briefmarke stoße.
Der Verzweiflung nahe rufe ich bei der Post direkt an und bestelle alle nötigen Briefmarken, die ich brauche. Die Dame am Telefon ist sehr freundlich, der Service prompt, die Lieferung umgehend.
Dass ich mich über zwanzig ungültige Marken, weil nur mit DM ausgezeichnet und längst aus dem Verkehr gezogen, und über das Briefmarkenabo, das ich nicht bestellt habe, aufrege, liegt wohl an meiner Pedanterie.
»Sei doch nicht so kleinlich!« meint die Liebste. Dabei macht sie seit Tagen nichts anderes, als Postvorschriften zu studieren, um die Sache mit den Ecken zu klären.